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Tagesgeschichte. Berlin, 10. August. Der „Social-Demokrat" widmet dem Toaste des Herrn v. Schmerling, dem von diesem Staatsmanne erhobenen Rufe: „Auf nach Frankfurt!" einen Artikel, worin er sich gegen Frankfurt als Centralpunkt Deutschlands ausspricht. Der „Social-Demokrat" sagt: Wien oder Berlin ist die künftige Hauptstadt Deutschlands. Nicht in einem österreichischen oder preu ßischen - nein, im deutschen Sinne. In welche der beiden Städte der Schwerpunkt deutscher Nation sich legen werde, wird unwider ruflich abhängen von der größeren oder geringeren Kraft und Rein heit, womit der Geist des Deutschthums und der neuen Zeit in den entscheidenden Tagen in der einen oder anderen dieser Städte zu Tage kommen, und von der größeren oder geringeren Volksthatkraft, welche da oder dort handelnd hervortreten wird. Wir vermuthen, daß Wien die künftige Hauptstadt Deutschlands sein werde, sind jedoch zugleich der Ansicht, daß in dieser Beziehung mit Sicherheit nichts vorherzusagen ist. Wien. Dem neuen Ministerium kommt eine gedrückte Stimmung entgegen. Bor Allem ist es die Börse, welche hier als ziemlich sicherer Barometer gelten kann. Und an dieser sind seit dem Tage, wo die „Wiener Zeitung" die amtliche neue Ministerliste brachte, die Course im ununterbrochenen starken" Rückgänge begriffen; die Staats papiere haben sämmtlich bereits eine Einbuße von mehreren Procenten erlitten und das Silber, was seit einer Reihe von Monaten zwischen 6 und 7 Procent Aufschlag stand, ist bereits über 8 in die Höhe gegangen. Voraussichtlich nimmt die Entwerthung weiteren Fort gang. Ein Grund pafür ist nicht abzusehen, wenn man diese Er scheinung nicht in Beziehung zu dem Ministerwechsel bringen will. Und diese Erklärung ist in der That die einzig richtige. Die Person des neuen Finanzministers flößt allenthalben Mißtrauen ein; man traut ihm weder Befähigung noch Geschick zu, den gor dischen Knoten unserer Finanzwirren zu lösen, und ist bereits so weit herabgestimmt, daß man fast Hrn. v. Plener wieder herbei wünscht, dem wenigstens Kenntniß in der Geschäftsmechanik zur Seite stand. Graf Larisch, dessen bisherige amtliche Stellung ihm einen ganz anderen Wirkungskreis zuwies, ist aber nicht einmal im Besitz dieser Eigenschaft. Das allgemeine Unbehagen findet zudem keine paralisirende Ableitung in dem Gange der äußern Politik; vielmehr dient hier das schwächliche, unsichere und nachdruckslose Auftreten der Regierung nur zur Steigerung der Mißstimmung. Sehr übel empfunden wird es namentlich, daß man den exorbitanten Vorgang mit May in Altona als tnit accompli sich gefallen und zu den vielen von Preußen seit Jahresfrist erlittenen Unbilden auch diese Jsolenz ruhig einstecken wird. Herr v. Halbhuber hat zwar zwei Proteste deshalb erlassen, aber Niemand täuscht sich hier darüber, daß damit im Stande der Dinge nicht das Geringste geändert werden wird, und daß diese Proteste May's Freilassung ebensowenig herbeiführen werden, als Oesterreich die Austreibung der Bundestruppen aus Rendsburg und Holstein und Lauenburg zu redressiren vermocht hat. Man sollte über die reelle Bedeutungs losigkeit solcher Proteste durch die Erfahrung doch endlich belehrt sein; seit Villafranca bewegte sich Oesterreichs auswärtige Politik eigentlich ausschließlich in Protesten, und man hat "damit nichts gewonnen, als daß die