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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 21.05.1885
- Erscheinungsdatum
- 1885-05-21
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188505211
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18850521
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18850521
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1885
-
Monat
1885-05
- Tag 1885-05-21
-
Monat
1885-05
-
Jahr
1885
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 21.05.1885
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«SM«»«» Uuterhalt««gS-Blatt zum emnitzer Anzeiger". emporstreckten und auf das Kläglichste mit ihrem Geheul die aus der Küche hervortönende schrille Weiberstiwme begleiteten. „Da» ist ja ein ganz abscheuliche» Konzert I Wa» giebt r» denn da?" fragte der Baron den auf sein Klingeln hereiutretenden Be dienten. Dieser sagte: er wisse es nicht und wolle Nachsehen. „DaS ist entsetzlich," bemerkte Fräulein von Diestorp, „mein armer Ami sängt auch an, einzustimmen; man wird ja selbst ganz nerven schwach!'- „Du wirst doch nicht auch einstimmen? — Ich werde selbst Nachsehen!" sprach der Baron ärgerlich und ging. So erschien er denn an einem Orte, den sein Fuß woyl seit langer Zeit nicht betreten haben mochte, in dem unterirdischen Reiche der Küche, wo bis dahin Mamsell Meerrettig unumschränkt ihr Zepter, den Kochlöffel, geführt hatte. Auch jetzt schwang sie dies Zeichen ihrer Macht und Herrlichkeit, während ihr Gesicht glühte wie ein Bratofen und ihre Zunge sprudelte wie eine Bratpfanne. Sie setzte soeben dem Bedienten den Thatbestand auseinander, während mehrere Mädchen mit Znhören beschäftigt waren. 7 Als sie den Baron die Treppen stufen niedersteigen sah. begann sie ihr Recitativ aus'S Neue mit wo möglich noch erhöhter Leidenschaft, indem sie sich unmittelbar an diesen wandte: „Rein, gnädiger Herr, so etwas ist noch nicht passirt, seitdem die Welt steht! — Ein solcher Hohn, «in solcher Skandal! — Und da müssen Euer Gnaden sogar in die Küche kommen, wo es gerade auSfieht, wie in einem Schweinestalle, aber um diese Zeit, das kann ich zur Entschuldigung sagen, sieht eS immer so aus, kann nicht anders! — Hurtig, Mädchen, räumt auf! —Nein, Herr Baron, einen solchen Aerger habe ich noch nicht die Ehre gehabt, zu haben, so lange ich die Ehre habe, für eine hochgnädige freiherrliche Tafel zu kochen! Ich bin ganz alterirt! Das ist noch mein Todtschlag!" „Beruhigen Sie sich; erzählen Sie mir, was hier loS ist!" „Was ist los? — Denken Sie sich, gnädigster Herr, Sperlings «ier! — Wenn noch ein Richter auf Erden ist und ein Gott im Himmel — Sperlingseierl" „So besinnen Sie sich doch," fuhr der Baron sie ungeduldig an, „und erzählen Sie kurz und bündig, was es damit für eine Be- wandtniß hat " „SperlingSeier!" seufzte Fräulein Meerrettig mit einem riesigen Seufzer; „kann ich mit Sperlingseiern etwas machen? Mir Sper lings«» zuzumuthen, mir eine solche Schande anzuthun!" — „Werde ich nun bald erfahren, was es giebt?" unterbrach der Baron sie zornig. „Alles sollen Sie erfahren, gnädigster Herr, Alles! —Ich schicke also nach der Oekonomie hinunter wegen ein Paar Schock Eier, und da schickt mir der Amtmann lauter SperlingSeier und läßt sagen: das wären auch Eier, und weiter als „Eier" stände nichts im Kontrakte. Kann ich mit SperlingSeiern kochen und wirthschaften? Ist das nicht rin Schimpf, der unserer sreiherrlichen Küche angethan wird? Sind Sperlingseier Hühnereier? Sehen Sie hier, lauter erbärmliche Sper lings«'«, das soll im Kontrakte stehen und das sollen Eier sein?" Der Baron sah fiirurunzelnd auf die im Korbe befindlichen Sperlingseier und