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tödten die Aerzte den Nerv ... Bei uns, Israeli ten, giebt es moralische Krankheiten, die uns mehr Kummer, Qualen und Leiden verursachen, als die schrecklichsten physischen Krankheiten, nämlich: Unsere schlechten Gewohnheiten, die sich tief in unser Leben eingewurzelt haben! Woher kommt es denn, daß die verschiedenen Elemente der russischen Gesellschaft, die, dem Anschein nach, gar keinen allgemeine In teressen mit uns haben, uns mit einer solchen „Seelen- und Gedanken-Einheit" verachten? . . . Unsere Geldgier, unsere Unersättlichkeit, unsere Sucht nach Vortheil, das Jagen nach Gewinnst, unsere Zudringlichkeit, unser verschmitzter Charakter, unsere über alle Maßen gehende Putzsucht, unsere Ver schwendung, unsere knechtische und dumme Nach äffung, unsere Wucherei, unsere Kneipenwirthschaft und unsere Commissions-Geschäfte, wie auch noch all die anderen unreellen Gewerbe empören das russische Volk gegen uns, erregen die Eifersucht der Kaufmannschaft und die Verachtung Aller gegen uns. Ohne Zweifel giebt es unter Euch ehrliche, fleißige und in ihren Wünschen bescheidene Leute, doch sie verschwinden in der Masse von Schwind lern, die Tag und Nacht nur daran denken — Geld auf jede Weise zu erwerben und die in ihrem Leben keine andere Interessen, kein anderes Streben haben. — Die traurigen Ereignisse der jüngsten Zeit geben uns ein Recht, Euch, Brüder, zu erinnern, daß namentlich jetzt es passend wäre, Eure faulen Zähne, mit denen Ihr Andere gebissen habt, Heraus zureißen! An alle Juden, an alle edlen und wirk samen Kräfte des Judenthums wende ich mich mit dem Flehen: Brüder! Erwachet! Greifet zur edlen That! Dienet Eurem Volke! Werfet von Euch mit kühner Hand den „Ansatz", den Jahrhunderte Euch angeklebt haben! Höret auf mit Euren er blaßten Traditionen zu glänzen! Es ist schon ge nug, uns mit unserer altersschwachen Lebensfähigkeit groß zu thun! Laßt uns Alle aus der frischen und lebenerzeugenden Quelle „des zeitgemäßeren Lebens" schöpfen! Laßt uns lieber frische, gesunde und moralisch blühende Menschen sein! Erneuerung! Erneuerung! Gebet Eurem Volke Das, was das Leben, die Zeit, die Wissenschaft und die — Pflicht der Menschheit fordern! .... Gebet dem Volke standhafte moralische Ueberzeugungen und rationellen Glauben und dadurch gebet Ihr ihm Seelen ruhe zurück und erhebet es in den Augen seiner Nächsten." Die Ernte-Aussichten sind in Rußland über aus günstig. Nach dem Gesammtergebniß der Be richte aus den meisten Gouvernements läßt sich über all eine gute Ernte erwarten. Bulgarien. Trotzdem die Wahlen für den Fürsten Alexander außerordentlich günstig ausgefallen waren, hat er in 9 Bezirken, in welchen die Opposition siegte, doch Neuwahlen angeordnet. Türkei. Sämmtliche im Prozeß wegen Ermordung des Sultans AbdulAziz ausgesprochenenTodesstrafen sind in immerwährende Verbannung nach Taife (Ara bien) umgewandelt worden. Afrika. In Manouba (Tunis) wurde am 3. d. ein fran zösischer Artilleriehauptmann durch einen Flintenschuß ermordet, während er mit anderen Offizieren vor einem Caf« saß. Eine zur Aufführung des Mörders abgesandte Patrouille tövtete einen Araber und ver haftete mehrere. Der Scheik von Manouba stellte 3 Notable als Geiseln. Amerika. In dem Befinden