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Academia Medicinae Dresdensis
- Bandzählung
- 1.1990
- Erscheinungsdatum
- 1990
- Sprache
- Deutsch
- Signatur
- Z. 2. 493
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- CC BY-NC-ND 4.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id1868900630-199000002
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id1868900630-19900000
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-1868900630-19900000
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: SLUB
- LDP: Zeitungen der Universitäten Sachsens (1945-1991)
- Strukturtyp
- Band
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitschrift
Academia Medicinae Dresdensis
-
Band
1.1990
-
- Ausgabe Nr. 1, 15. Januar 1990 1
- Ausgabe Nr. 2, 29. Januar 1990 1
- Ausgabe Nr. 3, 12. Februar 1990 1
- Ausgabe Nr. 4, 26. Februar 1990 1
- Ausgabe Nr. 5, 12. März 1990 1
- Ausgabe Nr. 6, 26. März 1990 1
- Ausgabe Nr. 7, 9. April 1990 1
- Ausgabe Nr. 8, 23. April 1990 1
- Ausgabe Nr. 9, 7. Mai 1990 1
- Ausgabe Nr. 10, 21. Mai 1990 1
- Ausgabe Nr. 11, 5. Juni 1990 1
- Ausgabe Nr. 12, 18. Juni 1990 1
- Ausgabe Nr. 13, 2. Juli 1990 1
- Ausgabe Nr. 14, 13. August 1990 1
- Ausgabe Nr. 15, 27. August 1990 1
- Ausgabe Nr. 16, 10. September 1990 1
- Ausgabe Nr. 17, 24. September 1990 1
- Ausgabe Nr. 18, 8. Oktober 1990 1
- Ausgabe Nr. 19, 22. Oktober 1990 1
- Ausgabe Nr. 20, 5. November 1990 1
- Ausgabe Nr. 21, 19. November 1990 1
- Ausgabe Nr. 22, 3. Dezember 1990 1
- Ausgabe Nr. 23, 17. Dezember 1990 1
-
Band
1.1990
-
- Titel
- Academia Medicinae Dresdensis
- Autor
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Stalinismus in der Wissenschaft Publikationen und historische Betrach tungen über den Stalinismus im allgemei nen und im besonderen in der DDR mit seinem verheerenden Einfluß auf alle Le bensbereiche mehren sich. Vieles war bekannt - wir hatten und mußten uns ja damit abfinden. Aber das, was wir teil weise erst jetzt erfahren, entsetzt uns. Wir sind erschrocken über das Ausmaß gesellschaftlicher Deviationen und Ent gleisungen. Jeder hat persönliche Erfah rungen sammeln können bzw. müssen. Ärgernisse und Mißverständnisse wur den dabei individuell unterschiedlich empfunden und bewertet. Welchen direkten Einfluß hat der Stali nismus jedoch auf bestimmte Wissen schaftszweige genommen? Ist eine philo sophische Deutung des Stalinismus mög lich? Stalinismus ist nicht die Erfindung von Stalin und der Stalinismus starb auch nicht 1953 mit Stalin. Als Giordano Bruno 1600 auf dem Scheiterhaufen verbrannte, war er nicht der Beginn und nicht das Ende einer zahllosen Opferreihe. Nur da mals nannte sich dieses gesellschaftliche Phänomen anders. Alles was bisher über den Stalinismus zu lesen ist, erfaßt seine Erscheinungen. Folgendermaßen kann das Wesen kurz definiert werden: Stali nismus ist Negierung oder Perversion der Dialektik. (Unter Dialektik sei vor al lem gemeint, daß wir Gegensätzliches als Einheit zu begreifen haben. Die wissen schaftliche Erkenntnis war der Wahrheit um so näher, je besser wir diese Einheit verstanden. Die Einheit von Gegensätzli chem als etwas Normales zu empfinden, fällt dem Menschen aber allem Anschein nach ungemein schwer. Aus diesem Grunde neigen selbst strenge Wissen schaftler dazu, die Verabsolutierung je weils eines einzigen Prinzips anzuerken nen.) Die genannte thesenartige Definition des Stalinismus mag zunächst überra schen und paradox erscheinen. Es kön nen jedoch zur Erhärtung drei zweifels freie Beweisstücke vorgelegt werden, auf die jedoch nur kurz eingegangen werden kann: 1. Stenografischer Bericht über „Die Lage in den biologischen Wissenschaften - Tagung der Lenin-Akademie der land wirtschaftlichen Wissenschaften der UdSSR (31. Juli-7. August 1948"; Mos kau, 1949, 792 Seiten. 