befahl, dieselben dem Amtmann Schneegans mit der Weisung zurückzubringen: Man verbitte sich dergleichen unpassende Späße und er solle augenblicklich Hühnereier schicken, oder die Folgen gewärtigen Der Bote kam mit der Antwort zurück: Es sei im Kontrakte uur von Eiern d e Rede, Sperlings eier wären auch Eier. Der Bote hatte noch etwas zu sagen, wollte aber nicht damit heraus, bis der Baron befahl, er solle es aussprechen, möge eS sein, was es wolle. Da gestand er denn, der Amtmann habe gesagt, das fei noch lange nicht so schlimm, als wenn der Baron von ihm das Pachtgeld dafür verlange, daß er ihm von seinem Wildungeziefer die Ernte abfressen lasse. Eine Liebe sei der andern Werth. Das wären noch ganz andere Sperlings«'« I „Der Naseweise!" zürnte der Baron, „das soll ihm gelehrt werden." Er dachte dabei an einen Prozeß, den er am liebsten durch eigenes gewaltthätigcs Eingreifen abgekürzt hatte, wie eS ihm im Blute lag In diese Beunruhigung des Schlosses fiel die Rückkehr des russischen Grafen, der plötzlich in einer Miethkutsche mit vermehrtem Gepäck und von seinem Bedienten begleitet, erschien. Der Baron und Fräulein von Diestorp empfingen ihn im Salon. „Ach," sagte die Letztere, „wir haben Sie schon sehr vermißt, lieber Graf, es hat sich in der letzten Zeit hier so Manches verändert!" Sie begleitete diese Worte mit einem leisen und bedenklichen Kopfschütteln. „Was sich hier seitdem eingefnnden hat!" fuhr sie sentimental fort. „DaS läßt sich wohl noch ertragen!" warf der Baron mit einem zürnenden Blicke auf seine Verwandte ein, die nur mit einem Achselzucken antwortete, dann ab» plötzlich ausrief: „Mein Gott, was ist Ihnen denn passirt, Herr Graf? Sie tragen ja ein Pflaster im Gesicht! Haben Sie in der Zwischenzeit eine Ehrensache ausgefochten? — Wie schön das steht! — Es wäre Ihrer nur würdig, gestehen Sie es, Graf!" „Es ist nur ein unbedeutender Riß, den ich beim Wagenumwerfen davontrug." (Fortsetzung folgt,) Blumen und Blüthen sind die Gaben de- FrühlingsgotteS; in ihren Kelchen und Samenhülsen sitzen die Lichtgeister verborgen: — sie btingrn Helle Gedanken, frohen Sinn und reine Herzen; darum auch nährten sich die Gnostiker nur von Pflanzenkost. Sie waren Vegetarier auS religiöser Ueberzeugung; denn der Carnivore, der Fleischverzthrende, nimmt die bösen Geister, Wildheit, Zorn und Streitsucht, die in den Zellen des geschlachteten ThiereS Hausen,ft in sich auf. DaS Reich der Ostara ist überall in Haide, Wald und Garten gegründet; die Herolde des Lenzes, seine heiligen Boten Schwalbe und Storch, sind schon in's Land geflogen. Im Mittel- alter mußten die Thürmer in den Städten diese Frühlingsherolde mit einem Horalied begrüßen und dafür wurde den Wächtern ein Ehren trunk au» dem Rathskeller geboten. Der dritte heilige Lenzbote läßt lange auf sich warten. Es ist dies, nach dem Glauben des Volker, der Maikäfer. In Schleswig zogen einst die Spinnmädchen zu Beginn des Mai in die Auen hin aus; sie haschten nach Maikäfern. Die Maid, welche den ersten fing, wurde mit grünem Laub geziert und von den singenden Freundinnen in das Dorf heimgeführt. Mit dem Erscheinen des dritten Lenz Heroldes, des Maikäfers, schlossen sich die Spinnstuben. Der Ma ist gekommen. „Er bläst das Licht aus Und jagt die Mädchen zur Stube hinaus." singt ein altes Spinnlied. In den süddeutschen Gauen lies die Jugend zu Maianfang in den Wald hinaus und suchte die „ersten viol". Wer das erste Veilchen gefunden, sprang mit dem Ruf: „ich hau den Sumer vunden" heim, und das ganze Dorf zog dann zur Stelle, wo die Blume sproßte. Der Bürgermeister brach da» Veilchen, steckre eS auf eine Stange und Alles tanzte um dieselbe. Sie wurde auf dem