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55 Künsteleien sind; man könnte versucht sein zu glauben, dass das Ziel sei, zuletzt auf der Nasenspitze zu gehen. (Bravo!)*) Unsere Schauturnen sollen stets Muster von Kühnheit, Geschicklichkeit, Kraft und Ausdauer zeigen. Aber bei den Übertreibungen predigen sie das Volk nicht hinein, sondern hinaus aus den Turnhallen. Das Volk wird immer sagen: „Das können wir nicht erreichen“ und „das können Künstler doch noch besser machen.“ Ziehen wir uns auf Natur und Einfachheit zurück, dann werden wir nie einen falschen Vergleich herausfordern, sondern die erziehliche Aufgabe lösen. Thesen kann man aber jetzt noch nicht formulieren. Die sofortige Ausführung wäre ja sehr schön. Wei’ sollte nicht wünschen, dass wir 6 Turnstunden hätten; vorzüglich wären womöglich wöchentliche Turn fahrten. Aber diese Wünsche sind augenblicklich nicht zu erfüllen. Mit den Vorteilen der Einfügung des Turnens in die Schule müssen wir auch die Nachteile, die damit verknüpft sind, in Kauf nehmen. In demselben Masse, wie das Turnen sich erweitert hat, sind wir auch beengt worden. Wir müssen uns deshalb als Glied eines Ganzen fühlen und das Turnen als einen Teil des Unterrichtsgebietes betrachten. Da muss man fragen: In dem Augenblicke, wo die Ansichten noch wanken und schwanken über das Schulideal überhaupt und man noch streitet über die Anzahl der Stunden, die überhaupt und für jeden Gegenstand verfügbar sind, in dem Augenblicke, wo die Grundform der Schule noch nicht feststeht, da sollen wir mit Forderungen kommen, denen gegenüber noch nicht einmal wissen schaftliche Fächer mit ihren Ansprüchen durchgehen können? Wir müssen uns klar machen, dass die endliche Lösung aller Schwierigkeiten nur er folgen kann im Zusammenhänge mit der grossen Unterrichtsreform. Machen wir uns aber klar, was wir eines Tages zu fordern berechtigt sind, damit, wenn eine deutsche Unterrichtsreform da ist, die Turner nicht das Nachsehen haben; aber mache man nicht misstrauisch gegen die Be scheidenheit unserer Wünsche. Vor allen Dingen machen wir gemeinsame Sache mit denjenigen Erziehern, die eine Unterrichtsreform wollen, ja nicht nur irgendwie wollen, sondern verlangen mit der Losung: „Zurück zur Natur, zurück zur'Einfachheit! “ Schulter an Schulter wollen wir stehen mit allen Pädagogen, welche warnend auf die Zukunft hinweisen und darauf aufmerksam machen, dass ein müdes Geschlecht heranwachse statt *) Vergl. „Über modernes Vereinsleben“, Vortrag von Dr. J. Hermann, in der „Deutschen Turn-Zeitung“ 1881 No. 43 und 44; dann derselbe.- „Die Grundbedingungen einer naturgemässen Erziehung der Jugend“ in den „Berliner Nachrichten“ 1880 No. 294 2. Beilage; als Separatabdruck durch den „Berliner Turnrat“ zu beziehen. Die Redaktion.