des Präsidenten Garfield war bis 4. d. früh keine wesentliche Aenderung ein getreten. Von 12 Uhr nachts an hatte der Präsident mit kurzen Unterbrechungen geschlafen; einige Mals klagte er während der Nacht über Schmerzen im Fuß. Die Besorgniß, daß ein tödtlicher Ausgang trotz des ruhigen Schlafs der ersten Nacht nicht ausgeschlossen ist, ist in der Natur der Wunde be gründet. Wie ärztlicherseits festgestellt worden, ist die Kugel zwischen der 10. und 11. Rippe rechts von der Wirbelsäule in den Körper Garfields ein gedrungen, dann durch die unterste Partie der rech ten Lunge und der Leber gegangen und hat sich dann in dem vorderen Theile des Unterleibes fest gesetzt. Die Aerzte wagen denn auch nicht, die I Kugel herauszuziehen, deren ganz genauer Sitz l übrigens noch nicht bestimmt ist. Ueber die Per sönlichkeit des Mörders wird des Weiteren gemel- det: Charles Jules Guiteau ist in Illinois geboren, . war Mitglied der Oneida-Gemeinschaft, dann un beschäftigter Advokat in Chicago. Er wird allseitig j als grundsatzloser Abenteurer bezeichnet, der bis zum j Wahnsinn nach Berühmtheit strebte. Die hervor ragendsten Blätter betrachten Guiteau als hirnver brannten, unordentlichen Menschen, der durch den Mißerfolg in seinen Bewerbungen um eine Stelle völlig wahnsinnig wurde und persönliche Rache gegen das Staatsoberhaupt brütete. Atts dem Mttldenthale. ^Waldenburg, 5. Juli. Gestern Abend fand im oberen Zimmer des Rathskellers hier durch die Lehrlings-Prüfungscommission des hiesigen Gewerbe vereins die Aufnahme von 9 Lehrlingen mittels feierlicher Ansprache seitens des Vorsitzenden der Prüfungscommission, des Herrn Wirthschaftsdirector vr. Lamprecht, statt; zur Aufnahme angemeldet waren 11, allein zwei von denselben waren nicht erschienen. *— Gestern Abend verunglückte in Altstadt-Wal denburg ein Schulknabe, indem ihm die bei Gelegen heit eines daselbst stattfindenden Vogelschießens ab brechende Vogelstange aufs Bein fiel, wobei der Knabe einen Beinbruch erlitt. *— Gestern ist das hiesige bereits seit längerer Zeit zum Verkauf stehende Stadtgut, wie wir hören um den Preis von 29,000 Mk., verkauft worden. Der neue Besitzer ist heute bereit« eingezogen. — Am 4. d. früh wurde bei Glauchau auf Wernsdorfer Flur ein schon stark verwester Leichnam männlichen Geschlechts aufgesunden und polizeilich aufgehoben. Die Identität desselben konnte noch nicht festgestellt werden. Fen illeton. Colomba. korsisches Lebensbild von Prosper Meremöe, deutsch von Rudolph Müldener. (Fortsetzung.) Gegen ein Uhr war noch keiner der von Colomba ausgesandten Boten zurückgekehrt; da nahm sie ihren ganzen Muth zusammen und nölhigte ihre Gäste, sich zu Tische zu setzen. Aber außer dem Oberst konnte Niemand essen. Beim geringsten Geräusch auf dem Vorplatze eilte Colomba an's Fenster, dann kam sie wieder zurück und setzte sich traurig nieder, und noch trauriger bemühte sie sich, mit ihren Freunden eine unbedeutende Unterhaltung forzuspinnen, auf welche Niemand hörte und deren Faden oft durch längeres Stillschweigen abgerissen ward. Plötzlich vernahm man ven Galopp eines Pferdes. „Ah! diesmal ist es mein Bruder!" sagte Colomba auffahrend. Aber bei dem Anblicke Chilina's, welche rittlings auf Orso's Pferde saß, schrie sie mit herz zerreißender Stimme: „Mein