Markt platz aufgepflanzt und ist die Vorläuferin des MaibaumeS geworden, der noch heute in vielen Gegenden aufgerichtet wird. Am Hof des liederreichen Markgrafen Leopold von Babenberg erhielt der Glück liche, welcher die erste Maiblume fand, einen goldenen Becher zum Geschenk. Der Mai ist der Repräsentant des Sommers, der jetzt seinen siegreichen Einzug in das Land hält. Nach der Edda waren Sumar, dessen Vater Swasuar der Süße hieß, und Vetr, der Sohn des Vindvalr, des Feuchten, Kalten, zwei Riesen. Wenn die Herrschaft des Lichtgottes Baldur auf Erden begann, entstand zwischen den beiden Riesen ein Zweikampf, der wochenlang dauerte und mit dem Siege des Sumars endigte. Dem letzteren fand der Gott Dunar, der Schützer der Erdfrüchte, im Streite bei; er ist durch den Maimonat versinnbildlicht, weshalb ein Lied des Mittelalters singt: Ich lobe die Maje, diner Kraft du Most Sumer sieghaft. Der Sieg des Sommers über den Winter wurde in allen i>cutschen Ländern vom Volk, durch Jahrhunderte, mit Jubel gefeiert. Die Dorfleute thcilten sich in zwei Gruppen, von denen die eine in Pelze und dichte Kleider gehüllt, den Winter-Riesen darstcllte, während die zweite einen Anführer wählte, den „Maj- oder Blumengrafen"; re schmückten sich mit Maienkränzen und kämpften, bewaffnet mit girkcnzweigen und Lindenruthen gegen das Gefolge des Winters, das Asche und dürre Neste als Waffen führte. Der Maigraf siegte stets. Dann mußten sieben Dörf« de,, Maiwagen bauen, ihn mit sechSzig bis hundert Bündeln Maienkränzen beladen und in feierlichem Pfingsten. Eine kulturgeschichtliche Betrachtung von Guido de Santi- (Nachdruck verboten.) Wochen und sonnumflossene Tage sind vergangen, seitdem Ostern, die lichtfreudige und wärmespendende Erdenmutter, in das Land ge zogen. Fahl und dürr vom Wiutersturm und Schnee lag damals daS Wiesenland; jetzt dampft die Scholle im Sonnenschein und das sanftfarbige Grün des jungen Grases kommt aus dem Erdschooß hervor. DaS Gras ist der erste Gruß des wiederkehrenden Frühlings, und die glitzernden Thauperlen, die in den zitternden Halmen des GraseS hängen, sind die Freudenthränen im Auge des holden GotteS Auf der Scholle, wo kein Gras wächst, lastet der Fluch der Gottheit, Wie das duftige Gras das Symbol des Segens und der himmlischen Huld ist. Hinein in den Wald! Ein leises, laues Wehen zieht durch die kahlen Wipfel, es sind die Stimmen der Lichtgeister, welche in der Finsterniß der Erde ge fangen, oder im Holze der Bäume eingeschlossen sind. Nach dem Glauben der christlichen Gnostiker werden diese Licht geister nur durch die Blüthen und aufsprossenden Blumen erlöst. Im Gezweige ringt sich Knospe um Knospe aus der hemmenden Hülle los; der Fliedcrbusch schmückt sich mit tausend Dolden, der Hasel strauch und die schlanke Birke hängen ihre grünen Blätterschleier um die schwankenden Aeste. An den Erlen und Buchen flattern die „Kätzchen", und von der Esche, dem Symbol der deutschen Treue, rieselt eine Knospenschale um die andere in's grünende Moos nieder. Nur die Fichten, Tannen und Föhren bleiben unbewegt vom Lebens hauch des Lenzgottes. Sie ragen noch im glanzlosen Wintergrün, düster wie ein Todesgcdanke; denn erst der Sommer wird mit seinem sengend heißen Kuß sie aus der melancholischen Starrheit erlösen. Zuge zur Stadt führen, wo ihn der Bürgermeister, Rath und die ganze Einwohnerschaft empfing. Mit den Maienkränzen zierte man die Thore der Stadt, daS Rathhaus und in einer späteren Zeit auch die Kirchen und Klöster. Der Maiengraf, der in einigen Gegenden auch Maienkönig hieß, durchzog die Straßen der Stadt und diese waren mit jungen Buchen und Birken geschmückt. Das war die Feier des heidnischen