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1480 PAPIER-ZEITUNG Nr. 43/1914 Gewerbe-Aufsicht der Papier-Industrie in Preußen 1913 In der Papierindustrie, d. i. Papier- und Papierstoffabrikation und -Verarbeitung, wurden im Berichtsjahre 2021 Betriebe gezählt mit 97 166 Arbeitern (1912: 1991 und 96 517); hiervon waren 58 252 männlich, 38 914 weiblich (1912: 58 199 und 38318). Sonntagsarbeit. Einer Zellstoff- und Papierfabrik wurden 7902 Arbeitsstunden bewilligt, da wegen Ausglühens eines Dampf kessels 40 v. H. Ausfall an der erzeugten Warenmenge eingetreten war, und ferner zeitweise die Schiffe, die der am Wasser belegenen Fabrik das erforderliche Holz zuführen, sich derart drängten, daß es an ausreichenden Liegeplätzen fehlte. Wegen unzulässiger Sonnatgsarbeiten mußten mehrfach Be strafungen erfolgen. Der Direktor und der Oberingenieur einer Zellstoffabrik wurden mit je 150 M. bestraft, weil sie während der beiden Weihnachtsfeiertage die Zellstoffkocher und Entwässerungs maschinen nur 36 Stunden statt der vorgeschriebenen 42 Stunden außer Betrieb gesetzt hatten; die Ursache lag bisher an der angeb lich technischen Unmöglichkeit, die Laugenerzeugung ohne Nachteil solange zu unterbrechen. Nachdem die Firma die Zahl der Laugen vorratsbehälter erheblich vermehrt und zur Feinkiesröstung neue amerikanische Drehöfen (System Wedge) aufgestellt hat, ist es möglich, die Erzeugung von schwefliger Säure und damit auch die der Lauge in weiten Grenzen zu verändern, d. h. sie in den Feier tagen, ohne die Oefen ausgehen zu lassen, zu verringern. — Der Betriebsleiter der zu einer Zellstoff gehörigen Papierfabrik wurde zweimal mit je 25 M. bestraft, weil er an zwei Sonntagen Arbeiter mit dem Schneiden von Papier, das eilig versandt werden sollte, beschäftigt hatte. Ueberarbeitsbewilligungen. Im Reg.-Bez. Köslin haben sie gegen das Vorjahr um etwa 30 v. H. zugenommen, weil eine große Papierfabrik mit Lieferungen in Verzug geraten war; auch in den Reg.-Bez. Merseburg und Aachen erfolgte eine größere Zahl Be willigungen für die Papierindustrie. Betriebsunfälle. Wegen seiner Bedeutung für die Unfall verhütung erscheint der nachstehend aufgeführte Unfall bemerkens wert. In einer Zellstoffabrik ereignete sich ein tödlich verlaufener Unfall beim Entleeren eines Zellstoffkochers älterer Bauart, bei dem der fertige Stoff nicht durch ein Rohr herausgedrückt, sondern nach Oeffnen des unteren Kocherhalses herausgeschaufelt wird. Dies ist ungefährlich, wenn der Zellstoff genügend trocken und von darüber stehendem Wasser befreit ist. Im vorliegenden Falle war jedoch das Wasser infolge der weniger guten Beschaffenheit des Rohstoffs nicht abgelaufen, obwohl man den unteren Verschluß deckel am Halse des Kochers gelockert und andere Mittel angewandt hatte, um diesen Zweck zu erreichen. Die Gefahr, daß der ganze Kocherinhalt auf einmal herausstürzen könne, wenn der Verschluß deckel ganz abgeschraubt wurde, war den Beteiligten bekannt. Trotzdem sprach der Betriebsassistent dem Kochermeister seine Verwunderung darüber aus, daß der Kocher noch nicht entleert sei, und ersuchte ihn, sich zu beeilen. Der Meister gab nun seinen Leuten den Auftrag, den Deckel vorsichtig zu entfernen, statt zu warten, bis das Wasser über den Stoff abgelaufen war. Ein etwas waghalsiger Arbeiter lockerte nunmehr, auf einem Gerüst unter dem Deckel stehend, die einzelnen Deckelschrauben. Beim Lösen der letzten Schrauben gab der Deckel dem Druck der über ihm stehenden Zellstoffmasse nach, und der Arbeiter wurde mit dem Deckel und Gerüst unter der herausstürzenden Masse begraben und getötet. Wegen fahrlässiger Tötung wurde der Betriebsassistent zu zwei Monaten