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Amtsblatt des Kgl. Bezirksgerichts zu Freiberg, sowie der Kgl. Gerichtsämter u. der Stadträthe zu Freiberg, Sayda u. Brand. M/M H Erscheint jeden Wochmlog früh 8 U. —. , . , -UO Inserat.werden bi- Nachm 3 Uhr DlenStaq, den SV. September für die nächste Nr. angenommen. " Pret, »terteljährl. 2v Ngr. Inserat. werden die gespaltm. Zeile oder deren I Raum mit b Pf. berechnet. O VGI -i- Freiberg, 25. September 1865. Deutschland ist um eine Verfassung ärmer geworden; die con- stitutionelle Reichsverfassung Oesterreichs wurde durch einen kaiserlichen Federstrich beseitigt, oder, wie das Manifest sagt, „mit Vorbehalt sistirt." Schmerlings Experiment ist nicht gelungen, also weg damit; ein anderes Bild I An die Stelle des einen, Gesammt- Oesterreich repräsentirenden Reichsraths treten ein viertelhundert Landtage; die Zahl muß es bringen. Mit den Deutschen kann man Alles anfangen; sie lassen sich Alles gefallen; man giebt ihnen eine Verfassung nach Belieben und man nimmt sie ihnen wieder nach Belieben; aber die Ungarn muß man für ihre schroffe Oppo sition, welche sie der kaiserlichen Regierung gemacht haben, beloh nen; die starren und widerspenstigen Ungarn sind die wahren Pa trioten Oesterreichs ; den Ungarn zu Liebe müssen die Deutschen, welche den österreichischen Einheitsstaat mit allen Opfern aufzu bauen sich bemühten, vo,n Neuem nachgesetzt und unterdrückt wer den. Auf Ungarn richten sich wieder die Blicke Europas; Ofen wird die politische Hauptstadt des österreichischen Reiches. Denn das ist der eigentliche Inhalt des neuen Regierungsprogramms, dessen Publikation die Regierung sehr geschickt auf das jüdische Neujahrsfest verlegte, wo die Börsenbewegung ohnehin fast gleich Null ist und die Course leicht zu halten sind. Es bedarf Wohl keiner Versicherung, daß dieser neueste Staats streich alles andere politische Interesse absorbirl. Wir haben uns seit dem Jahre 1848 an mancherlei Ueberraschungen gewöhnt; es sind, besonders im Anfang der fünfziger Jahre, als die Reaction in vollster Blüthe stand und weder Scham noch Scheu kannte, mehrere in Deutschland zu Recht bestehende Verfassungen durch Ge waltakte aufgehoben worden; aber wir haben andererseits gemeint, daß, seitdem die politische Bildung soweit entwickelt, das Selbst bewußtsein der Völker so. gestärkt worden und daS Rechtsgefühl in den Kreisen der Regierenden, wie der Regierten eine solche Macht gewonnen, daß in der Gegenwart ein Staatsstreich der Art, wie er in Oesterreich in der allerunverhülltesten Weise geschehen, eine baare Unmöglichkeit sein würde Grundgesetze, auf denen die wei tere Entwickelung des gesammten Staatswesens beruht, so mit Ei nem Federstriche zu vernichten und aufzuheben oder, wie der neue Kunstausdruck lautet, „mit Vorbehalt zu sistiren" — das sind Acte, welche in der Geschichte mehr als ein Mal die traurigsten Ereig nisse herbeigeführt haben und von den Böltern, wenn sie dieselben auch für den Augenblick über sich ergehen lassen müssen, nie ver gessen werden. Insbesondere in großen Staaten sollten die Regie rungen derartige Auswege unter allen Umständen vermeiden. Wir wissen recht gut, daß die österreichische Februar-Verfassung nicht eine beschworene Verfassung war, aber wir meinen, daß sie deshalb nicht minder ein zu Recht bestehendes, für die Regierenden, wie für - die Regierten gleichgiltigeS Staatsgrundgesetz war: wo soll denn die Treue bleiben, wenn ein unter feierlichen Formen erlassenes Gesetz, auf welches das ganze Volk mit Vertrauen blickte, so ohne Weiteres aus der Welt geschafft oder „mit Vorbehalt sistirt" wird? Die österreichische Presse wagt sich natürlich nur mit schüchternen Bemerkungen hervor; wir finden das vollständig begreiflich. Da gegen herrscht in Ungarn allgemeiner Jubel über den Sieg, welchen die ungarische Nationalität über die deutsche erkämpft. Die offi- ciösen Blätter, die „Gen.