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Academia Medicinae Dresdensis 3 Eine schwere, auch herrliche Zeit, in der sich die Besten durchsetzen Nach 40 Jahren Stalinismus, mitten im Wahlkampf und im Prozeß der Auflösung unseres Staates, ist ein klares Wort dazu erforderlich. Die Wende haben wir hinter uns mit einem anschließenden Vakuum. Die deutsche Nation - im 19. Jahrhundert die führende der Welt auf allen Gebieten - ist im 20. Jahrhundert auf tragische Weise belastet. Der erste Weltkrieg hat Zeichen gesetzt, der zweite führte zum Ausbluten der Nation, der deutsche Fa schismus belastet uns heute noch. Mit der Aufarbeitung werden wir beginnen. Parallel dazu erlebten wir einen Stalinis mus, dessen Existenz nach 70 Jahren weltweit als bankrott anzusehen ist und in puncto Völkermord, Volksvertreibung und Unterdrückung seinesgleichen sucht. Als Nachkriegsgeneration fragte mancher sich immer wieder: Wie können sich ehemalige Faschisten zusammentun, um über die Restauration ihrer geschei terten Ideologie zu sprechen. Die Frage unserer Tage ist aber: Wie kommt es, daß nach Scheitern des Stalinismus Zu sammenkünfte dieser Leute stattfinden, neue Programme erstellt werden und am Alten festgehalten wird? Als Rektor und Hochschullehrer, der beide Ismen kennengelernt hat, sehe ich eine vornehmliche Aufgabe darin, keinen Ismus von rechts, noch einen Ismus von links an unsere akademische Jugend her antragen zu lassen. Neue Experimente im Sinne restaurativer Versuche einen Ismus an Menschen auszuprobieren, ist ein Ver brechen an diesen Menschen. Für viele von uns Älteren kommt die Wende eigentlich zu spät, die Zeit ist viel zu kurz, um die Vorzüge einer Demokra tie voll zu erleben. Man muß es trotzdem mit aller Kraft erlebbar gestalten, und zwar für die kommenden Generationen. Mir persönlich gibt die Kraft dafür die kollegiale Mitarbeit der Hochschullehrer, das Vertrauen der Mitarbeiter und Stu denten. Es kann geschlußfolgert werden: • Eine Hilfe kann nur von der BRD kom men, die Einheit der deutschen Nation ist eine Frage der Zeit, wir müssen real per spektivisch arbeiten. • Ein Teil der Mitarbeiter hat gerade in den letzten Wochen das Vertrauen zu un serem Staat restlos verloren und sitzt auf gepackten Koffern. • Der Pflegenotstand wird langsam er reicht. Gerade die Schwestern und ande res mittleres Personal gelangen an die Grenze der Leistungsfähigkeit. • Das unbegründete Aussetzen von Do zentenernennungen per 1. Februar durch das Ministerium verunsichert unseren wissenschaftlichen Nachwuchs. • Studenten bangen um ihre Einsatz pläne, Assistenten und Oberärzte fürch ten um ihre Zukunft. • Die materiell-technische Basis ist im Vergleich zur Weltspitze um Jahre zu rück, der Zustand von Gebäuden desolat. • Terroristische Kräfte versuchen, die Unruhe zu vertiefen. Ungeachtet dessen sollten und müssen wir uns auf bestimmte Stärken besinnen. Dazu gehören unsere Menschen und un sere Heimat. Durch ständige Besuche und Verträge im Rahmen der Städtepart nerschaft zwischen Hamburg/Dresden - wie Oberbürgermeister Dr. Vorscherau, Senator für Gesundheit, Krankenhausrat und Universität Hamburg, Rat der Rekto ren Dresden/Hamburg, Besuch von Mini sterpräsident Dr. Späth, dessen Minister für Gesundheitswesen Schäfer, der Lan desärztekammer Baden-Württemberg und Wien - mit konkreten Absprachen werden wir darin bestärkt, daß • die Motivation unserer Mitarbeiter un ter den heutigen Bedingungen sehr hoch einzuschätzen und beispielhaft ist, • die studentische Ausbildung bei uns wesentlich besser als in der BRD ist, • der Student noch Ordinarien in der Vorlesung hört und nicht nur stellvertre tende Stellvertreter, • das Niveau der Promotion wesentlich höher ist, • der Kontakt zwischen Hochschulleh rern und Studenten ausgeprägt und • der Anteil von Studenten in der For schung hoch ist. Es gilt nun, das Bewährte zu erhalten, noch besser zu gestalten und für alle Mit arbeiter zu optimieren. Deshalb fordern wir: • Eine sofortige Gehaltserhöhung für das gesamte mittlere medizinische Perso nal von mindestens 500 Mark • eine darauffolgende Gehaltserhöhung für das akademische Personal = beide Er höhungen aus dem ehemaligen Fonds des MfS, • ein sofortiges Nachzugsrecht in leer stehende Wohnungen für unsere Mitar beiter, • eine Nutzung von Gebäude des MfS für Internats- und Institutsumlagerungen. Bei allen gleichrangigen Hauptaufga ben einer medizinischen Hochschule sieht