2. Monografie von Volkmar Weiss: Psychogenetik - Humangenetik in Psy chologie und Psychiatrie. Jena: Fischer, 1982 3. Vorlesungsmitschrift von Robert Ha vemann: Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme (1963/64). Ad 1. Von der Lyssenko-Affäre hat je der sicherlich etwas gehört. Was und wie sich aber alles abgespielt hat, ist weniger bekannt. Diese stenografische Mitschrift belegt dokumentarisch einmalig die de- struierende Wirkungsweise des Stalinis mus in der Wissenschaft. Beim Lesen fühlt man sich unweigerlich in die eigent lich vergangene Zeit der Inquisition zu rückversetzt. In seinem einleitenden Referat gab Lys senko die Linie klar vor: „Die Geschichte der Biologie - der Schauplatz eines ideo logischen Kampfes." Im zweiten Teil sei ner Einführung „Zwei Welten - zwei Ideologien in der Biologie" wird scharf getrennt zwischen vermeintlich „gut" und „böse". Die Anhänger seiner Lehre von der Vererbbarkeit erworbener Eigen schaften würden auf der Seite des dialek tischen Materialismus stehen und wären somit fortschrittlich und für den Frieden. Die eigentlichen Genetiker, die soge nannten Weismannisten, Mendelisten und Morganisten frönten jedoch einer metaphysisch-idealistischen Lehre und wären somit unwissenschaftlich und re aktionär und ständen daher idelologisch auf der Seite der Kriegstreiber. Es wurde kategorisch gefordert (S. 645): „Die in der Biologie noch nicht überwundenen Über reste einer reaktionären Ideologie müs sen endgültig liquidiert werden." Das hat man dann auch tatsächlich gemacht. Per Dekret wurde obskure Metaphysik zum dialektischen Materialismus erklärt und umgekehrt wurden Erkenntnisse bzw. wissenschaftliche Ansätze mit dia lektisch-materialistischer Basis als ideali stische Metaphysik verdammt. Dem Druck der allgemeinen Entwicklung nachgebend wurde die Genetik als Wis senschaft zwar rehabilitiert. Ausgenom men davon blieb bis in die Gegenwart die Genetik der Intelligenz und des menschli chen Verhaltens. Zum Beweisstück 2: Der Biologe Weiss aus Leipzig hat sich mit der Vererbung der mathematischen Begabung befaßt. Mittels einer umfangreichen Studie er brachte er klare Befunde für eine geneti sche Basis der mathematischen Bega bung. Nach der Hypothese von Weiss gibt es ein Hauptgen M für die mathema tische Begabung. Das Allel M, ist dabei für besondere mathematische Leistungen verantwortlich; das Allel M2 dagegen nur für durchschnittliche mathematische Lei stungen. Menschen mit der genetischen Konstitution M,M, zeichnen sich durch hohe mathematische Leistungsfähigkeit aus. Personen mit der Konstitution M 2 M 2 verfügen kaum darüber. Die M,M,-Kon- stitution kann sich jedoch erst im Zusam menwirken mit zahlreichen anderen Ge nen frei entfalten. Die aufgestellte Hypo these wird international stark beachtet. Anstatt Herrn Weiss Freiraum für seine Forschungen zu geben, wurde er im Ja nuar 1983 am Zentralinstitut für Jugend forschung Leipzig faktisch mit einem Be rufsverbot belegt. Bis zum gegenwärti gen Zeitpunkt ist er nicht rehabilitiert. Sozial verhielt man sich ihm gegenüber tolerant. Er konnte eine Tätigkeit nach Wunsch aufnehmen. Seinem Hobby ent sprechend befaßt er sich seitdem mit der Geschichte Sachsens. Wie konnte so etwas geschehen? - fragte man damals und fragt