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Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 16.05.1885
- Erscheinungsdatum
- 1885-05-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id512382794-188505161
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id512382794-18850516
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-512382794-18850516
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote
-
Jahr
1885
-
Monat
1885-05
- Tag 1885-05-16
-
Monat
1885-05
-
Jahr
1885
- Titel
- Chemnitzer Anzeiger und Stadtbote : 16.05.1885
- Autor
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Unterhaltungs-Blatt zum „Chemnitzer Anzeiger' sunektion nicht ausheben und schadlos machen könne. Schill ertheilte daher am 14. Februar 1807 von Greifenberg aus an den Wacht in ister Griese, welcher von Sachsen aus zu ihm gekommen war und jetzt mit 18 Husaren in Belgard stationirt war, den Auftrag, die sogenannten Jnsurgenten-Chefs, welche sich auf einem Schlosse in der Nähe von Ruthenberg und Hammerstein aufhalten sollten, lebend oder todt aufzuheben, und überließ es diesem, sich soviel Leute, wie cr dazu nöthig glaubte, mitzunehmen. Der Wachtmeister Griese wählte sich sechs seiner besten und bewährtesten Leute aus und ließ dio anderen zwölf Mann zur Beobachtung des Postens zurück. Lasten wir jetzt den alten Veteranen selbst erzählen: „Es war ein kitzlicher Auftrag, d:r mir von Schill wurde, und obgleich ich mir die Gefährlichkeit der Ordre, «die Anführer mitten aus ihren Leuten herauszuholen*, nicht verbergen konnte, so war cS wir doch ganz recht. Unter der Beobachtung der größten Vorsicht zog ich mit meinen Leuten, meist auf Nebenwegen, von Belgard aus nach Neu Stettin, Passirte am anderen Tage Ratzebur in Westpreußen und kam endlich am dritten Tage, Abends spät, zwischen Hammer stein und Ruthenberg, bei einem Dorfe an (der Name ist mir ent fallen), rechts von der großen Straße nach Conätz. Es hatte in diesen Tagen bei mäßiger Kälte tüchtig geschneit, der Boden war über Vü Fuß hoch mit Schnee bedeckt und der bezogene Nachthimmel schien noch mehr zu verkünden. Bis hierher war ich glücklich gelangt, doch nun mußte es sich in wenig Stunden ergeben, ob mein Unlcrneh nen glücken würde oder nicht; denn durch die eingezogenen Erkundig!» „>..l wußte ich, daß die von mir Gesuchten sich sämmtlich auf dem etwa 300 Schritt vom Dorfe Ruthenberg entfernten Schlosse, bewacht von einer Leibwache und geschützt durch das mil 80 Mann polnischer Insurgenten Truppen besetzte Dorf (welches ich wegen einer Brückenpassage nicht umgehen konnte) befanden. Es wurde immer dunkler und endlich schneite es mächtig. Wollte ich mich nicht verirren, so bedurfte ich eines treuen Führers. Wo aber den herbekommen, ohne Lärm zu machen, ohne sich inmitten der Feinde zu zeigen, zu verrathen, und das bis her günstige Unternehmen zu vereiteln? — Ich ließ halten, nahm zwei Mann zu meiner Begleitung und ritt zu diesem Zwecke dem Dorfe zu. Es konnte etwa zehn Uhr sein. Das erste Haus rechter Hand, wo sich hinter den Fensterläden ein schwacher Lichtstrahl be merkbar machte, war mein Ziel. Ich rückte bis dicht vor's Haus, saß ab, übergab mein Pferd meinen Leuten, schlich ganz leise auf den Flur und öffnete rasch, das gespannte Pistol in der Hand, die vorn Flur aus links gelegene Stubenthür. Eintretend bei einer friedliche» Schusterfamilie, sprach ich: „Ruhig! Kein Laut komme über Eure Zunge, dem Ersten, der dawider handelt, jage ich diese Kugel durch den Kopf!