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— - - ' 8S6 Nachdruck ausgestellte Behauptung — namentlich ist sie von der „Jnbspendance" erhärtet —, daß Rußland bemüht sei, den Conslict »wischen Preußen und Oesterreich zu verhindern, und daß der Kaiser Alexander sogar erklärt habe, er würde sich, wenn Preußen angrelfe, auf die Sette Oesterreichs stellen, verdient wohl keinen Glauben. Abgesehen davon, daß Preußen ja gar nicht angreifen will, ist die Stellung Rußlands zu Oesterreich der Art, daß auf eine solche hilfeleistende Rolle des ersteren das letztere nicht zu hoffen hat." — Der Urheber des Attentats auf den Ministerpräsidenten, Ferdinand Cohen-Blind, ist am 12. Mai Abends um 11 Uhr auf dem Kirchhofe der Nicolai- und Marien-Gemeinde bei Fackel schein beerdigt worden. Den Sarg führte ein Leichenwagen erster Klaffe, welchem vier Trauerwagen folgten. Die Hinterbliebenen tragen die — übrigens nicht unbedeutenden — Kosten. Der Tod des Blind erfolgte durch Erstickung, welche durch eine Infil tration der Kehlkopfgefäße herbeigesührt wurde. Blind fuhr aus Mem Schlafe mit dem Rufe auf: „ich ersticke!" — und in dem selben Augenblicke war er todt. — Am 13. Mai MttagS sand im Saale des Handwerker vereins eine von über 4000 Personen besuchte Volksversammlung statt. Die Herren Bandow und Angerstein, welche die Versamm lung berufen hatten, legten folgende Resolution vor, die von der Brrsammlnng einstimmig angenommen wurde: „Die am 13, Mai km Saale dcS Handwerkervereins zu Berlin versammelten Urwäh ler erwarten und fordern von den zu wählenden Abgeordneten, daß dieselben: 1) das verfassungsmäßige Recht des Landes unter aste» Umständen, auch bei der gegenwärtig drohenden Kriegsgefahr, aufrecht erhalten, namentlich dafür sorgen, daß die Controle über die Finanzen, das sogenannte Budgetrccht des Abgeordnetenhauses, vvllständig und unverbrüchlich wicdcrhergestellt werde, sowohl nm das Land vor Druck und Last in guter Zeit zu bewahren, als um in schweren Zeiten, wie die jetzigen, zu verhüte», daß die Regierung eine andere Politik treibt, als die von dem Willen des Volkes getragene; 2) ein Ministcrverantwortlichkeitsgesetz als absolut noth wendige Garantie der Verfassung fordern und auf eine Reform des obersten Gerichtshofes des Landes dringen; 3) dahin wirken, daß nach beseitigter Kriegsgefahr die Heereslast vermindert und eine höchstens zweijährige Dienstzeit cingesührt, dann aber auch das Heer auf die Verfassung vereidet werde, wie letzteres in der Proklamation des verstorbenen Königs Friedrich Wilhelm l V. vom 22. März 1848 verheißen worden; 4) für das allgemeine gleiche und directe Wahlrecht und die Beseitigung aller Bestimmungen, welche der Gleichberechtigung aller Preußen entgegenstehcn, ein treten; 5) die Regelung der Vertretung und Verwaltung der Ge meinden, Kreise und Provinzen des preußischen StaatcS laut Gesetz vom 24. Mai 1853 herbeiführe»; 6) Sorge tragen, daß die in de» organischen Gesetze» zur Verfassung enthaltenen Bestimmungen, welche die Preßfreiheit, das Versammlungsrccht und die Entwicklung der Volksschule beschränken, aufgehoben werden; 7) für die Zusam- menbcrufnng eines deutschen Parlaments, welches nach Gewähr leistung der in der Rcichsverfassung vom 28. März 18W fcstge- stelltcn Grundrechte des deutschen Volkes gebildet ist, ihre Stimme »N erheben ; 8) die Versammlung erwartet von den neu zu wählen den Abgeordneten, daß sic