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Amerikanische Reklame Das Land des Dollars ist uns immer interessant gewesen, und man kann von den amerikanischen Kaufleuten manches lernen. Ihre Art, Kunden anzufassen, ist bisweilen vorbildlich. Allerdings darf die amerikanische Reklame nicht mit europäischem Maß gemessen werden, denn sie ist auf die dortigen Bedürfnisse und Verhältnisse zugeschnitten. Was bei uns der Reisende macht, muß drüben durch Anzeigen, Kettenbriefe und andere Drucksachen ersetzt werden, in denen alles und mitunter mehr gesagt wird, als gesagt werden sollte. Deshalb ist die amerikanische Reklame im allgemeinen wortreich und bedeckt häufig ganze Seiten teurer Zeitungen, für die ein fabel hafter Preis gezahlt werden muß, mit eng gedrucktem Text. Es ist nicht anzunehmen, daß der nüchterne Amerikaner das alles liest, aber als Tatsachenmensch läßt er sich doch gern davon beeinflussen, daß ein Kaufmann solche Summen für eine Ware aufwenden kann. Diese Reklame läuft also auf Suggestion hinaus, die ihren Zweck nicht verfehlen wird, denn in Amerika hypnotisiert man oder wird hypnotisiert. Im Verein für Reklame-Fachleute erzählte ein Herr einiges über Beobachtungen, die er in Amerika am Reklamewesen ge macht hat. Er meinte, „das persönliche Moment” sei in der amerikanischen Reklame besser ausgebildet, der Kaufmann wirkt auf die Massen mehr individuell ein, in der Art und Aus drucksweise, die sie verstehen. Das ist in der Tat so, und die Papier-Zeitung hat in früheren Jahren manche Anregung nach amerikanischem Muster gegeben, die sich auf direkte Anrede in Anzeigen bezog und darin gipfelte, man solle frisch und frei von der Leber weg sagen, was zu sagen sei. Der amerikanische Maschinenfabrikant z. B. stellt sich den Interessenten ohne Umschweife als guter Freund vor, der ihm klar macht, was durch veraltete Einrichtungen im Jahre verloren geht, und welche Vorteile ihm neue Maschinen bringen würden, die der gute Freund unter angenehmen Bedingungen liefern kann. Das wirkt auf alle Fälle besser, als die einfache Aufzählung der Fabrikate mit Referenzenlisten u. dgl., die man in unseren Anzeigenblättern vorwiegend bemerkt. Die Art, eine Anzeige mit „Guten Tag” oder „Werter Herr” zu beginnen, hat etwas Erfrischendes, solange sie vereinzelt auftritt. Wird sie uns häufiger vorgesetzt, dann flüchtet man zu der vornehmen Anzeige zurück, die nur den Fabrikanten und das Fabrikat angibt. Die Sache liegt hier wie in Amerika so, daß man möglichst nicht das tun darf, was alle tun, sondern daß man beobachten, sein Publikum studieren und danach seine Schlüsse ziehen muß. In diesem Sinne gesehen steht die deutsche Reklame, neuerdings auch die durch feine Kataloge bewirkte, hinter der amerikanischen an Güte und Zweckmäßigkeit nicht zurück. Wenn sonach die Folgerungen, die jener Herr im Vergleich der amerikanischen mit der deutschen Reklame unbewußt auf stellte, in manchen Punkten nicht ganz zutreffen, so sind seine Anregungen doch dankbar aufzunehmen. Einige Fälle geschickter Reklame und Reklame-Fürsorge durch eine Agentur seien hier wiedergegeben. Ein Fabrikant von Baby-Ausstattungen erfragt auf den Standesämtern die Adressen von Eltern, denen Kinder geboren wurden, nebst den Namen der letzteren. Nun gehen an die Kinder — nicht die Eltern — Briefe ab, in denen der aufmerksame Fabrikant die neuen Erdenbürger zu ihrem Erscheinen beglück wünscht und sie bittet, die Eltern zu grüßen und sie auf die treffliche Kinderwäsche usw. aufmerksam zu machen, die der Briefschreiber führt. Das ist wirklich nett. Welche Mutter wird nicht gerührt sein über diesen freundlichen Brief, den ersten, den ihr Liebling erhalten hat, und wenn sie anderwärts keine besonderen Vor teile zu gewärtigen hat, wird' sie sicher zu dem guten Manne eilen. Ein Fabrikant von eingemachten Früchten wirkt auf die Hausfrau, der er persönlich schreibt, in folgender Weise ein: „Sehr geehrte gnädige Frau! Sie werden gewiß gehört haben, daß meine Büchsenspargel, eingemachte Früchte usw. nicht nur preiswert, sondern auch außerordentlich wohlschmeckend sind, weil sie von erlesener Ware mit besten Zutaten hergestellt werden. Es ist bekannt und es begründet den ausgezeichneten Ruf meiner Firma in den Kreisen der Hausfrauen, daß die Ver arbeitung der Früchte zu Konserven mit Einrichtungen ge schieht, die keinem Haushalt zu Gebote stehen, und unter Vorsichtsmaßregeln, die aus meiner langen Erfahrung hervor gegangen sind. Es ist sicher, daß Ihre Freundinnen, sehr