und der Kochermeister zu einem Monat Gefängnis verurteilt. — Ein bemerkenswerter tödlicher Unfall ereignete sich in einer Papierfabrik, wo ein Transmissionslager der Papiermaschine heißgelaufen war und gekühlt werden sollte. Beim Eingießen des Oels in das heiße Lager schlug eine helle Flamme in das Gesicht des Arbeiters, und dieser stürzte vor Schreck in das Vorgelege der in Betrieb befindlichen Papiermaschine. Gesundheitsschädliche Einflüsse. Der Direktor einer Zellstoff fabrik hat in seinem Betrieb einen ihm patentamtlich geschützten Apparat aulgestellt, mit welchem das Einstampfen des Holzes in die Zellstoffkocher derart von außen erfolgt, daß Arbeiter den Kocher raum nicht mehr zu betreten brauchen und gesundheitlichen Schädigungen durch Hitze oder Holzstaub sowie der Gefahr des Verbrühens durch Dampf nicht mehr ausgesetzt sind. Der Apparat hat sich bisher gut'bewährt. — Eine gute Entnebelungsanlage ist in der Tilsiter Zellstoffabrik von dem Ingenieur Georg Schreiber aus Hannover eingerichtet worden. Es galt insbesondere, die Räume, in denen die nassen Zellstoffbahnen auf den sogenannten Ent wässerungsmaschinen getrocknet werden, wobei eine unerträgliche Nebelbildung entsteht, zu entnebeln. Die verschiedensten Systeme, insbesondere in großem Umfang die Zuführung angewärmter Luft in Kanälen, waren bereits ohne Erfolg angewendet worden. Das System Schreiber beruht im wesentlichen auf der Anwendung des Grundsatzes, daß die Außenluft in entsprechender Verteilung so eingeführt wird, daß sie dabei Gelegenheit findet, sich an Dampf leitungen usw. genügend anzuwärmen. Ferner müssen die Wege für die weitere Luftbewegung sorgfältig durchdacht und reichlich bemessen werden. Wenn möglich, wird ausschließlich der natürliche Auftrieb zur Luftbeförderung verwendet, wobei natürlich Stellen mit großer Wärmeentwicklung besonders beachtet werden. Die von den heißen Maschinen aufsteigende feuchte Luft wird zum Teil durch Trennwände, die von der Decke herabhängen, verhindert, sich an der Decke auszubreiten und an kälteren Stellen abzukühlen; sie muß vielmehr den ihr zugedachten Abzugsweg nehmen. Bei Neubauten wird die herrschende Windrichtung bei Bewegung der Außenluft entsprechend berücksichtigt. Alle neueren Bauten der Firma, welche zur Zellstoff- und Papierfabrikation dienen, sind ebenfalls nach diesem System eingerichtet worden. — Zur Ver meidung des beim Flaschenbronzieren entstehenden Staubes findet neuerdings in einer Buntpapierfabrik im Reg.-Bez. Cassel eine von der Leipziger Schnellpressenfabrik Akt.-Ges., vorm. Schmiers, Werner & Stein erbaute Flachbronzier- und Abstaubmaschine mit Staubabsaugung Verwendung. Durch einen kräftig wirkenden Exhaustor wird die Luft aus dem ganzen Innenraum der Maschine abgesaugt, so daß die wirbelnde, mit Bronzestaub durchsetzte Luft nicht nach außen entweichen kann, sondern im Gegenteil die Außen luft, die die Maschine umgibt, durch jede kleine Oeffnung in die Maschine hineingezogen wird. Der mit Bronzestaub durchsetzte Luftstrom wird durch einen Filtertopf gereinigt und dann ausge blasen. Diese Einrichtung hat sich gut bewährt. — In einer neu errichteten Lumpensortiererei wurde die Staubabsaugung nicht benutzt, weil sie starke Zugerscheinungen und Geräuschbelästigungen verursachte. Der Betriebsinhaber verschleppte die Vornahme der nötigen Aenderungen und mußte schließlich durch polizeiliche Verfügung zur ordnungsmäßigen Instandsetzung und dauernden Benutzung der Entstaubungsanlage angehalten werden. — In einer Buchbinderei wurden bereits im Vorjahre zwölf Arbeiterinnen in einem Arbeitsraum von nur 55 cbm Luftinhalt angetroffen. Güt liche Vorstellungen hatte nur vorübergehenden