sich auf Geld- und Creditbewilligungcn nicht cinlassen, bevor der innere Conflict gelöst ist. — Die Ver sammlung spricht schließlich die Hoffnung aus, daß die Urwähler aller Orten diesen Forderungen zustimmcn und nur auf Grund derselben die Neuwahlen zum Abgcordnctenhause vollziehen werden." — Die „Berl. Volks-Ztg." vom 17. Mai sagt: Es ist jetzt ein volles rundes Jahr her, daß eine unverantwortliche Leichtfertig keit unausgesetzt in der Presse den Wahn gangbar gemacht hat, daß zwar im Innern des preußischen Staatswesens gar Vieles anders sein müßte; aber nach außen hin, oh! da sei Alles im herrlichsten Auge. Die Diplomatie kann nicht einsichtsvoller, feiner geleitet werden! Die Machtpolilik feiere immerfort und unaufhör lich Triumphe! — Oesterreich, den Allürten, wie haben wir den „geleitet!" Den deutschen Bund, wie haben wir den so herrlich gedemüthigt! — Den Sachsen — ein Fußtritt! sind es ja bloße Beusters! — Die Baiern, ha ha ha, dieser von der Pfordten, lächerlich! — Diese WittelSbach-r, diese Welsen, was sind sie mehr als Material für den gesinnungsvollen Kladderadatsch! Die Schleswig-Holsteiner, was wollen die mit ihrem „Angestammten", ihrem „Dulder?" — Wir, ja wir, ha, wir stampfen mit dem Degen auf und Oesterreich schleicht die Wand entlang, Deutschland zittert und Europa staunt. Die Quelle all solcher Bravaden war uns leider bekannt genug. Mit solchem scheinbar patriotischen Selbstgefühl, das die Ohren kitzelt, haben Schwächlinge der Ge sinnung sich ein Stückchen Freiheit zu erkaufen gedacht, nebenbei zur Abwechselung auch etwas Opposition machen zu dürfen. Man redete sich so eifrig in diese Bravaden hinein, bis man sie wirklich selbst für patriotische Weisheit hie». Wir, unsererseits, haben diesen wohlfeilen und gefahrvollen „Patriotismus" weit von uns abge- wiesen. Nicht au« Vorliebe für Oesterreich, sondern aus Besorgniß vor der Zukunft Preußens haben wir diese Selbsttäuschungen be kämpft. Wir wußten und sprechen eS fortdauernd aus, daß solch Gebühren uns isolirt und die deutschen Bolksstämme und die deutschen Cabinete auf Seiten Oesterreichs hindrängt. Die Gefahr solcher Jsolirung stand uns so deutlich vor Augen, daß wir schon vor dem denkwürdigen Tage von Gastein die Lage der Dinge, wie sie ist, zeigten. Der wohlfeile Patriotismus wollte es nicht sehen und hielt die Augen dermaßen eigensinnig verschlossen, daß ihm selbst der Tag von Gastein als „hellstes Licht" erschien. Wie nach und nach die Kunst der Selbsttäuschung immer weiter ging und jede Warnung vor den nahenden Gefahren als „Vaterlandslosigkeit" und „Verliebtheit in Oesterreich" ausgab, das wissen die aufmerk samen Beobachter der öffentlichen Stimmen. Man hak so lange das „ohnmächtige Oesterreich" und das „lächerliche Deutschland" bespöttelt, bis man nunmehr den Ernst der Gefahr nicht mehr fortleitartikelu kann. Da muß man natürlich Oesterreich und die deutschen Staaten der wilden Kriegslust zeihen, deren Feigheit und Ohnmacht man so sicher auszumalen verstanden. — Jetzt tastet man nach allen Winkeln herum, um nur die Verantwort lichkeit für die gegenwärtige Lage von sich abzuweisen, welche man sehr dtenstgcfällig gefördert Hal. Jetzt erfindet man zum Trost die neue Selbsttäuschung, daß eine Ergänzung des Ministeriums im liberalen Sinne Alles schnell wieder gutmachen würde! — Leider müssen wir dem gegenüber Folgendes sagen: Dem Experi ment, neben Hrn. v. Bismarck ein