* Manu, Frau und Kinder stürzten weinend zu meinen Füßen, flehten um Gnade und ihr Leben, das sie in Gefahr glaubten, und ich hatte genug zu thun, um sie nur zum ruhigen Verhalten zu bewegen und ihnen kurz zu erklären, wie ich zur Vor hut eines bedeutenden Korps, welches Schill selbst kommandire, gehöre, »ud wie ich dazu bestimmt worden sei, einen Mann, der die Gegend ke»! e, aus dem Dorse zu holen und ihn, den Schuster, dazu ersehen habe, wofür er gut bezahlt werden solle; ich warf zur besseren Le pta- digung meiner Angabe der Frau einen Thaler zu und hieß den Manu folgen. Dieser war dazu bereit, doch Frau und Kinder erhoben jetzt ein Geichrei, daß ich alle Energie aufzuwenden hatte, um sie zu beschwichtigen. Es gelang mir endlich, und ich schied mit der Drohung: daß kein Wort über diesen Vorfall — wenn sie ja ihren Mann Wiedersehen wolle — über ihre Zunge kommen möge, schwiege sie aber, so würde sie nicht allein in einigen Tagen ihren Mann wieder haben, sondern könne auch noch einer besonderen Belohnung gewärtig sein. Rasch war ich wieder zu Pferde, nahm den armen, vor Angst und Frost zitternden Schuster vor mir auf den Gaul und eilte '' " """ ^ Lrnieu zu. Zss öcr WäylMO Der Schuster mußte jetzt die ihm cingelernte Rolle in dem Drama spielen. Zitternd und bebend klopfte er an die Thür. — Aengstliche Stille; Nicht- ließ sich hören. Er klopfte zum zweiten Male und stärker. — Da näherte sich endlich nach einer Pause im langsamen und schleppenden Gange Jemand der Thür, schlaftrunken fragend: „Wer ist da?* „Ein Bote an die Herren Ognofsky und Pleschewsky mit sehr eiligen Briefen, die ich selbst ihnen abgeben muß und worauf ich Ant wort bekommen soll. Macht auf, Peter! Ich bin's ja!' „Ach, Ihr seid'-, Meister? Wartet uur ein wenig, ich will erst eine Laterne aus der Wachtstube holen, in der die Kerle, betrunken wie das Vieh, darniederliegen, und Euch in's Gesicht leuchten, denn sonst darf hier Niemand eingelassen werden, so lautet der Befehl unseres gnädigen Herrn. Nach einigen Minuten — die uns zu Stunden wurden — kam endlich Peter allein wieder und öffnete, was ich nicht vermuthet hatte, elne in der Thüre angebrachte Klappe und schob seine Laterne hin durch, um sich von der Identität des Schusters zu überzeugen. Blitzschnell schob ich den Schuster davor, den ich hinten am Kragen hatte. Dieser wechselte noch einige Worte mit Peter, und da Letzterer nichts Verdächtiges gefunden hatte, so öffnete er die Thür und trat heraus. In demselben Augenblick hatte ich ihn so gefaßt, daß auch nicht ein Laut über seine Lippen kam; und meine Leute brachten ihn ge bunden in Sicherheit. Unter dem Thorwcge angekommen, fanden wir die Gewehre, Flinten und Lanzen der Wachtmannschaft, von der selbst jedoch Nie mand zu sehen war. Wir brachten nun die Waffen bei Seite. Wir wußten jedoch aus den Worten Peter's und den Lokalmittheilungen unseres Schusters, daß die Kerle sämmtlich in der am Hausflur ge legenen Stube sich schlafend befanden. Ich war auf jeden möglichen Fall gefaßt und schloß den Thor weg, um jedes Entrinnen zu verhindern. Jetzt öffnete ich still die Wachtstube und zählte vierzehn Mann. Der süße Schlaf halte seine Mohnkörner über die schnarchende