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IreiöMt Anzeiger und Tageblatt. Amtsblatt des Kgl. Bezirksgerichts zu Freiberg, sowie der Kgl. Gerichtsämter und der Stadträche zu Freiberg und Brand.' ^-117. Erscheint jeden Wochentag früh 8 U.! Inserate werden bi« Nachm. 3 Uhr . für die nächste Nr. angenommen. j Sonnabend, den 23. Mai Prä« vicrteljährl. 2V Ngr. Inserate werden di« gespaltene Zeile oder deren Raum mit S Pf. berechnet. 1868. * Die Reformen in der Türkei. Der Sultan wird ein Demokrat! Da hört denn doch wahr haftig Alles aus! Nach der Reise zur Pariser Weltausstellung und durch das halbe westliche Europa hat der Großherr aller Türken tingesehen, daß Willkühr und Gewaltthätigkeit sehr schlechte Regie rungseigenschaften sind und daß dagegen Rechte und Freiheiten Aller wahrhaftige Glückseligkeit verbreiten. An diesen Grundsatz glauben ja noch nicht einmal alle Potentaten, die in dem civilisirten Westen Europas ihre Throne stehen haben, und neugierig könnte man fra gen, wer denn eigentlich dem Sultan diese erzdemokratischen Ideen beigebracht hat. Genug, Abdul Aziz hat mit einer großen Thron rede seinen neuen Staatsrath eröffnet^ und die alten Moslim mö gen über den Abfall ihres Herrn von den Lehren der Völker und dem Geist des Orients nicht wenig mit den Köpfen wackeln. Der neue Staatsrath, dessen Mitglieder aus allen Classen des türkischen Reiches gewählt find, sollen eine regelmäßige „ehrliche und den Mißbräuchen feindliche Verwaltung" schaffen. Ein oberster Gerichts hof soll die Trennung der ausübenden Macht von der richterlichen und religiösen feststellen, die Rechte aller Unterthancn sichern. „Was die religiösen Ueberzeugungen betrifft, so muß Jeder seine freie Mei- nmig haben. Dieser Punkt kann nicht in Frage gestellt werden. Die freien Culte müssen alle Gefühle der Verachtung und Feind seligkeit gegen einander aufgeben" wenn solche Lehren der Papst der Christenheit, ein Bischof in Spanien, ein Bischof anderswo, ein Prälat der englischen StaatSkirche, ein russischer Pope, ja selbst ein preußischer Consistorialrath predigte, man würde denken, cs komme ein Wunder über die Welt. Und nun sagt's selbst der Beherrscher aller Gläubigen, der Nachfolger Mohameds, der alle Andersgläu bigen mit Feuer und Schwert zu vertilgen befahl! Wahrlich, am Bosporus macht die Civilisation colossale Fortschritte und giebt uns Manches zu denken. Der türkische Sultan ein armer Mann, ein Demokrat, ein Freidenker — wo bleibt die Tradition, wo bleibt da von Türken noch viel übrig? Nun ist's freilich mit dem Liberalismus mancher Fürsten, ja vielleicht der meisten Fürsten, nicht allzu genau zu nehmen ; selbst beim besten Willen bleibt das meiste ihrer liberalen Ergüsse meist nur Phrase, denn die Handlungen halten selten Schritt mit dem Reden. Wir in Westeuropa haben davon massenhafte Beweise. Außerdem weiß man recht gut, daß die türkische Regierung nicht so mächtig ist, um die Reformen, die ihr räthlich scheinen, durch führen zu können. Der Sultan hat gut liberal sein im Sinne europäischer Parteiauffassungen — seine Türken werden ihn nicht recht verstehen und am allerwenigsten sich für seine Reformen be geistern. Eine Regierung, die liberaler ist, als ihr Volk, hat den Boden nicht, auf dem sie etwas Gutes leisten kann; sie will die Spitze der Pyramide erleuchten, um glauben zu machen, es scheine in ihrem Reich die Sonne. Der Sultan ist entweder ein edler Schwärmer, der das letzte Mittel versucht, um den Orient empor zuheben, oder er ist ein diplomatischer Pfiffikus, der sich vor den Russen einen Schutz in der europäischen Civilisation suchen will. Denn allerdings ist es nicht übel, wenn die türkische Regierung li beraler wird, als die russische, und damit beweiset, daß sie den Weg der Reformen richtig betreten hat. Die Christen in dem Orient würden an dem Tage aufhören, ihren Blick nach Rußland zu rich ten, wo sie in Konstantinopel die Bürgschaften und den Schutz fän den, den sie von Petersburg erwarten. Auf diese Weise entreißt die Türkei ihrem Todfeinde eine gefährliche Waffe. Aber solche diplomatische Mittel, zu denen eine Regierung wohl in der Noth greift, ändern doch nicht Verhältnisse, die in jahrhun dertlanger Verkommenheit erstarrt liegen. Eine absterbende Cultur, wie die türkische, lebt nicht wieder durch Oculiren einer gänzlich fremden auf, ihr Gesetz des Sterbens bleibt, und erst aus ihrem Untergang kann eine neue hervorgehen. Für die Türken paffen Frei heit, Toleranz und europäische Civilisation so wenig, wie für unS die chinesische oder japanische Cultur. Wir gönnen den Türken alle- Gute, aber wo die Grundsätze des Daseins verändert werden sollen, da hört das Leben von selbst aus. Alle Reformen in der Türkei werden dieses verfallene Staatswesen, diese überlebte Nation nicht vor dem Zugrunde gehen retten können. Tagesgeschichte. Berlin, 20. Mai. In der heutigen Sitzung des Zollparla ments führte die Petroleumsteuer noch eine längere Debatte herbei. Nachdem v. Thadden und v. Patow für, Barth aber gegen die Petroleumsteuer gesprochen hatten, erklärt sich auch Oehmichen (Sachsen) gegen dieselbe. Sachsen, äußert sich derselbe, cousumire bei seiner dichten Bevölkerung den sechsten Theil des gesammten eingeführten Petroleums; die sächsische Hausindustrie würde des halb diese Steuer hart empfinden. Lieber möge man die Matri- cularbeiträge, welche höchstens 34,000 Thlr. betragen würden, er höhen, als eine indirecte Steuer, wie die Petroleumsteuer einsühren, die 80,000 Thlr. aus Sachsen hinausnähme. Abg. Günther (Sachsen) wiederspricht dem Vorredner. Man dürfe nicht Kirch thurmspolitik treiben; ähnliche Verhältnisse beständen auch in an dern Ländern. Nichts bedrohe die Selbstständigkeir kleinerer Staa ten mehr, als die Erhöhung ver Matricularbeiträge. Eine Petro leumsteuer werde andere Steuern abschaffen helfen. DaS vorhan dene Deficit müsse gedeckt werden. Bringe die Petroleumsteuer mehr ein, so würden sich später die Matricularbeiträge verringern. Eine Steuer von 15 Sitbergroschen verschwinde in den Preisschwan kungen und bleibe beim Zwischenhändler haften. Er sei kein be geisterter Anhänger der Petroleumsteuer, doch sei sie ein besseres Mittel, das Budget zu erleichtern, als die Adreßdebatten; ein bessere- Mittel, die Sympathie der Süddeutschen zu gewinnen, würde aller dings die Entlassung von 100,000 Mann des Heeres sein. (Bravo.) — Die soeben erschienene „Prov.-Corr." schreibt: Der Schluß des Zollparlaments erfolgt spätestens Anfang nächster Woche, der Schluß des Reichstags voraussichtlich am 20. Juni. Die hannö verschen Provinzialstände treten Ende Juni zusammen behufs Aus führung des Provinzialgesetzes. -- Die Petition wegen Erlasses .gesetzlicher Bestimmungen zur Erleichterung von Schadenklägen bei unverschuldeten Verletzungen von Arbeitern in Fabriken, Bergwerken rc„ von Bediensteten oder Reisenden aus Eisenbahnen, von Passagieren aus Dampfschiffen rc. war bekanntlich vom Reichstage dem Bundeskanzler zur Berücksich tigung empfohlen und war dies dem Professor Biedermann, als Ver treter der Petenten, durch ein Schreiben des Präsidenten Sim son mitgetheilt worden. An ebendenselben/ist nun ein zweite- Schreiben ergangen, welches bekundet, daß der Bundesrath bereit- einleitende Schritte getroffen hat, der Petition praktische Folge zu geben und innerhalb des gesammten Bundesgebiets denjenigen Per sonen und deren Hinterbliebenen, welche bei dem Bergbau, im Eisenbahndienst, bei dem Betriebe einer Fabrik rc. körperlich beschä digt werden oder ihr Leben verlieren, einen angemessenen Entschä digungsanspruch zu sichern. — Nachdem auf Verfügung des Ministers des Innern da- Strafmittel der körperlichen Züchtigung in den Weiber-Strafanstal« ten vorläufig auf ein Jahr suspendirt worden war, haben nach Ablauf desselben die Bezirksregierungen über dre Wirkung dieser Annordnung berichtet, und da sich aus den Berichten herausgestellt, daß keine nachtheiligen Folgen hervorgetreten sind,-so hat der Mi nister der von einzelnen Seiten noch befürworteten Beibehaltung jenes Strafmittels zur Unterdrückung besonderer Renitenz und