Volkes, mit der es die Wiederkehr des Sommers begrüßte. Als daS Christenthum in Deutsch land verbreitet worden, wurde das Fest des Maienkönigs und Mai- rittcs auf den Pfingstsonntag verlegt. Seit Ostern sind fünfzig Tage — Pentekoste — verflossen; mit der Feier der Pentekoste, auS dem das Wort Pfingsten entstand, schließt der Jahreskreis der kirchlichen Feste. Pfingsten ist in lithurgischer Beziehung die Erinnerungsfeier an die Ausgießung des heiligen Geistes über die Apostel und das Gegenbild des Babylonischen Tempelbaues. Wie dort die Einheit de» Menschengeschlecht» durch Neid und Zank zersplitterte und die gemeinsame Sprache der Völker verwirrt wurde, so hat der Geist der reinen Liebe, der über der ersten christ lichen Gemeinde schwebte, sie derart erfüllt, daß Alle nur „eines Sinnes und Herzens" wurden. Das Symbol des Geistes GotteS, der am Pfingstfest erschien, ist die Taube, der Sendbote des Friedens, der nach der Sintfluth den Oelzweig, das Zeichen der wiederkehrenden GotteShuld, dem Noah brachte. Sie ist wegen ihres silberweißen Gefieders und auch nach dem Glauben des Volkes, weil: „si hat der Gallen nit" — so recht das Symbol der Herzenseinfalt und friedlichen Gesinnung. Zu Pfingsten, am ersten Tag dieses Festes wurde und wird auch heut zu Tage noch das Vieh zur Weide getrieben. Der Knecht, welcher zuletzt seine Herde aus dem Dorfe führte, wurde mit Strvhbüschen bedeckt und unter dem Rus „Pfingstschläser — Pfingstlümmel" verspottet; die Kuh, welche zuerst das Reich des Riesen Sommer, die Weide, betritt, wird mit Blumen bekränzt, und der Junge, der sie leitet, empfängt Kuchen unv Wein; er heißt „der Pfingstkäärl". Im bairischen Hochgebirge und in Tirol werden zu Pfingsten die Heerden von den Sennerinnen auf die Alpentriften geführt; die Sennerin, welche zuerst auf der Höhe ankommt, wird als „Maibraut begrüßt und mit Blumen, Kränzen und bunten Bändern gekrönt. So feiert zu Pfingsten seit Jahrtausenden dar Volk im tradi tionellen Festhalten an die Sagen des HeidenthumS, den Riesen-Sieg de» Lichtes und des gabenspendenden Sumar über den lichtfeindlichen, alles in die Fesseln der Erstarrung bindenden Winter; und die christliche Kirche hat diese Feste des NaturkulleS durch tiefsinnige Gebräuche auS ihrer Liturgik erhöht und durchgeistigt. In den katholischen Ländern z. B. schwebt am Pfingstfest während des Gottesdienstes eine Weiße Taube, die an einem vielfach gewundenen Seil hängt, von der Decke des Gotteshauses und fliegt in weiten Kreisen üb« den Häuptern der Gemeinde. Sie ist das Sinnbild des lieblichen, blumendustigen Maies, der, getragen von den feurigen Strahlen der Sonne, die wie die glühenden Zungen am Apostelfeste leuchten, sich auf die Erde niedersenkt. Er bringt Segen und Früchte und füllt auch die Seele mit Sonnenschein, daß auch sie ihr Psingstlied anstimmt: „So weit ist mein Herz und blau der Tag, Wie die Lüfte durchjubelt von Lerchcnschlag. Stoch ist die blühende, goldene Zeit Weil das Leben uns — mait!" Begräbnißgcbräuchc früher und heute. (Nachdruck verboten ) In seltsamster Weise vermischen sich bei den Begräbnißgebräuchen der „alte" und der „neue" Glaube, heidnischer Brauch mit christ lich« Sitte. Germanische Krüger beerdigten ihre Schlachtgenossen. Auf offener Haide gruben sie das Grab, und auf einem Brette, in voller Waffen rüstung, wurde der Tobte der Erde übergeben. Die besten Waffen und seinen Schmuck legte man ihm bei, damit er in der andern Welt ehrenvolle Kämpfe bestehen könnte. Die Straße war weit, die der Todte zurückzulegen hatte. Deshalb erhielt er festes Schuhzeug, auch Speise und Trank, Stahl und Stein. Selbst ein Reisepfennig durste nicht fehlen. Ueber