man heute. Man muß leider sagen, daß die bisherige sozialistische Philosophie pauschal den logischen Rahmen für das Wirken des Stalinismus abgegeben hat. Philosophen, die den Teufelskreis durchbrechen woll ten, wurden gnadenlos mundtot ge macht, so z. B. Robert-Havemann, dessen Schicksal allgemein bekannt ist. Weniger bekannt sind seine philosphischen An sichten und Aussagen, deretwegen er in Grünheide bei Berlin bis zu seinem Tode unter Hausarrest gestellt wurde. Er wollte den jetzt immer geforderten radikalen Bruch mit dem Stalinismus in der Gesell schaft und in der Wissenschaft bewirken - nicht mehr, aber auch nicht weniger. So besonders gefährlich war er, weil er vom Standpunkt des dialektischen Mate rialismus ausging, den er allem Anschein nach begriffen hatte. Sicherlich hat er es seiner Vergangenheit zu danken, daß man ihn so relativ milde behandelte. Je doch die unendliche Opferreihe- . . . Giordano Bruno, . . . Robert Have mann, . erhielt ein weiteres Element. Was sagte Robert Havemann? . . Grund hierfür ist, daß in weiten Kreisen der Naturwissenschaften und überhaupt in der weiten Welt für dialekti schen Materialismus etwas gehalten wird, was gar kein dialektischer Materia lismus ist. Die Schuld für diese falsche Vorstellung von dem Wesen des dialekti schen Materialismus tragen allerdings nicht die Naturwissenschaftler, sondern gerade diejenigen, die man als die .offi ziellen Vertreter' des dialektischen Mate rialismus bezeichnen muß". „Die dialektische Logik ist die Logik, die in den Dingen selber steckt, die wir nur in den Dingen, in der Wirklichkeit entdecken können, nicht aber in unse rem Kopf. Alle Versuche, eine dialekti sche Logik-systematisch aufzubauen und einen Leitfaden der dialektischen Katego rien zu entwickeln, führen in der Regel zu Abstrusitäten und geradezu phantasti schen Behauptungen." „Man kann aber die Dialektik nur in ih rer Konkretheit begreifen. Wenn wir die Dialektik aus ihrer Konkretheit lösen und sie in eine rein abstrakte Formalistik ver wandeln, dann wird sie zu einem blassen Schema, sie erstarrt zu einem System, das noch dazu mit dem Anspruch auftritt, das Allgemeinste, Bedeutendste und Tief ste zu sein, was der Menschengeist über haupt kennt. Losgelöst von der Wirklich keit ist die Dialektik das aber nicht. Losgelöst von der Wirklichkeit ist sie nur unverbindliches Streiten in der Form phantastischer, abstrakter, unsinniger Widersprüche. Solche Dialektik ist eben nicht materialistisch." „Philosophisch kann man nicht verste hen, wenn man nur Philosophie versteht. Philosophie ist überhaupt nur verständ lich, ihre Weisheit ist überhaupt nur er faßbar auf der Grundlage eines umfas senden Wissens von der Wirklichkeit selbst. Gerade hierin unterscheidet sich der moderne Materialismus von aller ver gangenen Philosophie." „Dies lag wenigstens zum Teil einfach daran, weil manche ünserer Philosophen glaubten, die Philosphie sei die letzte In stanz, vor der alle wissenschaftlichen Fra gen zu entscheiden sind, als sei die Philo sophie der unbestechliche Prüfstein, um über Richtigkeit oder Falschheit naturwis senschaftlicher Theorien das Urteil zu fäl len. Das ist sie nicht." „Sie (gemeint ist die lebendige dialek tisch-materialistische Philosophie) geht nicht vom Allgemeinen aus, sondern sie geht vom Einzelnen zum Besonderen und von da zum Allgemeinen. Sie entdeckt die konkrete Dialektik in den wirklichen Zusammenhängen und sie glaubt nicht, daß die Welt sich danach richtet, was in eines Menschen Kopf vor sich geht - sondern eben