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PAPIER-ZEITUNG Nr. 49/1914 Gutkind : Man müsse auch auf die Flugblätter der anderen Vereine geeignete Antworten finden. Wilmersdoerfjer: Er sei weder Groß- noch Kleinhändler und könne daher unparteiisch sprechen. Der Verein habe zu Mitgliedern Fabrikanten, Großhändler und Kleinhändler. Trotz dem habe er sich so entwickelt, daß die Mehrheit der Fragen, welche erörtert werden, für den Kleinhändler Wichtigkeit haben. Er verfolge in den Zeitschriften auch die Tätigkeit der anderen Verbände und mache dabei, bei aller Anerkennung ihres Wirkens, die Beobachtung, daß der Deutsche Papierverein genau so wie diese sich für die Interessen aller seiner Mitglieder einsetze. Manche Zweigvereine unterließen es, an den Hauptverein heran zutreten, weil sie der Ansicht seien, es handle sich bei ihren Fragen um solche örtlicher Natur. Dieses Verhalten sei unrichtig. Der Hauptverein sei auch stets bereit gewesen, Redner zur Unter stützung der Zweigvereine zu entsenden. Die Kosten solcher Reisen müßten als Werbekosten vom Hauptverein getragen werden. Er hoffe, daß dann in Zukunft die Arbeit des Papier- Vereins in gerechter Weise auch von den Kleinhändlern ge würdigt werden würde. Dieser Punkt der Tagesordnung wird verlassen, und eine kurze Frühstückspause tritt ein. Nach der Pause verliest der Vorsitzende eine von dem Ehrenmitglied Herrn Kräuter in Worms eingegangene Begrüßungs- Depesche. 6. Anträge von Mitgliedern. I. Antrag des Herrn Zimmerling, Berlin. Der Deutsche Papier-Verein wolle beschließen, daß an alle Kontorartikel-Fabrikanten und -Großhändler ein Rundschreiben erlassen werde, um zu erfragen, unter welchen Bedingungen es sich erreichen ließe, das Angebot und die direkte Lieferung an Verbraucher unter Umgehung der Händler zu vermeiden. Zimmerling: Er gehe bei seinen Ausführungen von Berliner Verhältnissen aus. Man müsse in Berlin beobachten, daß die Spezialgeschäfte zurückgehen. Die Gehälter der Angestellten seien derartig gesunken, daß diese häufig, um mehr zu verdienen, sich selbständig machten, und dann, um Umsatz zu erzielen, mit den Preisen schleuderten. Die Warenhäuser beschränkten sich nicht mehr darauf, in ihren Häusern zu verkaufen, sondern sie vertrieben auch ihre Waren durch Reisende außerhalb des Hauses. Die meisten Geschäfte kauften schon direkt unter Um gehung des Händlers und zwar ohne Unterschied große und kleine. Allerdings gäbe es auch Firmen, die im Interesse der Klein händler durch Anzeige bekannt geben, daß sie nicht direkt lieferten. Die Schuld an dieser Lage sei aber nicht den Fabri kanten, welche direkt liefern, allein zuzuschreiben, sondern sie läge auch an den Spezialgeschäften. Diese weigerten sich häufig, Waren, welche von den Fabrikanten neu herausgebracht werden, aufzunehmen, weil sie ihr Lager nicht vergrößern wollen. Er halte es deshalb für nützlich, durch die in dem Antrag bezeichnete Umfrage eine Aufklärung zu gewinnen, wie sich die Fabrikanten und Händler im einzelnen verhielten. Auf Grund des Ergebnisses könne man dann weitere Maßnahmen beraten. Der Antrag wird ohne Widerspruch angenommen. II. Antrag des Herrn C. F. Cohn in Firma Otto Seiffert Nachf., Berlin. Der Deutsche Papier-Verein wolle dahin wirken, daß, so fern auf Grund des Paragraphen 41 StGB die Unbrauchbar machung einer Schriftabbildung oder Darstellung in einem gegen einen Händler anhängig gemachten Strafverfahren aus gesprochen wird, die Einziehung auf die im Besitz des abge urteilten Händlers befindlichen Exemplare zu beschränken, nicht aber auf die nicht im Besitz des Händlers befindlichen Exemplare und Formen auszudehnen. So unglaublich es kiingen mag, kommen heutzutage oft Fälle vor, in denen Leute verurteilt werden, ohne daß sie eine Anklage erhalten haben, ohne daß sie von der Staatsanwaltschaft, bevor das Urteil Rechtskraft erlangt hat, irgend eine Mitteilung bekommen, daß sie sich gegen irgend einen § des Str.G.B. vergangen haben. — Diese Praxis der Verurteilung ohne Anklage hat sich in letzter Zeit zu einem bedrohlichen Gespenst für alle Postkarten-Grossisten, -Verleger und besonders für die Fabrikanten herausgebildet. Daher ist es wirklich an der Zeit, daß solchen Verurteilungen, die leider im Gesetz ihre Begründung finden, entgegengetreten wird. Es handelt sich hier um den § 41 des StrGB, welcher stets An wendung finden muß, wenn eine Verurteilung nach § 184 des StrGB ausgesprochen wird. § 184 ist ja in letzter Zeit so bekannt’geworden, daß man ihn kaum seinem Inhalt -nach noch anzuführen braucht. Er bedroht mit Geldstrafe bis 1000 M. oder mit Gefängnis bis zu 1 Jahr • „wer unzüchtige Schriften, Abbildungen oder Darstellungen verkauft oder ausstellt oder solche zum Zwecke der Verbrei tung vorrätig hält.