das Grab aber legten die StammeSgenossen schwere Steine und zogen dann ihres Weges weiter. Verschiedentlich herrscht die Ansicht, die alten Deutschen hätten ihre Todten verbrannt. Jedoch haben viele Ausgrabungen erwiesen, daß zur Steinzeit, d. h. zur Zeit, al» man aus Feuersteinen sich noch Waffen rc. zurechthieb, daS Begraben üblich war. Erst später, in der Eisenzeit, also zu der Zeit, als man die Verarbeitung dieses Metalls kennen gelernt hatte, da verbrannte man die Todten. Doch auch in dieser Zeit war noch das Begraben neben dem Verbrennen üblich, das beweisen gleichfalls viele Grabhügel, in denen man neben verbrannten Gebeinen unverbrannte Gerippe vorfand. Nach der altdeutschen Göttersage hat Odin selbst die Verbrennung eingeführt. Er sagte Jedem, dessen sterbliche Ueberreste die Flamme verzehrt, Aufnahme in Walhall zu, und je höher der Rauch bei der Todtevfeier stieg, desto mehr ehrte Odin den Todten. Als der lichtstrahleude Gott Baldur durch deS tückischen Loki List gefallen war, da versammelten sich die Götter zu einer Leichenfeier. Auf dem Todtenschiff erhob sich der mächtige Holzstoß, auf dem, reichgeschmückt, der Gefallene lag. Weinend kam Nanna, Baldurs Gattin, herbei. Der Schmerz brach ihr das Herz und so wurde sie neben den todten Gemahl gelegt. Baldur's Roß, mit kostbarem Sattel zeug geschmückt, mußte gleichfalls seinem Herrn folgen, und nun weihte Thor mit seinem Donner-Hammer die Flammen. Odin selbst gab noch dem Geliebten seinen kostbaren Ring mit und sprach ihm geheime Worte ins Ohr. Hochauf schlugen dann die Flammen, und die Winde entführten das Schiff. Die Götter, am Ufer stehend, sahen eS steigen und sich neigen, sinken und schwinden in den grund losen F'uthen des Ozeans. Die nordische Sage weiß von alten Seekönigen, die auf ihrem Schiffe und mit demselben verbrannt wurden. In prunkenden Ge wändern wurden sie an Bord gebettet, um sie lagen ihre Pferde, Hunde, Falken und Sklaven. Dann wurde das Segel gehißt, der Anker gelichtet, das Fahrzeug vom Lande gestoßen und die Brand fackel hineingeworfen. Das Schiff glitt dann über die Fluthen, bis es in der Tiefe versank. Treue Diener, auch die Gattin, gingen oft freiwillig mit in den Tod. Zahlreiche alte Helden ruhen in Gräbern am Meere beim Rauschen der Wogen. Oftmals gab man ihnen ihr Schiff, ihr Streitroß, den Streitwagen mit in's Grab, damit sie nach Belieben- nach Walhall fahren oder reiten könnten. Hatte bei Leichenverbrennungen am Lande die Flamme ihr VernichtuvgSwerk gelhan, so nahten sich die Verwandten und löschten die Gluth. Die Ueberreste wurden in einer Urne gesammelt und im Grabe beigesetzt. Gewöhnlich legten die Trauernden noch Liebesgaben in und um die Urne. War das Grab geschlossen, so wurde an dem- clben das Todtcnmahl gehalten. Nach Beendigung derselben zerbrach man die Geschirre, aus denen man gegessen und getrunken und streute die Scherben, sowie die Ueberreste des Mahles auf das Grab. Daß man noch heute beim Begräbniß vornehmer Herren das Pferd im Trauerzuge mitführt, daß man heute noch Prunkvolle Leichenessen, den Leichenschmaus oder Todtenschaus, giebt, dürfte wohl seinen Grund in den alten Gebräuchen haben. In einzelnen Gegenden reiht sich an die Leichenbestattung ein unschönes Trinkgelage noch heute an. Die Leichenverbrennung hörte mit der Einführung deS Christen thums in Deutschland auf, doch hielt sich bei den slavischen Völkern und den Bewohnern der Ostseeküste der Gebrauch noch länger. In Polen wurde noch im zehnten Jahrhundert die Frau mit dem todten Manne verbrannt, die Litthauer ließen erst 1250, von den Ordens rittern gezwungen, davon ab. An der kurländischen Grenze soll sogar noch im siebzehnten