liberales Ministerium ausfindig zu machen, wolle» wir gewiß nicht entgegentreten. Wir halten eS zwar für unlösbar; allein unser Schade wird's nicht sein, wenn man den Versuch anstcllt und keine Männer findet, welche die Ver antwortlichkeit für alles Kommende auf sich und die liberale Partei nehmen. Welche Männer dies aber auch sein mögen, auf dir man sein Augenmerk richtet, wir wollen nicht auch diese der Selbst täuschung zum Opfer fallen lassen, und darum sprechen wir e« offen aus: neben Hrn. v. Bismarck wird selbst die sorgsamste Auswahl nichts nuhr fruchten! Nach unserer Ueberzeugung be schwört nicht die Fortsetzung der zeitherigen Leitung, sondern die vollste Umkehr von derselben möglicherweise noch die Gefahren. Justizminister, Finanzmimster, Minister des Innern, des Handels und der Landwirtschaft mögen sein, wer sie wollen; so lange Herr V. Bismarck die auswärtigen Angelegenheiten in Händen hat, glauben wir nicht, daß ihm eine Volksvertretung die Hunderte von Millionen bewilligt, die zum Kriege nöthig sein würden! Die Herren Braß und Compagnie mögen noch so heilig versichern, daß man bereit sei, so volksihümlich zu werden, wie sie selbst sind; eS wird Jeder dergleichen zu würdigen verstehen. Die Verlegenheit ist groß; allein sie wird dadurch nicht vermindert, daß man denen, welche dieselbe Herbeigesührt, die Mittel in die Hand giebt, ihre Kunst fortzusetzen! Dieselbe Liebe zum Vaterland, welche uns durch die ganze Zeit den gefährlichen Selbsttäuschungen entgegenwirken ließ, dieselbe Liebe gebietet uns heute, lieber den schwächsten Schimmer einer Friedens- Hoffnung festzuhalten, als den Plan, mit einem von Herrn v. Bis marck ergänzten Ministerium — es zeige Namen, wie es wolle — auf Krie^Shoffnung-n einzugkhrn. So lange die Krankheits-Ursache nicht entfernt ist, wird tum Uebel nur neue Nahrung durch ge sunden Strff zugesührt und die Heilung nur erschwert! — Die „Danziger Zeitung" schreibt: „Das Volk will keinen Krieg; denn eS begreift nicht, weshalb er geführt werden und wofür es diese kolossalen Opfer bringen soll. Welche Frage drängt denn dazu, das Schwert zu ziehen? Etwa die schleswig-holsteinische? Preußen ist in seinem vorläufigen Besitze in Schleswig-Holstein nicht bedroht, und zu einer gewaltsamen Annexion der Hcrzogthü- mer hat eS kein Recht. .Auch der entschiedenste Großprenße wird nicht behaupten wollen, daß Preußen dieses Recht deshalb habe, weil cs sie zu besitzen wünsche. Mag die preußische Negierung die Znstimmueg der Bevölkerung in den Herzogthümern gewinnen, dann wird sich die Vereinigung mit Preußen von selbst vollziehen. Der jetzige Zeitpunkt ist zur Lösung der schleswig-holsteinischen Frage nicht geeignet. Preußen hat kein Olmütz zu riökiren, wenn es diese Frage in Llnin« gn» läßt und diejenigen Mittel ergreift, welche geeignet sind, ihm in Schleswig-Holstein Boren zu gewinnen. Das Volk will diesen Krieg nicht, dessen Ziel eS nicht kennt, der einen großen europäischen Arand herbeiführen und Deutschland mit der Einmischnng des Auslandes bedrohen würde. Oesterreich mit Italien nnd zugleich Preußen mit den deutschen Mittelstaaten und Oesterreich im Kampfe — eine bessere Situation könnte sich in der That der Herrscher an der Seine nicht wünschen! Er hätte die Entscheidung vollständig in der Hand." — Die „Spen. Ztg." schreibt: „Aus allen Theilen des Lande« laufen Nachrichten ein, daß die Kriegsaussichten eine große Arbeit--