Bruder ist todt!" — Der Oberst ließ sein Glas fallen, Miß Nevil stieß einen Angstruf aus, und alle liefen an die Pforte hinab. Ehe Shilina selbst noch vom Pferde springen konnte, war sie von Colomba federleicht herangerafft und fühlte einen erstickenden Druck des Armes der selben. Das Kind verstand ihren furchtbaren Blick und ihr erstes Wort war das des Chores in Othello: er lebt! Colomba öffnete die umklammernden Arme und Chilina fiel elastisch wie eine junge Katze zu Boden. „Die Anderen?" fragte Colomba mit rauher Stimme. Chilina machte das Zeichen des Kreuzes mit dem Zeige- und Mittelfinger. Augenblicklich machte die Todtenblässe auf Colomba's Gesicht einer lebhaften Röthe Platz. Sie warf einen brennenden Blick auf das Haus der Barricini und sagte dann lächelnd zu ihren Gästen: „Gehen wir hinauf, um den Kaffee zu trinken." Die Iris der Banditen hatte ein langes Verhör zu bestehen. Ihr von Colomba, so gut es gehen mochte, in's Italienische und hernach von Lydia in's Englische übersetztes Kauderwelsch entriß dem Ober sten manchen Fluch und seiner Tochter manchen Seufzer; aber Colomba horchte mit äußerlich leiden schaftsloser Miene zu. Fünf bis sechs Mal unter brach sie das Kind, um sich's wiederholen zu lassen, daß Brandolaccio erklärt habe, die Wunde Orso's sei nicht gefährlich und er habe schon andere gesehen, die mehr zu bedeuten gehabt hätten. Am Schluffe berichtete Chilina, daß Orso inständig um Schreib papier bitte und seine Schwester beauftrage, eine Dame, die sich vielleicht in seinem Hause befinde, anzuflehsn, sie möchte nicht abreisen, ehe ein Brief von ihm in ihren Händen wäre. — „Das," setzte das Kind hinzu, „plagte ihn am meisten, und er rief mir drese Commission noch einmal nach, wie ich schon wegging; nicht weniger als dreimal hat er mir's auf die Seele gebunden." Ueber diese Dringlichkeit ihres Bruders lächelte Colomba leicht und dkückte um so sstärker die Hand der Engländerin, welche in Thränen ausbrach und Atts dem Dachsenlande. — Der zahlbare Gesammtbetrag der bei jetzigem Termin ausgeloosten Staatspapiere beträgt2,099,835 Mk., wofür jährlich 84,464 Mk. Zinsen zu vergüten waren. Der todtliegende Betrag nicht abgeforderter Kapitalien beträgt rund 800,000 Mk., an welchen rund 32,000 Mk. Zinsen jährlich verloren gehen. — Wiederholt wollen wir darauf aufmerksam machen, daß eine vor dem 1. October 1879 getraute Frau im Falle, daß ihr Ehemann in Concurs fällt, vor den gewöhnlichen Gläubigern — einschließlich der Wechselgläubiger — ein Vorzugsrecht hat, wenn sie ihre Einbringsorderung, welche vor dem ge nannten Tage entstanden, bis zum 30. September dieses Jahres in ein beim Amtsgerichte ihres Wohn ortes gehaltenes Register eintcagen läßt. Eine Be kanntmachung des Eintrages findet nicht statt. Auch braucht selbstverständlich die Anmeldung nicht recog- noscirt zu sein, denn dieselbe hält blos Rechte auf recht, aber sie beeinträchtigt keine anderen bestehen den Rechte. Rathsam wäre es, wenn von dieser Wohlthat des sächsischen Gesetzgebers recht ergiebiger Gebrauch gemacht würde. — Wir wollen nicht unterlassen, auf das in vie len Zeitungen gepriesene Conservirungssalz hinzu weisen, wovon eine Messerspitze hinreicht, einen Liter Milch Tage lang vor dem Gerinnen zu schützen und auf Fleisch, Fische, Geflügel