“ Wenn eine Schrift oder Abbildung als unzüchtig verurteilt wird, muß nach der heutigen Gesetzgebung der Richter die Einziehung oder Vernichtung der Schrift oder der Abbildung nach § 41 des StrGB aussprechen, nach welchem „alle Exemplare, sowie die zu ihrer Herstellung bestimmten Platten und Formen unbrauchbar zu machen sind.“ Hierin liegt eine ganz besondere Härte und Ungerechtigkeit, wie ich gleich an einigen Beispielen zeigen möchte. In einem x-beliebigen kleinen Städtchen werden bei einem Händler Karten oder Bücher beschlagnahmt, weil sie irgend einem „Normalmenschen“ nicht gefallen, oder jemand den betreffenden Händler schikanieren will; vielleicht ist es auch ein Mucker, dessen sittliches Empfinden durch den Anblick eines erstklassigen, seit Jahrhunderten als Kunstwerk anerkannten Gemäldes, welches in einer vorzüglichen Reproduktion auf einer Postkarte ausgestellt ist, beleidigt wird. — Die Beschlagnahme erfolgte auf eine anonyme Anzeige, welche bei der Staatsanwaltschaft oder auf einem Polizei- büro eingegangen war. — Bald darauf wird der Händler wegen Ver breitung unsittlicher Schriften (§ 184 StrGB) angeklagt. — Er erhält die Anklageschrift zugestellt, der betreffende Verleger oder Drucker, dessen Firma genau auf der Drucksache angegeben ist, hört nichts von der Beschlagnahme. — Der arme, fliegende Händler, der kaum sein täglich Brot hat, ist nicht in der Lage, sich einen Verteidiger zu nehmen, denn dieser würde viel mehr kosten als die 5 Postkarten, die ihm konfisziert sind. Er braucht sich auch kaum zu verteidigen, denn er hat in gutem Glauben die Postkarten, welche von der Direk tion der Kgl. Preußischen Museen Verwaltung bestellt worden waren,' verkauft. — Er selbst wird auch nicht wegen Verbreitung dieser Karten bestraft, es wird nur für recht erkannt: „die Einziehung der beschlagnahmten Exemplare, die Un brauchbarmachung aller sonst öffentlich ausliegenden und öffentlich angebotenen Exemplare, sowie die zu ihrer Her stellung verwandten Platten und Formen." Nachdem das Urteil rechtskräftig geworden, erinnert man sich mit einem Male, daß der Drucker und Verleger ja die Drucksachen und Platten herauszugeben hat und daß diese bedeutenden Objekte zu vernichten sind. — In diesem Verfahren liegt eine kolossale Härte! Hier ist der Drucker und der Verleger rechtskräftig verurteilt, ohne vorher eine Anklage erhalten zu haben, ohne vorher gehört worden zu sein, ohne jede Verteidigung!! — In diesem Falle kann kein Wiederaufnahmeverfahren beantragt werden. Ebenso ist es ausgeschlossen, daß wenn selbst 10 freispre chende Urteile oder mehr vorliegen, die Herausgabe der noch bei den Händlern oder dem Fabrikanten befindlichen Exemplare und der zu ihrer Herstellung verwandten Platten verweigert werden darf. Die freisprechenden Urteile gelten nichts, nur das eine, welches die Vernichtung ausspricht, ist rechtskräftig, hier gilt das Urteil eines Schöffengerichts mehr als ein freisprechendes Urteil des Reichs gerichts !! Die Beschlagnahmen von Gemäldepostkarten, welche Repro duktionen nach den besten Meisterwerken der Dresdner und Ber liner Galerien aufweisen, sind ja genugsam bekannt. Es waren „Ju piter und Jo" von Correggio (in der Berliner Galerie), — „Amor seinen Bogen schnitzend" von Mazzola (Nachahmer des Correggio) im Amsterdamer Museum, — Giorgione: „Schlafende Venus“, — Tizian: „Venus von Amor bekränzt“, — Reni: „Ruhende Venus mit Amor, — Rubens: „Urteil des Paris", — Palma Vecchio: „Ru hende Venus", — van Dyck: „Danae", — „Helene Fourment" von Rubens, „Danae“ von Tizian. — Wie der Herr Staatsanwalt in seiner Anklageschrift diese Ge mälde beschreibt, ist schon charakteristisch für das kunstsinnige Verständnis dieses Herrn. „Helene Fourment von P. P. Rubens, eine mit einem Mantel dürftig bekleidete Frauensperson, die mit dem gekrümmt gehaltenen rechten Arm die Brüste nach oben zusammenpreßt.“ „Venus von Tizian, eine auf Tüchern nackt liegende Frau." „Schlummernde Venus von Giorgione, gleichfalls eine auf Tüchern unbekleidet liegende Frauengestalt." „Danae e Amore von Tizian, eine mit leicht angezogenen Beinen nackt neben einem rechts von ihr stehenden Li:besgotte auf einem Ruhebett liegende Frau, den goldenen Regen erwartend.“ „Ruhende Venus von Palma Vecchio, eine am Waldessaume auf Tüchern liegende Frauengestalt." „Diana sortant du bain von Boucher, zwei unbekleidete Frauen gestalten am Rande eines Waldes.“ „Liebesrausch. Dargestellt ist auf diesen (modernen) Karten ein Liebespaar. Eine Dame im Ballkostüm, die in die Ecke eines Sofas hineingelehnt liegt, wird von einem hinter demselben stehenden, sich zu ihr herniederbeugenden Herrn geküßt. Die Karte bedeutet eine Verherrlichung des Ehebruchs.“ Diese Karten wurden sämtlich verurteilt und die Einziehung derselben verfügt. Infolge des ergangenen Urteils erschienen in Dresden bei der betreffenden Kunstanstalt, welche die Gemäldereproduktionen im Auftrag des „Ministers für Kultus und Oeffentlichen Unterricht,