Menge ausgcgosseo, bunt lagen die Schläfer auf dem Fußboden aus- gestreckt da, von denen die meisten das Sonnenlicht nicht mehr erblicken öllten Flaschen und Krüge, größtcntheils zerbrochen, lagen in Menge umher, und wie der starke Branntweindunst bezeugte, mußte die Nacht zu einem Bacchanal von ihnen verwendet worden sein. Obgleich es nicht in meinem Plane lag, ohne Noth Blut zu Schrei des Entsetzens auf den Leichnam des Gatten und schrie mit der höchsten Leidenschaftlichkeit: „Blicken Sie her! Das ist Ihr Werk — tödten Sie auch mich, was soll mir ferner das Leben!* — Was sollte ich wohl der armen verzweifelten Frau erwidern? Gründe für meine Handlungsweise reichten hier nicht aus, denn das liebende Weib würde schwerlich selbst den bündigsten; militärischen Grund anerkannt haben. Ich ehrte ihren Schmerz und bedauerte es aufrichtig, daß gerade mich das Geschick zum Vollstrecker diese» Drama» erkoren, wobei ich doch nichts als meine Pflicht erfüllt hatte. Der Boden brannte mir so schon unter den Sohlen, und ich beeilte meinen Abzug umsomehr, um nicht länger Zeuge dieses Jammers zu sein und nahm weiter nichts als 3 Pferde, einige Lanzen, Säbel, Sattelzeug und Montir- ungen mit mir, die ich später nebst fünf gefangenen Franzosen — die ich auf meinem Rückwege in meine Hände bekam — an Schill nach Greifenberg ablieferte. Mein Trupp war bald geordnet und vorsichtig rückte ich gegen das Dorf vor. In der Nähe angekommen, hörten wir nur zu deutlich, wie Alles aus den Beinen war, und so konnten wir, durch das Schnee licht begünstigt, ganz gut eine dunkle Infanterie-Maste erkennen, die uns den Rückweg verlegt hatte und auf uns lauerte Hier galt kein Zaudern, weil auch Kavallerie im Dorfe war, und so überließen wir uns der Führung unseres Schusters, der Weg und Steg kannte; und was das Zeug nur halten wollte, ging's vorwärts. Nur zu bald sollten wir erfahren, daß wir von allen Seiten verfolgt und ausgesucht wurden. Denn etwa zwei Stunden darauf fiel uns eine Patrouille von drei Mann in die Hände, die wir niederhieben. Von dem einen Schwerverwundeten erfuhren wir, daß auf meinen Kopf 1000 Gulden gesetzt seien, wer mich todt oder lebend einbrächte. Doch zu unserem Glücke schneite es wieder tüchtig, so daß unsere Spur immer bald verweht war, und nur diesem günstigen Zufall hatten wir es zu danken, daß wir weiter kamen und nicht entdeckt wurden. Ich nahu»> meinen Rückzug über Groß- und Klein Kidda, wo ich endlich füttern lasten konnte, von da nach Neu-Stettin, Dorf Pastanzig und Polzin. Hier aber angekommen, erfuhr ich von den treubn Landbewohnern, wie alle Wege und Stege besetzt und Alles aufgeboten wäre, um mich einzu- angen. Ich warf mich in die Wälder zwischen Polzin und Beer- valde und nahm hier meinen beständigen Aufenthalt, indem ich hoffte, bald erlöst zu werden. Doch leider sollte dies vierzehn Tage dauern. Das bisherige Schneetreiben halte aufgehört, das Wetter klärte ich auf, aber dafür wurde es von Tag zu Tag kälter und endlich Vergießen, ich auch glaubte, daß die bereit- fortgenommenen Waffen > markdurchdringend. AnfängNch vermied ich, Feuer anmachen zu lasten, die einzigen der Wachmannschaft seien, so sah ich mich hierin insofern doch endlich ubcrwog das Bedurfmß jede Vorsicht, und wenigstens gewesen; denn, nachdem sich seine Furcht gelegt und ich sein Zutrauen gewonnen