gerieben, alle diese Waaren vor dem Verderben Wochen und Monate lang befreit. In die Würste gebracht, erhält es diese Products auch in der heißesten Jahreszeit frisch und schmackhaft. Das ist auch dec Fall bei Eiern, welche in mit Conservirungssalz gesättigtes Wasser gelegt werden. In gleicher Weise bewährt es sich beim Einlegen der mancherlei Früchte, wie der Pflaumen, Erdbeeren, Kirschen rc. Auf den Gartenbeeten entfernt es die Schimmelpilze, wie auch in der Tinte. Bereits wendet man es auf den Schiffen bei großen Fleischtransporten mit dem besten Erfolge an, so daß es auf diese überseeischen Eßwaaren einen großen Umschwung herbeiführen wird. Es wird bereitet in der Conservirungssalz- Fabrik in Stuttgart und ist zu haben bei Franz Hahn, Dresden, Mathildenstraße Nr. 26. — Am 4. d. sollte in Leipzig der Tag der Un abhängigkeit der Vereinigten Staaten von Nord amerika festlich begangen werden, doch ist die Feier mit Rücksicht auf das Attentat ausgefallen. Es waren umfassende Vorbereitungen getroffen. Der amerikanische Gesandte in Berlin Mr. White hatte sein Erscheinen zugesagt, ebenso die hervorragendsten Vertreter der Leipziger Universität. An Stelle des Jubelfestes trat ein Trauer-Meeting. — Was doch noch alles in der Welt erfunden wird! Sogar eine Concurrenz für Schornsteinfeger und Ofenkehrer dürfte bald entstehen, wenn der Erfinder materiell in die Lage gebracht wird, die ihm bereits patentirte Methode mittelst Anwendung von Gebläseluft jedwede Feuerungsanlage schnell und ohne Belästigung von Ruß gründlich zu reini gen, ausführen zu können. Der Erfinder und Pa tentbesitzer ist Herr Otto Syllwasschy in Neustadt bei Leipzig, Hedwigstraße Nr. 10, und man darf es nicht für nöthig fand, ihren Vater diesen Theil der Erzählung zu übersetzen. „Ja, Sie werden bei mir bleiben, meine theure Freundin," rief Colomba aus, indem sie Miß Nevil küßte, — „und werden uns veistehen!" Dann nahm sie aus einem Schranke ein Stück alte Leinewand und zerschnitt dieselbe, um Binden und Charpie daraus zu machen. Wenn man ihre funkelnden Augen, die hochrothe Farbe, den raschen Wechsel ihrer Stimmung, welche bald von Erregung, bald von Kaltblütigkeit zeugte, betrachtete, so mochte man schwer entscheiden, ob sie von der Verwundung ihres Bruders mehr gerührt, als über den Tod ihrer Feinde entzückt sei; bald goß sie dem Obersten Kaffee ein und rühmte ihm ihr Talent in der Be reitung desselben, bald theilte sie an Miß Nevil und Chilina Arbeit aus und ermahnte dieselben, die Binden zu nähen und geglättet zusammenzurollen: dann fragte sie zum zwanzigsten Male, ob Orso an seinen Wunden sehr leide? Alle Augenblick unter brach sie ihre Arbeit, um zu dem Obcrsten zu sagen: „Zwei so gewandte, so furchtbare Männer! . . . er allein, verwundet, nur im Gebrauch eines Armes . ... er hat beide niedergemacht Welcher Muth, Oberst! Nicht wahr, er ist ein Held? Ach, Miß Nevil, wie glücklich lebt man in einem so ruhigen Land, wie das Ihrige! . . . Gewiß, Sie kannten meinen Bruder noch nicht! ... Ich hatte es ja ge sagt: der Sperber werde seine Flügel entfalten! . . . Sie irrten sich nur nur an seiner sanstmttthigen Miene .. . freilich, in ihrer Nähe, Miß Nevil... Ach, wenn er Sie für sich arbeiten sehen könnte. .. der arme Orso!" (Fortsetzung folgt.)