Jahrhundert ein vornehmer Herr mit vielen Kostbarkeiten, seinem Pferde, seinen Jagdhunden und — seinem Diener verbrannt worden sein. Unsere Vorfahren trauerten nicht schwarz, sondern weiß, und heute noch gilt in manchen Gebirgsthälern der Schweiz weiß als die Trauerfarbe, heute noch glaubt und meint das Volk, daß dem der Tod sicher bevorstehe, der von weißen Mäusen, weißblühenden Pflanzen, weißen Haaren oder weißer Wäsche träumt. Auch andere „Anzeichen des Todes", an die man namentlich auf dem Lande glaubt, sind aus grauer Vergangenheit der Gegenwart überliefert worden. Im leise klapsenden Holzwurm glaubte man schon in der Heiden- zeit den Tod zu hören, wie er an die Thür klopft, und der Schrei der Eule galt als todbringend. Stirbt ein Tugendhafter, so geht die Seele aus seinem Munde in Gestalt eines weißen Wölkchens. Wird aber die Leiche aus dem Hause zu Grabe getragen, so werden Fenster und Thürcn hinter ihr geschlossen, damit der To)te nicht wieder zurückkehre. Bevor die Leiche in den Sarg gelegt wird, müssen ihr die Nägel an Fingern und Zehen beschnitten werden. Auch Haar- und Bartschnitt waren in der altdeutschen Leichenordnung von Be deutung, wie überhaupt die größte Sorgfalt auf Reinigung und Belleidung der Leiche verwendet wurde. Altnordische Sitte war es, daß dem Todten Schuhe mitgegeben wurden. Wer schlechte Schuhe wählte, der sollte den Todten hören, wie er Nachts im Hause umher- schlürft. Wie bei unseren Vorfahren, so ist es auch jetzt noch an vielen Orten Brauch, der Leiche Geld ins Grab mitzugeben. Wer kein Geld bei sich hat, sagt der Aberglaube, der muß mit den Gliedern seines eigenen Leibes die Ueberfracht über den Todtenstrom bezahlen. Bei der Bestattung hatten ursprünglich alle Anwesenden mitzuhelfen. Daran «innert unser heutiger Gebrauch, wonach jeder der Leid tragenden einige Hände voll Erde auf den Sarg wirst. Man darf auch einem Verstorbenen nicht zu lange nachweinen, sonst nimmt man ihm die Ruhe. Die Thränen empfindet der Todte als frisches Blut in seinem Herzen und seinen Adern. Darum heißt eS in einem schwedischen Volksliede: „Denn jeglilbe Thräne, die Deinem Ang' entquillt, Macht, daß sich mein Herz mit Blut ansüllt; Doch jegliches Glück, das Dein Herz bewegt, Den Sarg voll duftiger Rosen mir legt." Aus diesem weitverbreiteten Glauben erklärt sich auch die Heiter keit, die bei Leichenmahlen dann und wann obwaltet und die sich sogar bis zu Sang und Tanz versteigt. Der Hagedorn, von dem es eine weiß- und rothblühende Art giebt, war der zur Leichenverbrennung vorgeschriebene Strauch- und Brenndorn. Au ihm wächst die moosgrüne Wucherung, die als Schlafapfel, Schlafdorn, Moosrose, Dornrose bekannt ist. Odin steckt einen solchen Zweig der Brunhild unter's Haupt, als die Gluthen ihres Scheiterhaufens sie einschließen. Das Kindermärchen aber hat sich das Dornröschen daraus gebildet, das hinter undurchdringlichen Dornenhecken im Zauberschlafe liegen muß. Wie noch jetzt ein Grab jedem gebildeten Menschen ein geweihter Ort ist, so war eS auch unseren Vorfahren heilig und unantastbar. Eine Entwendung an Gräbern begangen, hieß in altdeutschen Gesetzen nicht Todtendiebstahl, sondern Todtenraub und wurde schwer bestraft. Ließ aber ein Geschlecht die Gräber seiner Ahnen verfallen, so galt das für ein gewisses Zeichen, daß dieses Geschlecht dem Untergänge nahe sei. So lassen sich die meisten noch jetzt existirenden Begräb- nißgebräuche, von denen hier nur vereinzelte genannt worden sind, auf die alte Heidcnzeit zurücksühren. Verantwortlich« Redakteur Franz Götze in Chemnitz. — Druck und Verlag von Alexander Wiede in Chemnitz.
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