Thatsachen sich ohne Oesterreich vollzogen haben. Herr v. Bismarck ist nun vollends nicht der Mann, der sich durch dergleichen Schritte imponiren ließe. Eine ganz andere Wirkung dürfte erzielt worden sein, wenn man statt der Halbhuber-' scheu Proteste als Antwort auf den Altonaer Vorgang an den österreichischen Civilcommissar die Weisung ertheilt hätte, sofort den Redacteur der „Flensburger Nordd. Ztg", bekanntlich eines Ab legers des Biömarck'schen Preßbureaux, durch österreichische Jäger verhaften zu lassen. Im Publikum hat man für die fortwährenden FiaSco's, welche die österreichische Politik macht, ein instinctives Verständniß; man fühtt hier, daß auf solchem Wege Oesterreich immer mehr von seiner Geltung im Rathe der europäischen Groß mächte zurückgcdrängt und zu einer Macht zweiten Ranges erniedrigt wird. Das kränkt natürlich das österreichische Selbstgefühl um so tiefer, je mehr inan sich bewußt ist, im Besitz aller materiellen Bedingungen für eine andere, Oesterreichs Beruf entsprechendere Politik zu sein. — DaS „Fr. I." stellt folgende Betrachtungen an: Graf Blome ist am 8. August zur Fortsetzung der Verhandlungen nach Gastein abgereist. Diese Thatsache beweist uns, daß die Vorschläge wegen Fortdauer des Provisoriums, welche Herr v. Werther zwei Tage vorher nach Wien überbrachte, dort nicht ganz ungünstig aus genommen worden sind. Die Gefahr eines Bruches ist sonach wohl für den Augenblick vorüber, wenn auch eine Einigung noch keineswegs erzielt ist. Die Frage, auf deren Beantwortung es zu nächst vor Allem ankommt, ist nunmehr die: wird die sogenannte augustenburgische Regierung unter diesem neu beschlossenen Provi sorium fortdauern oder nicht? Wir sind geneigt, diese Frage zu I verneinen, denn der Ton der officiösen preußischen Blätter läßt keinen Zweifel darüber, daß man auf diesen Punkt von preußischer Seite das Hauptgewicht gelegt hat. Auch daß jetzt gerade die erste sichere Nachricht über den Inhalt des Votums der preußischen Kron juristen verlautet, scheint uns zu beweisen, daß Herzog Friedrich da- Land wird räumen müssen. Man mag dies Votum noch so lächer lich machen — und wir wollen seine lächerlichen Seiten nicht be streiten — es ist aber doch nun einmal die — wenn auch noch s» sandige — officielle Grundlage für die Rechtsanschauung der preußischen Regierung und wiegt als solches, unterstützt von der preußischen Macht vorerst wenigstens viel schwerer als das treffliche RechtSgut« achten des Herrn von der Pfordten. Al« ein weiteres Zeichen, daß die Tage des Herzogs Friedrich in Holstein gezählt sind, will uns das eben jetzt von den preußischen Officiösen in Cours gesetzte Ge rücht erscheinen, daß die augustenburgische Regierung noch neuer dings bei einer außerdeutschen Großmacht sich zu einem Verzicht auf Nördschleswig bereit erklärt habe, wenn ihm dafür die Unter stützung dieser Macht zugesichert werde. Wir glauben nicht an diese verdächtigende Nachricht, bis uns Beweise dafür beigebracht werden. Die Absicht, durch diese Verdächtigung dem Herzog die Sympathien zu entziehen, wird ohne diese Beweise nicht erreicht werden. Außer Baiern soll auch Würtemberg durchaus nicht ge neigt sein, sich ohne Weiteres der österreichischen Politik für den Kriegsfall zur Verfügung zu stellen. Im Welfenreich sieht man dagegen mit eifersüchtigen und mißtrauischen Augen den Schritten zu, welche die Herren v. d. Pfordten