Erfolg. Da auch im Berichtsjahre ähnliche Feststellungen gemacht wurden, mußte dem Arbeitgeber durch Verfügung aufgegeben werden, in dem Raume nur so viel Arbeiterinnen zu beschäftigen, daß auf jede von ihnen ein Luftraum von mindestens 10 cbm entfällt. Sitzgelegenheit für Arbeiterinnen während der Dauer der Be schäftigung bereitzustellen, hängt ausschlaggebend von der Art der Verrichtungen der Arbeiterinnen ab. Eine große Zahl von Be schäftigungen kann und muß sitzend vorgenommen werden. Mehr als die Hälfte der Arbeiterinnen sind aber auf das Arbeiten im Stehen angewiesen, wobei innerhalb der verschiedenen Gewerbe gruppen die stärksten Verschiedenheiten auftreten. Dazwischen liegen Arbeiten, die zeitweilig die Benutzung von Sitzgelegenheit gestatten. Die Papier- und Papierwarenfabrikation umfaßt Be triebszweige, in denen die hier in Betracht kommenden Verhältnisse für die Arbeiterinnen häufig recht günstig liegen. Großenteils kann ein Wechsel zwischen Stehen und Sitzen stattfinden; soweit die Tätigkeit stehend verrichtet werden muß, ist sie meist mit Be wegung verknüpft; für viele Arbeiten besteht Zeitlohn; die durch zwei bis drei Pausen unterbrochene Arbeitszeit beträgt häufig unter zehn Stunden. Soweit erforderlich, ist bei den Revisionen dafür gesorgt worden, daß bei Arbeiten, die ebenso gut sitzend verrichtet werden können, Sitzgelegenheit beschafft wurde. Hierzu bot sich bei einer eigenartigen Beschäftigung in einer Zellstoffabrik Anlaß. An einer Entwässerungsmaschine waren mehrere Mädchen damit beschäftigt, aus der hier in senkrechter Richtung durch. mehrere Walzen von unten nach oben an ihnen vorbeigeführten Zellstoff bahn die in der Masse befindlichen Knötchen und Holzteilchen durch Herausnehmen mit den Fingern zu entfernen. Diese Arbeit konnte ebensogut im Sitzen vorgenommen werden, weshalb ein Sitzbrett verlangt und angebracht wurde, welches von vier Mädchen benutzt wurde, während das fünfte erklärte, sie arbeite lieber stehend. Beschaffenheit der Fußböden in Arbeitsräumen. Um die Unfall gefahr zu vermindern, die durch mangelhafte oder ungeeignete Fußböden in Gewerbebetrieben entsteht, wird bei der Vorprüfung der Gesuche nach § 16 und § 24 der GO und der Baugesuche für gewerbliche Anlagen darauf hingewirkt, daß der Fußboden den Anforderungen der Unfallverhütung und des Gesundheitsschutzes entspricht. Während in früheren Jahren die Fußböden meist aus Holz und Ziegelpflaster hergestellt wurden, ist in der Neuzeit die Ausführung in Zement, Beton. Asphalt, Kunststeinfliesen und in Holzzement (sogenannter Steinholzfußboden, Xylolit usw.) beliebt geworden, denen sich das Linoleum als ausgezeichneter Belagstoff zugesellt. Allgemein ist Steinzement oder Betonfußboden in ge werblichen Anlagen da zu finden, wo große Nässe auftritt, so auch an Papiermaschinen und in Holzschleifereien. Zur Verhütung, daß die Arbeiter gezwungen sind, im Nassen zu stehen, ist Sorge getragen, daß die Fußböden tunlichst eine zum Abfluß geneigte Lage erhalten, und daß die Arbeiter auf Lattenrosten stehen; bessere Erfahrungen sind in Zellstoffabriken mit der Verwendung von harten, gelben Klinkern gemacht worden, die neben dem Vorteil größerer Widerstandsfähigkeit und Rauhigkeit auch den des billigeren Preises haben. Eine große Pappen- und eine Dachpappenfabrik benutzen für Erdgeschoßräume auch Ziegelfußboden, den sie bequem und billig haben können. Seiner geringen Haltbarkeit steht der Vorteil gegenüber, daß er leicht auszubessern ist. Ein anderer Teil der Pappenfabrik besitzt Zementfußboden, der wegen seiner schwierigen Ausbesserung nicht zufriedenstellt. Die Anwendung von staubaufsaugendem Fußbodenöl auf Dieleupelag hat sich in