uns die Bevölkerung in erster Linie als Großkrankenhaus. Um eine einheitli che Gesundheitspolitik in der Stadt durchsetzen zu können, haben wir noch im Dezember den Krankenhaus- und spä ter den Poliklinikrat der Stadt gebildet. Dazu gehören zum Beispiel die beiden Bezirkskrankenhäuser, konfessionelle Krankenhäuser, und das Krankenhaus der NVA. In der medizinischen Betreuung geht es unter anderem darum, die Ökonomie stärker zu berücksichtigen. Wir müssen uns alle darauf vorbereiten, ein Kranken haus aus der Wechselwirkung Leistung/ Geld zu betrachten, neue Organisations formen einzuführen, die Verweildauer zu senken und den Kosten größere Auf merksamkeit zu widmen. Nicht mehr Betten, sondern gut ausge lastete Betten sind gefragt, wobei die per sonelle Besetzung und apparative Aus stattung vorrangig sind. Hospitationen in der BRD sollten genutzt werden, um hier Erfahrungen zu sammeln und den Ar beitsstil grundlegend zu verändern. Das betrifft das Krankenhausmanagement, die Biographisches • Geboren am 19. September 1931 • 1955 Approbation als Arzt • 1959 Promotion zum Dr. med. • 1960 Facharztanerkennung als Chirurg • 1962 Aufnahme der Tätigkeit an der Medizinischen Akademie Dres den • 1966 Habilitation • 1967 Berufung zum Dozenten • 1970 Direktor der Poliklinik der MAD • 1974 Berufung zum außerordentli chen Professor • 1976 Berufung zum ordentlichen Professor für das Fachgebiet Chirur gie • 1977 bis 1983 Rector magnificus • 1985 Ernennung zum Ehrendoktor der Medizinischen Akademie Wro claw • von 1967 bis heute periodisch Vor sitzender und Vorstandsmitglied von medizinisch-wissenschaftlichen Ge sellschaften • Seit 1984 Chefredakteur der inter nationalen Zeitschrift „Colo-Procto- logy" • Verfasser von 7 Monographien und 216 Veröffentlichungen Arbeit aller Ärzte und vor allem der Schwestern. Bei dieser Berufsgruppe ha ben wir die größten Sorgen, hier ist mit Hilfe von außen nicht zu rechnen. Des halb haben wir festgelegt, daß in näch ster Woche eine Kurzausbildung im Sinne eines Facharbeiters für Kranken pflege unkonventionell beginnt, für Wehrersatzdienstler, Bausoldaten und Personen, die umgeschult werden wol len. Diese Maßnahme ist an allen drei Schwesternschulen der Stadt Dresden durchzuführen. Die Perspektive für diese Hilfsschwestern liegt in einer Erwachse nenqualifizierung im Sinne der Voll schwester. Eine weitere Maßnahme ist die Einfüh rung der Vorklinik per 1. September aus folgenden Gesichtspunkten: 1. Der Zuwachs an Räumen ist die Grundlage. Persönlichkeiten für die drei Hauptfächer Anatomie, Physiologie und Biochemie sind in Dresden vorhanden. 2. Durch den Wegfall des marxistisch- leninistischen Grundlagenstudiums ent steht ein Zeitfonds, der im 1. Studienjahr eine Ausbildung zur Krankenschwester erlaubt. Damit entsteht soziale Sicherheit für die im Physikum durchgefallenen Kandidaten einerseits, andererseits ist ab 1. Studientag die Bindung an die leben dige Medizin für den Studenten gege ben. 3. Bei den 27 medizinischen Hochschul einrichtungen der BRD und den Tausen den arbeitslosen Jungärzten in der BRD wird es nach der Vereinigung insgesamt 36 Hochschulen in Deutschland geben mit der Konsequenz, daß einige liquidiert werden, wie in Bielefeld schon gesche hen. Wir müssen also um unser Überle ben als Hochschule kämpfen, und das schon jetzt. Wir müssen schnell Vollaka demie werden und die Bildung beispiel haft modern gestalten. In diesem Zusammenhang muß die Forschung neu überdacht werden. Wir haben hier viele Erfahrungen, diese gilt es, umzusetzen und an neue Bedingun gen anzugleichen. Jeder Ordinarius muß dringend eine Standortbestimmung sei nes Faches erarbeiten. Es kommt also viel auf uns zu. Es ist eine schwere, aber auch herrliche Zeit, in der sich die Besten durchsetzen wer den. Ich wünsche uns allen dabei eine kolle giale, interdisziplinäre Zusammenarbeit. Erhalten wir das Menschliche. Bei mehr Bewegungsraum für die Direktoren der Kliniken und Institute sollte des Wesen der Medizin - die Disziplin, der Mitarbei ter und der Student - nicht vergessen werden. Es lebe unsere Akademie, unsere Stadt und unser Land Sachsen. OMR Prof. Dr. sc. med. Dr. h. c. Knoch, Rektor Herzlich gratuliert Frau Oberin Passek mit Mitgliedern des Kollektivs der Ober schwestern Magnifizenz Professor Knoch. Fotos: Bachmann Der Rektor übergibt Herrn OMR Prof. Dr. sc. med. Wolfgang Rose die Berufungsur kunde des Ministers als Prorektor für Bildung.