-Corresp." und die „Wien. Abendpost", bringen lange Artikel zur Vertheidigung des Staatsstreiches; es ist nicht der Mühe Werth, sie unseren Lesern mitzutheilen. Der offtciöse „Publicist" ist dazu angestellt, das zu vertheidigen, was ihm die Regierung aufträgt; heute das und morgen das Gegen theil; dafür erhält er seinen Gehalt. Natürlich legt man seinen Vertheidigungen nicht den geringsten Werth bei. Ueber den Ein ¬ druck, den das Vorgehen des ungarisch-slavischen Ministeriums zu nächst in Wien gemacht hat, spricht sich ein Correspondent der „Br. Ztg." in folgender Weise aus: „Wien ist überrascht. Ueberraschung, das ist, glaube ich, die richtige Bezeichnung für das allgemein vorherrschende Gefühl. Die Publication des kaiserlichen Manifestes kam so unerwartet und wurde in so seltsamer, ungewohnter Weise ins Werk gesetzt, daß diese Ueber« raschung vollkommen erklärlich ist. Ein endgiltiges Urtheil hat sich hier im großen Publicum noch nicht gebildet; selbst der intelligentere Theil der Bevölkerung hat nur eine unklare Vorstellung über daS Manifest und dessen Bedeutung Nur das Eine weiß man mit Bestimmtheit, daß wir wieder ganz absolutistisch regiert werden sollen, und daß die Rückkehr zu verfassungsmäßigen Zuständen all ealooäao grsec»» ver schoben ist. Das Manifest enthält eine Stelle, welche, über alle Schranken hinweg setzend, die Möglichkeit einer vollständigen Be seitigung verfassungsmäßiger Zustände dies- und jenseits der Leitha in sich schließt. Der Kaiser behält sich nämlich vor, die Berhandlungs- resultate der östlichen Landtage den legalen Vertretern der andern Königreiche und Länder vorzulegen, falls sie (die Verhandlungsresultate) eine mit dem einheitlichen Bestände und der Machtvorstellung des Reiches vereinbare Modifikation des OctoberdiplomS und de« Februar» patentes in sich schließen. — Wie, wenn dies aber nicht geschieht? Was dann? Dann haben die Völker, die vertrauensvoll, die Grund» gesetze des Reiches acceptiren, ihr Recht verwirkt durch die Schuld Anderer. Wohl haben die Länder diesseits der Leitha nicht viel vcr« loren an dieser Februarverfassung; aber man gießt daS unreine Wasser nicht au-, bevor man das reine hat. DaS hätte auch die Regierung bedenken sollen von ihrem Standpunkte. Sie hat jetzt gegenüber dem ungarischen Landtage tabula rasa gemacht. Und die Ungarn werden sich auf diese Tafel aufschreiben, was sie wollen. Um die Völker dies seits der Leitha werden sie sich schwerlich kümmern. Es ist beliebte Redensart in Ungarn: Ihr Andern geht uns nichts an. Doch wie dem immer sein mag, hente läßt sich noch nicht bestimmen, was in der Zeiten Hintergründe schlummert. Oesterreich geht jetzt neuen bewegten Kämpfen entgegen, und eher als man es ahnen zu dürfen glaubte, hat sich das Wort des Herrn v. Bismarck erfüllt und Oesterreich hat seinen Schwerpunkt nach Buda-Pesth' verlegt. Von jenseits der Leitha sollen wir unser Heil erwarten. Sehen wir zu, was daraus wird". In den preußischen Regierungskreisen herrscht allgemeine Zufriedenheit über den Gang, welchen die Politik Bismarcks an nimmt Die Circularschreiben der französischen und englischen Pre- mierminister- an ihre auswärtigen Geschäftsträger, worin der Ga- steiner Vertrag eine bittere Kritik erleidet, macht den Herren am Staatsruder wenig Sorge, da diese.Schreiben nicht an da? Mini- sterium selbst gerichtet sind, daher auch keine Antwort erheischten. Die Beziehungen zu Frankreich sollen sogar zur Zeit sehr günstig sein, und wenn wirklich einige Mißhelligkeiten beständen, so glaubt man, es werde dem neu ernannten Grafen Bismarck gelingen, in Biarritz, wo er doch wahrscheinlich noch mit dem Kaiser der Fran zosen zusammentreffen wird, dieselben vollends zu beseitigen. In Merseburg bei den großen Manöver» und den ständischen Festlich keiten scheint sich auch der Herzog von Coburg dem Herrn v. Bis marck wieder genähert zu haben; vielleicht unterwirft auch er sich den vollendeten Thatsachen und wird aus einem Anhänger des Her zogs von Augustenburg ein Anhänger der Annexion; die Abberu fung seines Cabinetsraths llr. Tempeltey aus Kiel beweist, daß er dem Augustenburg'schen Sterne nicht mehr so recht traut. Anfang dieser Woche begiebt sich der König in Begleitung des Herrn v. Bismarck nach Lauenburg, obschon die Erbhuldigung erst später stattfinden wird. Kurz, nach den Berliner Berichten hängt nicht nur keine Wolke am politischen Himmel, sonder Alles im Gegen theil ist licht, klar und rosenfarben — natürlich nur provisorisch, wie der Zustand der Dinge in Schleswig und in Holstein, wo jetzt