und Beust Hrn. v. Bismarck entgegen machen. Wir sollten jedoch meinen, man habe in Hannover am wenigsten Grund, sich hierüber zu beklagen, denn Hannover ist doch wohl zuerst von der Würzburger Gruppe abgefaüen. Pesth, 8. August. Die „Ung. Nachr." schreiben: „Nachdem in Pesth keine zur Abhaltung des Landtags geeignete Localität vor handen ist, haben sich Se. k. k. apostolische Majestät — wie wir aus verläßlicher Quelle erfahren — mittelst allerhöchster Entschlie ßung vom 5. d. M. bewogen gefunden, allergnädigst zu gestatten, daß zu diesem Behufe in Pesth geeignete Localitäten adoptirt oder ganz neue, jedenfalls aber nur provisorische Localitäten hergestellt, die bezüglichen Detailpläne und Kostenüberschläge verfaßt und zur aller höchsten Genehmigung unterbreitet werden. Die nöthigen Baukosten sind zufolge allerhöchster Genehmigung bis dahin, wo deren Ersatz aus den Landesfonds im verfassungsmäßigen Wege wird er wirkt werden können — vorläufig aus dem Ofener Schloßbaufond nach Bedarf flüssig zu machen. Wie wir weiter erfahren, hat sich Se. Excellenz der königl. Tavernikus veranlaßt gefunden, diese dringende und in mehrfacher Beziehung reifliche Erwägung erheischende Angelegenheit zum Gegenstände commissioneller Verhandlungen zu machen und zur Theilnahme an der diesfälligen schon morgen (am 9. d. M.) abzuhaltenden Berathung die Herren Joseph Uermonyi, Graf Anton Szapäry, Baron Bela Orczy, Gabriel Klauzäl, Anton Csengery, Ernst Hollän, Joseph Discher, Nikolaus Ml, Baudirector Emil Liedemann, den Oberbürgermeister und den Oberingenieur der Stadt Pesth einzuladen. Hannover, 9. August. (W.-Z.) Die langjährigen Verhand lungen zwischen Hannover und Hamburg wegen Vertiefung deS Fahrwassers der Elbe, namentlich im sogenannten Köhlbrande, sollen nunmehr beendet sein. Hamburg soll endlich zugestanden haben, daß Hannover die Correctionsarbeiten auf dem hamburgischen Gebiets- theile des Köhlbrandes übernimmt und ein Fahrwasser von 17 Fuß bei gewöhnlicher Fluthhöhe herstellt. Es ist anzunehmen, daß noch in diesem Jahre die höchst nothwendigen Arbeiten in Angriff genom men werden. PariS, 9. August. In einer Correspondenz des „Journal des Debats" finden wir ein Gespräch des Herrn v. Bismarck mit König Wilhelm erzählt, das reproducirt zu werden verdient., „Am - Tage nach der Ankunft in Gastein wurde großer Rath gehalten. Der Premier-Minister sprach von Oesterreich in sehr kriegerischem Tone. Einer schlau berechneten vm inertiae gegenüber", sägte Bismarck, „giebt es kein anderes Argument als Kanonen". — „Ich will keine» Krieg mit Oesterreich", antwortete hierauf der König. „Ein solcher Krieg kann nur Katastrophen herbeiführen, welche von Anderen vielleicht gewünscht werden, um Nutzen daraus zu ziehen," — „Wie aber", replicirte der schlagfertige Bismarck, „wenn Preußen von Oesterreich ins Gesicht geschlagen wird?" — „Dann' würde ich mit dem letzten meiner Soldaten fechten, aber das wird nicht geschehen, ich will cs nicht." — Bismarck antwortete nicht weiter, aber wenige Tage darauf ereigneten sich in den Herzogtümern die bekannten Dinge. So erzählt das „Journal des DebatS", dem wir sür diese Anecdote die Verantwortlichkeit überlassen. — Die „France" behauptet, daß die scandinavische Partei in Kopenhagen den Plan einer Heirath zwischen dem Prinzen Friedrich, dem Thron erben, und der Princeß Louise, dem einzigen Kinde des König- von