hatte, erwies es sich, daß er nicht allein sehr genau Be scheid wußte, sondern mir außerdem noch von großem Nutzen sein kvnnte. Von dem Schuster erfuhr ich Folgendes: Das Dorf Ruthenberg sei heute früh von etwas über achtzig Mann Jnsurgenten-Truppen, Reiterei und Fußvolk, meistens wildem Gesindel, besetzt worden. Die Chefs derselben wären auf einem dreihundert Schritt vom Dorfe entfernten und von zwölf Mann be wachten Schlosse anwesend. Alle hielten sich für ganz sicher und hegten nicht die geringste Vermuthung eines feindlichen Angriffs, daher wären sämmtliche Leute betrunken; man tanze und juble in den Häusern der Einwohner und Wachtposten wären nicht ausgestellt. Zu um gehen sei das Dorf nicht; ich müsse, wenn ich nach dem Schlöffe wolle, mitte» durch, weil eiue^Brücke oder Fuhrt nirgends anders an- getrofseu werde. Ich verhehlte mir die Schwierigkeit und das Gefahrvolle meiner Lage, falls ich entdeckt würde, nicht; doch dies konnte mich nicht zurückschrecken. Aus Erfahrung wußte ich. daß, je gewagter öfters ein Unternehmen begonnen, je bester es gelungen war, und vertraute der alten Soldatenregel: „Dem Kühnen lächelt das Glück". Viel hatte ich insofern für mich, als der Feind alle Vorsichtsmaßregeln versäumt, keine Posten aufgestellt und ich nur mit irregulären Truppen zu thuu hatte, wobei ich auch auf die Ueberraschung rechnete. Ich hatte zwar uur wenige, aber tüchtige, gewandte und dienstersahrene Leute, auf die ich mich ganz verlassen konnte, und welche durch die Schilderungen über das schändliche Verfahren der Insurgenten, die uns von den armen Bewohnern der Umgegend gemacht worden Waren, so in Harnisch gerathen waren, daß sie mit dem Teufel an gebunden hätten Unter Führung des Schuster- rückte ich mit meinem Kommando bis ungefähr eine Viertel Meile von Ruthenberg und postirte mich so, daß ich vor jeder möglichen Entdeckung gesichert war. Obgleich der Schnee fußhoch lag, so ließ ich dennoch zur größeren Sicherheit die Hufe der Pferde umwickeln und die Waffe» so befestigen, daß kein Geräusch entstehen konnte. Nachdem dies Alles nach meinem Befehl vollzogen war, ritt ich selbst vor. rekvgnoszirte das Dorf und fand alle Angaben unseres Führers bestätigt. Zu meinen Leuten zurückgekehrt, ließ ich noch füttern, weil ich vor Mitternacht nicht das Dorf passiren wollte, da ich dann um so sicherer glaubte, dies uugestört und unbeachtet thun zu können, weil dann gewiß die Mehrzahl der tanzenden, jubelnden und trunkenen Mann schaft in den Arme» des Schlafes liegen würde. Die Dorfuhr schlug endlich zwölf; nun gings in Gottes Namen vorwärts, gerade auf Rutheuberg zu; Niemand begegnete uns. Wir hatten bald die Mitte des Dorfes erreicht, wo noch in einigen Häusern getanzt wurde, wurden jedoch oon Niemand bemerkt. Wie eine Äeisterschaar zogen wir in Schnee gehüllte Männer still dahin und halten auch bald das Ende erreicht. Etwa dreihundert Schritt vom Dorfe entfernt lag isolirt das Schloß, in dem die Anführer sich aushiellen. Wollte ich diese nun ausheben, so konnte und mußte dies wegen der Nähe des Dorfes ganz in der Stille geschehen, weil selbst beim glücklichsten Erfolge ich sonst abgeschnilten und mir der Rückzug versperrt werden konnte. -- Eine von mir abgesandte Patrouille rappvrtirle, daß kein Posten vor dem Schlosse stehe und überhaupt Alles wie in Grabes stille läge. Ich ließ absitzcn, ließ einen Mann zur Bewachung der P,».rde zurück und nahm die übrigen fünf Mann und den Schuster mit mir, schlich mich unter Beobachtung der größten Vorsicht bis an's Schloß und kam so endlich mit meinen Leuten dicht unter den Feustern o.' die Wand gedrückt am Schloßthore an. getäuscht, als ich bemerkte, daß sämmtliche Schläfer Säbel, Pistolen und einige sogar lange Messer als Waffen bei sich führten. Wenn ich also hierin schonen wollte, so hieß dies mein und meiner Leute — bedenkt man unsere Schwäche und berücksichtigt man den mir ertheilten Auftrag — Leben muthwillig auf's Spiel setzen. Ein bedeutungsvoller Wink von mir genügte meinen Leuten; eder nahm sich seinen Mann, und in kurzer Zeit waren wir, ohne >aß Lärmen entstanden wäre, Meister derselben. Die wenigen Ge angenen wurden gebunden und eingesperrt. Jetzt waren wir Herren des Schlosses; nun blieb uns noch übrig, die Hauptaufgabe zu lösen. Die mittlere Etage des Schlosses war noch hell erleuchtet, und mau konnte aus dem öfter nach dem Fenster fallenden Schlagschatten wahrnehmen, daß die Bewohner dort in einem Saale beisammen an- zutresten seien. Ohne Verzug eilte ich mit meinen Leuten vorwärts — der Schuster diente wilder als Führer — und ich besetzte nach dessen Anweisungen die Ausgänge. Als ich eben die Thür öffnen will, tritt ein Bedienter mit einem Stoß Porzellantellern belastet heraus. Vor Schreck läßt der Mensch die Teller fallen, als er uns bärtige Husaren erblickt, und obgleich wir denselben auf die kräftigste Art zum Schweigen brachten, so konnte dieser Austritt doch nicht so geräuschlos vorübergehn, ohne daß die im Zimmer Anwesenden nicht aufmerksam darauf gemacht worden wären, wodurch auch die vorgenommene Ausführung in etwas ver eitelt wurde. Rasch riß ich also die Thür auf und trat, meinen Leuten voran, hinein. Ein rascher Ueberblick zeigte mir vier Männer — wovon zwei in der Blüthe der Jahre, es waren die Brüder Pleschewsky, durch hervorragende, schöne Gestalten imponirten, und zwei ältere, deren einer der Anführer Ognofsky und der andere ein Jude war — so wie zwei Damen von blendender Schönheit, beide die Gattinnen der Pleschewsky. Sofort krachten zwei Pistolenschüsse, wovon die eine Kugel mein linkes Ohr streifte und einen meiner Leute verwundete, von den Brüdern Pleschewsky mir entgegen. Gleiche Brüder, gleiche Kappen! Mein Willkommen schmetterte den jüngeren Pleschewsky todt zu meinen Füßen nieder, das abgeschlossene Pistol warf ich dem fliehenden älteren Bruder in's Genick, Ognofsky, der sich gleichfalls zur Wehr setzte, ward von meinen Leuten der Kopf gespalten, cr nebst dem ander» Todten, sowie die beiden ohnmächtigen Damen lagen am Tage gestatteten wir, uns von der einen Seite braten zu lasten, während wir an der Kehrseite erfroren. Ein Glück war es, daß ich für Proviant, sowohl für die Pferde, als auch für die Mannschaften gesorgt und die Beutepferde damit tüchtig bepackt hatte. Ich wechselte meinen Lagerplatz oft und rekvgnoszirte immer des Nachts, wobei ich nicht genug die Treue und Ergebenheit der dortigen Landleute lobend erwähnen kann, von denen ich durch Mithülfe meine- Schusters, der mein Spion und mein Proviantmeister war, nicht allein Alles erfuhr, was in Bezug auf meine Person von Wichtigkeit und Nutzen war, sondern auch reichlich mit Lebensmitteln unterstützt wurde. Wäre dies nicht