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1454 PAPIER-ZEITUNG Nr. 43/1914 Londoner Papiermarkt London, 18. Mai 1914 Wir haben eine weitere Reihe schlechter Geschäftswochen durch lebt, eine Zeit, in welcher die Schwüle und Stille geradezu bedrückend auf dem Papierhandel geruht hat. Sämtliche Zweige des Papier geschäfts, Verarbeitung, Druckereigewerbe, Großhandel, Vertreter und Einfuhrhäuser haben die gleiche unangenehme Erfahrung machen müssen, daß die Flauheit unbeschränkt geherrscht hat und Anstrengungen aller Art völlig nutz- und zwecklos geblieben sind. Es ist wie wenn ein Segelschiff in eine Windstille geraten ist, und der Steuermann und die Matrosen sich umsonst abmühen, das Fahrzeug wieder in Bewegung zu bringen. Man fühlt, daß Arbeit nötig ist, und man wendet alle Mittel an, aber die Mühe ist vergeblich, und die Arme sinken mutlos nieder. Wie anders, wenn am neuen Morgen eine Brise aufspringt, die Segel sich füllen und das Schiff fast ohne jede Anstrengung wieder in Fahrt ist. Und ein solcher erwünschter Umschlag ist nun auch im hiesigen Papiergeschäft endlich bemerkbar geworden, denn die Kauflust hat in der letzten Woche wirklich einen neuen Antrieb bekommen, und man hat wieder Beschäftigung gehabt. Der Druck, der auf unserm Gewerbe leider schon so lange gelastet hat, hat aber natürlich seine bösen Folgen hinterlassen. Die Flauheit treibt zu Sonderanstrengungen, und diese nehmen gewöhnlich die Richtung zu Ausnahmsangeboten hin. Das bezieht sich auf Lagerposten und auf Anfertigungen. Der Nachteil ist selbst verständlich doppelt, nicht nur daß das Geschäft ohne Nutzen, ja häufig wohl mit Verlust betrieben wird, sondern es werden oben drein die Preise für jedermann verdorben. Am Ende bleibt trotz dem der erhoffte Erfolg aus, denn bei flauer Geschäftslage handelt es sich nicht so sehr um den Preis als um das Fehlen des Bedarfs, der immer die Triebfeder ist. Das Uebel liegt nun darin, daß der schließlich wieder eintretende Bedarf vollen Nutzen aus der in zwischen verdorbenen Preislage zieht, und der Verdienst an dem lang erhofften Geschäft dann um so viel geschmälert ist. Die Ermäßigung der Preise erstreckt sich hauptsächlich auf die bekannten Stapelsorten. Zunächst kommt das Lagergeschäft in Betracht. Vorräte, die sich‘von Woche zu Woche verteuern und das Ausbleiben von Aufträgen passen schlecht zusammen, und wo diese Umstände Zusammentreffen, da nützt alle Logik nichts, und die Preise sind herunter, ehe man sichs versieht. Um ein Beispiel zu nennen, wird satiniert Braunholz-Packpapier, greifbare Ware, unter dem gegenwärtigen Anfertigungspreis an geboten. Kraft-Packpapier ab Londoner Werfte wird in den gang baren Formaten und Gewichten zum gleichen Preis notiert wie für Anfertigungsbestellungen. Außerdem hat man noch mit den Lägern zu rechnen, die sich bei den Fabrikanten angesammelt haben. Bei fehlenden Aufträgen wissen sich gewöhnlich die Fabriken nicht anders zu helfen, als die regelmäßigen Papiersorten im voraus herauszuarbeiten. Die Bestände sammeln sich dann sehr schnell an, und es muß Luft geschaffen werden. Die fertige Ware wird also zu herabgesetztem Preise ausgeboten, und die Möglichkeit für An fertigungsbestellungen, den ursprünglichen Preis zu erzielen, ist dadurch beseitigt. Es ist kein schönes Bild, das hier entworfen ist, aber es entspricht der Wirklichkeit. Es kann nicht ausbleiben, daß das eigentliche Platzgeschäft, also der Papierverkauf von den Lagerhäusern der Großhandlungen in Mitleidenschaft gezogen wird. Zugeständnisse im Preis werden notgedrungen eingeräumt, um vorliegende Aufträge nur nicht zu verlieren. Dies sind alles Uebelstände, wie sie durch die vergangenen flauen Geschäftswochen recht auffällig ans Licht gebracht wurden. Das Geschäft für Anfertigungsbestellungen ist von diesen mißlichen Zuständen arg betroffen. Am wichtigsten sind hierbei Mit bewerb und Mangel an Beschäftigung, und wenn beide ihre Wirkung gleichzeitig ausüben, dann ist es für die Fabriken und ihre hiesigen Vertreter nicht gut bestellt. Auch hier drückt sich der unmittelbare Erfolg, oder vielleicht besser „Mißerfolg“, in dem Geschick der Preise aus. Diese befinden sich für alle in großen Mengen bezogenen Gattungen auf der niedrigsten Stufe. Das ist gleichermaßen der Fall bei den ausländischen wie bei den einheimischen Fabrikaten. Ein Abschluß für Rotations-Druckpapier ist zum Preise von 1 p das Pfund engl. weniger 7% v. H. zustande gekommen; das gleiche Papier in Formaten ist zu 1 p netto erhältlich, allerdings mit der Bedingung sofortiger Ablieferung und nicht für langfristige Ab schlüsse. Für farbig satiniert und unsatiniert Prospektpapier sind die Notierungen aufs äußerste gedrückt. Für einseitig glatt ordinär weiß Seidenpapier 17 g Stärke ist es unmöglich, einen höheren Preis als 111/4 p das Ries 20x30" 480 