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Donnerstag, den IS. April. 1880. 90 Erscheint jeden Wochentag früh 1 Uhr. Inserate wer de» bi» Nachmittag L Uhr für die nächst- «scheinende Nummer , angenommen. Preis - Viert-Wrlichlis«». Inserate werden die . gespaltene Zelle ob« deren Raum mit 5 Ps. berechnet. Amtsblatt des Königl. Bezirksgerichts zu Freiberg, sowie der Königl. Gerichtsämter und der Stadträthe zu Freiberg, Sayda und Brand. Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Philipp Melanchthon. (Schluß.) Nachdem Melanchthon in Pforzheim ziemlich zwei Jahre ver weilt hatte, war er nach den Anforderungen jener Zeit, wo man aus der Universität Manches erst zu lernen anfing, was man jetzt, dahin mitbringen muß, schon so weit herangebildet, daß er als ein Knabe von noch nicht 13 Jahren am 13. Octobcr 1509 die Uni versität Heidelberg beziehen konnte. Der jugendliche Student fand aber nicht, was er dort suchen zu müssen glaubte: denn ge rade in den Fächern des Wissens, die ihm am meisten am Herzen lagen, sah er sich auf sich selbst angewiesen. Dies spornte seinen Fleiß aber eben so an, als es seine geistige Kraft stählte. Daher zeichnete er Pch alsbald unter der großen Anzahl von Studircnden so vortheilhaft aus, daß er einmüthig für den besten Kenner der griechischen Sprache gehalten ward: ein plötzlich erkrankender Lehrer forderte ihn ohne Bedenken zur Fortsetzung des unterbrochenen Unterrichts auf; für einige Professoren verfaßte er schon damals lateinische Reden zum öffentlichen Vorträge und auf Empfehlung des Dr. Pallas ward ihm der Unterricht und die Leitung zweier jungen Grasen von Löwenstein übertragen, ihm, der selbst noch kaum die Grenzen des Knabenalters überschritten hatte. — Schon i» diesem Alter fühlte Melanchthon keine geringe Lust und Neigung zum akademischen Lehramte: im 14. Lebensjahre (11. Juni 1511) bestand er zu diesem Zwecke bereits das erforderliche Baccalaureats- rxamen und ein Jahr später fühlte er sich tüchtig genug, um die Magisterwürde beanspruchen zn dürfen. Um seiner Jugend willen ward ihm diese Würde verweigert. Tics gekränkt vertauschte jetzt Melanchthon Heidelberg mit der Universität Tübingen: dort ward ihm am 25. Januar 1514 die gewünschte akademische Würde mir Auszeichnung zu Theil. Bald ward mm auch sein Name in der Reihe der wissenschaftlichen Kämpfer genannt, die den Obscuranten gegenüber das.neue Licht, was bereits in Deutschland zu leuchten begann, immer Heller zu machen bemüht waren. Und am 25. August 1518 zog Philipp Melanchthon ank Reuchlins*) besondere Em pfehlung, an den sich der Kurfürst Friedrich der Weise gewendet hatte, in die Universitätsstadt Wittenherg ein: der verhängniß vollste Tag in Melanchthons Leben und zugleich entscheidend sür den Entwickelungsgang der Reformation. Luther war hocherfreut über die Ankunft des geistvollen, jugendlich frischen Kampfgenossen; die ganze Universität war voller Erwartung. Am vierten Tage nach seiner Ankunft in Wittenberg hielt Melanchthon seine Antritts rede. Klein und unansehnlich von Gewalt, bescheiden und schüch tern in seinem Wesen und noch nicht volle 22 Jahre zählend, machte er zwar anfangs eine gewisse Neugierde in der zahlreichen Ver sammlung rege, kündigte aber auch durch seine hohe, gewölbte Stirn und durch die großen, Hellen, blauen Augen jedem seiner Beobachter schon vorher den Geist an, der in so schwächlichem Körper eine wunderbare Kraft entwickelte. Und als er nun seine Rede begann, den