geschehen, so hätten wir der barbarischen Kälte gewiß unter liegen müssen. Volle vierzehn Tage kampirte ich so bereits in den Wäldern, und immer noch war die Wachsamkeit meiner Feinde nicht erloschen, wie ich aus der zwei Tage vorher eingezogenen Erkundigung erfahren hatte. Unser Zustand war beinah bis zur Unerträglichkeit gestiegen, und die armen Pferde waren schon wahre Jammerbilder geworden. Der Schuster wurde von Neuem fortgeschickt, um genaue Nachrichten und Viktualien einzuholen; er entfernte sich Nachmittags 3 Uhr und versprach, — da eine Meierei etwa eine Stunde nur entlegen wäre — bis gegen 8 Uhr wieder zurück zu sein. Die Sonne sank in ihren, Hellen Glanze, und die Sterne funkelten am mächtigen Himmelsdome. Es war sehr kalt. Längst war neun Uhr vorüber und unser Schuster noch nicht zurück. — Alles war ringsum still und todt; nur der Nordwind heulte durch die hohen schnee bedeckten Kiefernwipfel. Endlich konnte ich meine Ungeduld nicht mehr bemeistern, löste den einen Posten ab und übernahm selbst die Wacht. Nie in meinem Leben ist mir eine halbe Stunde länger geworden, als die hier zugebrachte. Es mochte endlich gegen zehn Uhr sein, als sich unserem Lager mehrere Menschen näherten, deren Tritte durch das Knirschen im Schnee in der Stille der Nacht schon in einer ziemlichen Entfernung zu hören waren. Sofort wurden meine Leute alarmirt, und sie waren bereit, den Ueberfall, den wir vermuthen mußten, kräftig zu empfangen. Doch unsere Aufregung sollte sich bald legen; denn als die Nachtwandler näher kamen, unter schieden wir nur zwei Leute. Auf eine Entfernung von 30 Schritten rief ich dieselben mit dem üblichen „Halt! Wer da?* au. „Ich bin's, Herr Wachtmeister, und bringe einen braven Mann mit, den Meier nämlich, bei dem ich heute war, und sehr gute Nach richten!* Das Erscheinen eines Engels selbst könnte uns armen Soldaten keine größere Freude bereitet haben, als die Rückkunft des Schuster- und seine Worte. Beide Ankömmlinge entledigten sich ihrer Last an zwischen den Leichen auf dem Fußboden ansgestreckt. Der Jude war Lebensmitteln, und der Meier, ein alter, rüstiger Mann, erzählte mit dem älteren Pleschewsky vermittelst einer geheimen Treppe, die aus einem der Zimmer führte, entflohen, und beide wahrscheinlich noch im Schlosse verborgen. Ich selbst leitete die genaueste Nach- suchung, durchstöberte das Haus von Oben bis Unten, doch leider ohne Erfolg, denn die Entflohenen waren nicht aufzusinden. So entstand mit Recht die Vermuthung, dieselben möchten entkommen und zu ihren im Dorfe lagernden Leuten gelangt sein. Daß diese Vermuthung nur zu begründet war, ergab bald die Folge. Mein Bleiben konnte daher von keiner langen Sicherheit mehr sein Unverrichteter Sache kehrte ich mit meinen übrig gebliebenen Leuten »ach dem Saal zurück, wo ich einen Mann als Wache zurückgelassen hatte. Ich öffnete die Thüre zu einem neben dem Saale belcgenen Kabinet und hier erwartete mich ein Anblick, den ich wahrlich nicht vermuthet hatte. Auf einem eisernen großen Geldkasten kauerte ein sehr alter, kahlköpfiger Greis, an besten Knie sich ein junges, etwa vierjähriges Mädchen — die Tochter des erschossenen Pleschewsky — geschmiegt hatte. Der Alte — der Großvater der Familie — schien mit seinem Leben den Kasten vcrlhcidigen zu wollen; kein Zureden half; mit wahnsinniger Begier klammerte cr