Bogen zu erzielen. Die braun Einwickelseiden leiden unter scharfem Wettbewerb der nordischen und deutscher Fabriken; das Papier der letztgenannten wird in einigen Fällen bevorzugt, aber nur, wenn der Preis der gleiche ist. Farbig Flaschenseiden wird vielfach von Fabriklägern bezogen; wenn es sich um größere Anfertigungen handelt, muß der Preis jedenfalls unter 1 sh 2 p das Ries 20x30" 480 Bogen sein bei 19 g Stärke. Zum Schluß noch eine Notierung einer englischen Fabrik für holzfrei weiß Druck- und Schreibpapier, nämlich 1% p das Pfund weniger 5 v. H., gleichbedeutend mit 29 M. 50 Pf. netto die 100 kg fob Hamburg. A Unfall-Entschädigung Im Jahre 1908 erlitt ich in einer Papierfabrik, in welcher ich seinerzeit als Lehrling tätig war, einen Unfall, indem ich eine Treppe hinunterstürzte und mir die Knochenhaut beider Beine verletzte. Seit diesem Unfall krankte ich, konnte jedoch bis auf kleine Unter brechungen bis 1911 arbeiten und verdiente als Expedient ein Monats gehalt von 120 M. Im Juli 1911 trat die Krankheit mächtig auf; bis Juli 1913 war ich ans Bett gefesselt, da die Knochen des rechten Beines vermorscht waren, und am 21. 7. 1913 wurde es mir ab genommen. Ich habe nun Unfallrente beantragt, da nach Aus sage der Aerzte der Unfall im Jahre 1908 die Ursache zur Amputation des Beines geworden ist. Habe ich nun Rente auf meinen letzten Verdienst von 120 M. monatlich (da ich doch durch den Fortschritt der Krankheit in meiner Tätigkeit unterbrochen wurde) zu beanspruchen, oder nur auf meinen damaligen Lehrlingsverdienst ? Von meinem Arzt wurde mir das letztere erklärt, doch erscheint mir dies nicht logisch, da in diesem Falle kein direkter sondern ein indirekter Unfall vorliegt. Hätte ich mein Bein i. J. 1908 verloren, so hatte ich nur Rente auf mein Lehrlingsgehalt zu beanspruchen, so war es mir aber mög lich, noch auf eine höhere Gehaltsstufe zu kommen, ehe sich die Folgen des Unfalls richtig bemerkbar machten, deshalb steht mir nach meiner und meines früheren Geschäftsherrn Meinung Unfall rente auf meinen letzten Verdienst zu. Was habe ich außer Rente von der Berufsgenossenschaft zu beanspruchen, weil ich sämtliche Kosten bisher allein tragen mußte, da ich, weil kein direkter Unfall vorlag, erst nach Verlust des Beines mit meinen Ansprüchen hervortreten konnte? Ich bin zuhause verpflegt und operiert worden. Wäre ich in einem Krankenhause gewesen, so müßte die Unfallkasse Pflegegeld an dieses zahlen. Steht mir auch solches zu ? X. Gutachten eines Vertrauensmannes der Papiermacher- Berufs- genossenscha/t: Nach den geschilderten Verhältnissen besteht kein rechtlicher Anspruch auf Entschädigung mehr, denn die Ansprüche waren nach § 1546 1 der RVO spätestens 2 Jahre nach dem Unfall anzumelden. Zwar läßt § 1547 I der RVO auch eine spätere Anmeldung zu, wenn erst nach Ablauf der Frist sich die Unfalfolgen in wesentlich höherem Maße bemerkbar machen, doch müssen diese Ansprüche binnen 3 Monaten an gemeldet werden, nachdem die wesentliche Verschlimmerung bemerkbar geworden ist. Nach obiger Darstellung ist aber seit Juli 1911, also 3 Jahre nach dem Unfall eine derartige Ver schlimmerung eingetreten, daß der Kranke bettlägerig wurde und das Bett bis Juli 1913, wo das eine Bein abgenommen worden ist, nicht verlassen konnte. Anscheinend ist erst jetzt im Jahre 1914, also 6 Jahre nach dem Unfall und 3 Jahre nach der völligen Arbeitsunfähigkeit, ein Entschädigungsanspruch angemeldet, dieser ist demnach unter allen Umständen verjährt. Sehr zweifelhaft ist, ob der Verletzte überhaupt gesetzlich als unfallversichert zu gelten hat, denn nach der Darstellung ist er doch wohl als kaufmännischer Lehrling verunglückt und hätte als solcher nur dann Ansprüche, wenn eine freiwillige Ver sicherung nach der Satzung der Berufsgenossenschaft bestanden hat, dann würde auch der versicherte Jahresarbeitsverdienst der Entschädigung zugrunde zu legen sein, andernfalls nach § 563 der RVO das im Jahre vor dem Unfall bezogene Entgelt. Erkennt also die Ben;fsgenossenschaft eine Entschädigungs pflicht an, was ich nach der Darstellung aus oben dargelegten Gründen und auch deshalb nicht annehmen kann, weil ein Nachweis des Zusammenhanges zwischen dem Leiden und dem Unfall schwer nachweisbar sein dürfte, so wird der Entschädigung entweder' der Lehrlingsverdienst oder der versicherte Jahres arbeitsverdienst zugrunde gelegt. Die Entschädigung wird nach § 611 der RVO nur für die Zeit nach Anmeldung der Ansprüche gewährt; da der Anspruch infolge später bemerkbar gewordener Verschlimmerung verspätet angemeldet, und demnach nach §611 behandelt wird. Demnach besteht selbst in dem unwahr scheinlichen Fall der nachträglichen Anerkennung der Ent schädigungspflicht durch die Berufsgenossenschaft kein An spruch für die zurückliegende Zeit auf Rente, Kur- und Ver- pflegekosten. H.