geehrte gnädige Frau, erfreut sein werden, beim nächsten Besuch meine Konserven von Ihnen vorgesetzt zu erhalten.” Dieser Text ist nach An deutungen, die Herr S. gab, für die Leser der Papier-Zeitung frei erfunden. Die Kettenbriefe, die Herr S. erwähnte, sind eine Reihe von Briefen, die in gewissen Zeitabständen an dieselbe Adresse ab geschickt werden, wenn inzwischen nicht bestellt worden ist. Der erste Brief zeigt die Ware an und erwähnt einen bis zwei Vorzüge. Der zweite Brief macht auf weitere Vorzüge aufmerksam. Der dritte Brief wird dringlicher, bietet Vorteile beim Bezug an, etwa Abzahlung u. dgl. Auf diese Weise kann eine Anzahl von Interessenten mit vier oder mehr Briefen gleicher Fassung — mit der Schreib maschine hergestellt — systematisch bearbeitet werden. Nötig ist aber eine Kontrolle über das Verhalten des Betreffenden, denn die Zuschriften müssen eingestellt werden, wenn der Er folg da ist, und wieder einsetzen, wenn Nachbestellungen aus bleiben. Man fragt dann an, ob die Ware nicht befriedigt hat usw. Bei der Wichtigkeit, welche die Reklame für das amerika nische Geschäftsleben hat, kann es nicht Wunder nehmen, daß dort richtige Reklame-Schulen bestehen, in denen Kettenbriefe und andere Reklamemaßnahmen gelehrt werden. Derartige Einrichtungen würden sich auch bei uns wahrscheinlich bezahlt machen und Nutzen stiften, wenn sich wie drüben geeignete Personen dafür als Leiter und Lehrer fänden. Jede große Firma hat ihre eigenen Reklame-Berater, die gewiß erfreut wären, wenn sie in Abendkursen Anleitung und Winke für sachgemäße geschickte Reklame haben könnten. Selbst die Geschäftsherren würden sich vermutlich gern auf die Schulbank setzen, um nütz liche Anregungen zu finden. Was unsere Handelsschulen in dieser Hinsicht vielleicht nebenbei bieten, ist doch nur das trockene Einmal-Eins, nicht seine praktische Anwendung. Vielleicht nimmt der Verein der Reklame-Fachleute die Sache in die Hand. Kurz, man bleibt in persönlicher Fühlung mi dem Käufer, und das ist die Hauptsache bei dieser und jeder anderen Art von Reklame. Natürlich muß man auch sein Publikum kennen und in der Art behandeln, die es versteht und die ihm angenehm ist. Eine Ware für Landwirte kann etwas derber empfohlen werden als Sachen, die von Stadtdamen gekauft werden sollen. Den Süddeutschen und den Rheinländer wird man mit Humor ge winnen, den Norddeutschen muß man ernster, die Seestädter, besonders den Hamburger Kaufmann, streng sachlich anfassen. Im ganzen genommen: Reklame will nicht allein gelernt sein und kann nicht nach einem Schema behandelt werden, auch nicht nach dem amerikanischen. Wenn je der Begriff „Künstler” am Platze war, dann ist er es hier mit der Be deutung, daß der feinste Kopf mit der weitesten Erfahrung in diesen Dingen als Reklame-Künstler angesehen werden muß. auch wenn er keinen geraden Strich ziehen kann. Herr S. führte noch einen Fall an, der die Tätigkeit der amerikanischen Anzeigen-Agenturen streift. Diese sind zu gleich Berater der Kaufleute oder Fabrikanten, die nicht recht in Gang kommen können, weil sie es ungeschickt anfangen. So sah der Reklamemann bei einer Bahnfahrt eine Fabrik liegen, deren Schornsteine kein rechtes Leben zu haben schienen. Er stieg aus und erfuhr, daß die Konkurrenz sich zu einem Trust vereinigt habe und die Kundschaft in den Fingern halte. Der Reklamemann machte dann Vorschläge auf Grund eines großen Anzeigen-Auftrages, schickte erfahrene Agenten zu den Händlern, um zu erforschen, warum sie die doch besseren Fabrikate der unbeschäftigten Fabrik nicht kauften. Es stellte sich heraus, daß die Ursachen hauptsächlich im Kreditgeben . und in der Erleichterung des Bezuges lagen. Daraufhin machte der Reklamemann im Einverständnis mit dem Fabrikanten den Händlern folgende Vorschläge: Bezug aller Waren in einer nach der Sachlage bemessenen Menge, Kredit ein Jahr mit der Verpflichtung seitens der Händler, jede verkaufte Ware sofort nachzubestellen. Nun kam die Fabrik in Schwung und konnte sich vergrößern. Der Verein für Reklame-Fachleute würde sich verdient machen, wenn er zu ähnlichen Vorträgen Anlaß gäbe. Gewiß werden sich manche finden, die über diese oder jene Erfahrung berichten können, zum Nutzen der Hörer, die ja nicht lediglich Zeichner sein sollen, sondern nach Kräften auch Berater ihrer Auftraggeber. Gerade die Vielwisser werden sich freilich nicht bereit finden, gute Gedanken preiszugeben, denn letztere sind ihr Betriebskapital, das sie im Dienste ihrer Firmen ausnutzen müssen. H. H.