sich a» teil Deckel des selben, und erst den vereinten Bemühungen mehrerer meiner Leute gelang es. ihn zu entfernen, woraus cr sich wie ein völlig Verrückter zu Boden warf und dort liegen blieb. Die eine der Damen öffnete den Kasten, dessen Inhalt eine Masse Gold und Papiere war. Die letztere» nahm ich in Beschlag, das andere ließ ich unangerührt. In di» Saal zurückgckehrt, ordnete ich meinen Abzug an. Alle diese Vorgänge waren blitzschnell auf einander gefolgt und in höchstens etwas über eine Viertelstunde zusammcngedrängt. Beide Damen waren durch da» Furchtbare ihrer Lage und den nächtigen Schreck in eine Geistes-Erschlaffung versenkt, daß sie wie Automaten handelten. Jetzt erst schien ihnen die volle Besinnung wieder zu kommen. Das kleine Mädchen war zu dem noch im Saale auf dem Fußboden liegenden Erschossenen getieten und erkannte '— ihren Vater. Sie kniete nieder an der Leiche des thenren Todten und rief mit Jammer tönen, die mir noch heut vor den Ohren klingen, die Mutter herbei. Diese, aus ihrem Selbstvergessen gerüttelt, stürzte sich mit einem mir ein Langes und Breites, wie man mich gesucht und jedes Dorf und Gehöft durchstöbert hätte, um meiner habhaft zu werden, bis man endlich die Verfolgungen aufgegcben hätte, weil man bestimmt glaubte, daß ich bereits in Sicherheit sei. Zn befürchten hätte ich weiter nichts, als hin und wieder einer schwachen Patrouille zu be gegnen, welche ich wohl nicht fürchten würde. Er habe meinem Schuster Alles genau auseinandergcsctzt, welche Wege wir nehmen müßten, um glücklich nach Belgard zurückzukommcn; und um dies glücklich zu erreichen, müßte ich gleich ausbrechen und diese Nacht dazu benutzen. Angenehmeres kvnnte ich wohl nun nicht hören. Ich dankte dem alten Meier herzlich für seinen guten Nath, ließ die Pferde tüchtig füttern und rückte dann unter den Segenswünschen des Alten aus dem Walde, der gegebenen Weisung folgend. Glücklich und wohlbehalten ging unser Marsch von statten, auf dem wir noch fünf Mann und Pferde in Beerwalde zu Gefangenen machten, und kamen endlich i» Belgard an. Schon längst war der günstige Erfolg meiner Expedition durch die Fama dorthin gedrungen, und ich kann den Enthusiasmus nicht genug schildern, den die Bevölkerung zeigte, als ich in Belgard einrückte. Alt und Jung stürzte nach dem Marktplatz, um uns zu sehen; ja, ich schäme mich, es zu sagen: cs gab Leute unter ihnen, die dankend und vor Freude weinend meine Steigbügel küssen wollten. Da ich nicht genau wußte, ob Schill noch in Äreifenberg sei, so meldete ich mich sowohl dorthin, «ls auch nach Collbrrg dem dortigen Komman danten, Oberst von Suckadow, den Erfolg meiner Sendung, und be kam bald darauf von Schill ein mich sehr ehrendes Schreiben, hatte auch Gelegenheit, mit Schill selbst in sehr nahe Beziehungen zu treten und in demselben sowohl den braven, sür's Vaterland glühenden Patrioten, als höchst edlen Menschen kennen zu lernen. Der Schuster bekam von Schill eine reichliche Belohnung. Etwa >0 Schritt von mir entfernt sank Schill in Stralsund tödtlich getroffen vor meinen Augen nieder. Das Vaterland verlor in ihm einen seiner würdigsten Söhne, ich einen edle» Vorgchtzlen und wahrhaften Freund. Verantwortlicher Redakteur Franz Götze ln Chemnitz. — Druck und Verlag von Alexander Wiede in Chemnitz.
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