umgekehrt. Das ist ihr Ma terialismus." „Ich bin der Meinung, daß Philoso phen, die sich mit Problemen der Natur wissenschaft befassen, möglichst viel von diesen Problemen verstehen müs sen, und zwar nicht nur als Philosophen, sondern auch als Naturwissenschaftler. Außerdem glaube ich, daß zu allen Zeiten die großen Philosophen nicht nur etwas von Philosophie verstanden haben, son dern immer zugleich auch sehr viel von bestimmten Wissenschaften oder auch anderen , Erfahrungsbereichen Ides menschlichen, Lebens. Ich bin also gegen die Einmischung von Philosophen in Aus einandersetzungen, wenn sie von dem in Frage stehenden Gegenstand ungenü gende Kenntnis haben. Sonst habe ich nichts dagegen, wenn Philosophen sich an philosophischen Auseinandersetzun gen beteiligen." „Ich muß sagen, ich bin weit davon entfernt, die Verbindung zwischen den politischen Verhältnissen und dem philo sophischen Dogmatismus zu bestreiten. Selbstverständlich besteht zwischen bei den ein enger Zusammenhang. Die politi schen Verhältnisse sind aber nicht nur die Ursache für den politischen Dogma tismus, sondern der philosophische Dog matismus trägt auch zu der Entwicklung der politischen Verhältnisse sein gehöri ges Stück bei. Die Philosophen, die die sen Dogmatismus überwinden, werden also auch dazu beitragen, die politischen Verhältnisse zu ändern." Geradezu prophetisch sind seine Worte: „Jede Behinderung und Einschränkung der Information und des Informationsaus tausches hemmt die Aktivität der Gesell schaftsmitglieder und damit die Entwick lung der gesellschaftlichen Verhältnisse, bremst nur die Entwicklung. Zu allen Zei ten haben reaktionäre Regimes danach gestrebt, das Volk in Dummheit zu hal ten. Sie folgten der eigenen Erfahrung, die besagt: Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. So rieten sie dem Volk: Was Du nicht weißt, macht Dich nicht heiß. So versuchten sie, das Volk in Un kenntnis der wirklichen Zusammenhänge zu halten und haben auch noch dazu selbst ihre Augen verschlossen, um nicht zu sehen, was schließlich doch jeder se hen konnte. Die Geschichte lehrt, daß man ihren Progreß auch auf diese Weise niemals gänzlich aufhalten kann. Es führt nur dazu, daß dann die großen Wandlun gen mit um so größerer Energie und Plötzlichkeit vor sich gingen." Wer sich vor den Folgen einer allgemein un eingeschränkten Information fürchtet und sie darum behindert, schafft dadurch gerade die Bedingungen für eine unheil volle Entwicklung. Womit sich eine alte These der griechischen Tragödie be wahrheitet, daß der Mensch sein Schick sal dadurch herbeiführt, daß er es abzu wenden trachtet." „Es ist schwer, es (das stalinistische Sy stem) zu überwinden, selbst wenn die notwendige Einsicht gewonnen ist, selbst wenn dies System schon ins Wanken ge raten und immer mehr Menschen begrif fen haben, daß man es überwinden muß. Diese Überwindung ist so schwer, weil in einem solchen System natürlich sehr viele Menschen nicht auf Grund wirkli cher Fähigkeiten in bestimmte Stellungen und Funktionen gekommen sind, son dern eben auf Grund dieser ekelhaften Fähigkeit, gerade in einem solchen Sy stem an eine solche Stelle kommen zu können." Nur wenige, aber treffende Passagen konnten aus der Vorlesung von Robert Havemann zitiert werden. Seine Stimme wurde mit einem ungeheuren Aufwand an Sicherheitspersonal abgewürgt. Er wollte nur Fehler vermeiden, deren kata strophale gesellschaftliche Folgen er vor hersah. Dr. G. Tymnik, Klinik für HNO-Krankheiten
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