Liebreiz seiner lateinischen Ausdrucksweise entfaltete, und in seiner natürlich schönen, klaren und durchdachten Weise von der ') Reuchlin starb ISrr nicht ohne Mißstimmung über Melanchthon» Thellnahme an Lem Werke der Reformilion. höchsten Aufgabe seiner Zeit, einer durchgreifenden Reform des Unterrichtswesens und deren segensreichen Folgen für alle Zweige des bürgerlichen und kirchlichen Lebens handelte, wurde ihm in der ganzen Versammlung ungetheilter Beifall und allge meine Bewunderung zu Theil. Von diesem Augenblicke an nahm er neben Luther sowohl in der Mitte seiner Collegen, als den Stu- direndcn gegenüber, die ehrenvollste Stellung ein: nicht selten hatte er einen Zuhörerkreis von nahezu 2000 Personen, unter denen sich nicht blos Deutsche, sondern auch Franzosen, Engländer, Polen, Ungarn, Dänen, ja sogar Italiener und Griechen befanden. Durch die wahrhaft staunenswerthe-Mannichfaltigkeit seiner Studien und Vorlesungen sendete er mit Luther Tausende von Zöglingen in die verschiedensten Lebcnsverhältnisse hinaus: sie bildeten theilS die Verkündiger, theils die Ordner der neuen Zustände, die durch die Reformation Luthers ins Dasein gerufen wurden. Melanchthon hegte keine besondere Liebe zur Theologie — er weigerte sich des halb standhaft Doctor der Theologie zu werden, obschon ihn Luther „den Doctor über alle Doctores" zu nennen pflegte — so hielt er doch zahlreiche Vorlesungen für Theologen, betheiligte sich leb haft an den theologisch-kirchlichen Fragen der Zeit, sein Kurfürst Johann der Beständige ernannte ihn zu einem der Visitatoren, welche 1528 und 1529 die Kirchen- und Schulangelegenheiten des Kur- staatcs zu untersuchen hatten, und Niemand endlich schien geeig neter zu sein, die Unterscheidungslehren der neuen Kirche in die wünschenswerthe Form zu bringen und ihre Vertheidigung den Feinden gegenüber zu führe», als Melanchthon; kaum ein einziges namhaftes Vereinigungsverfahren zwischen den streitenden Parteien giebt eS, bei welchem nicht Melanchthons Name genannt würde, ja selbst zum Abgesandten auf das Concil zu Trident war er säch sischer Seils ausersehen. Wahrhaft bewunderungswürdig ist die Thätigkeit und schriftstellerische Fruchtbarkeit dieses Mannes. Den einflußreichsten Antheil nahm er an Luthers Bibelübersetzung: ohne diesen Antheil wäre dieses wunderbare Werk nimmer so gelungen*). — Aber heftige Stürme, schwere Leiden der Seele waren dem trefflichen Manne beschicken, zumeist nach Luthers Tode, über dessen Dahinscheiden, trotz manchen aber nie die Herzen scheidenden Zer würfnisses, er den tiefsten Schmerz empfand. Jetzt ruhte die ganze Wucht des gewaltigen Werkes, das einstens die starkem Schultern eines Luther getragen hatten, auf dem schon von Natur schwächeren, aber durch Alter, Arbeit und Sorgen bereits gebrochenen Manne. Wie hatte der Jammer über den Gang und die Folgen des schmal- kaldischen Krieges an seinem Lebensmarke gezehrt! (1546—47) > Und welche Giftpfeile wurden gegen ihn abgedrückt von den Theo logen der neuen Universität Jena, die ihn vergebens zu gewinnen suchte, und von den Feinden des Kurfürsten Moritz, mit dessen Leipziger Interim Melanchthon ans Klugheitsgründen sich geeinigt hatte. Recht sichtbar tritt uns entgegen, was der edle Reformator durchlebt hat, wenn wir bas treffliche, von Albrecht Dürer in Kupfer gestochene Bild des 29jährigen Melanchthon mit dem Bilde *) Diese» größte und bewunderungswürdigste Werk der deutsche» Sprache, 15Si zuerst vollständig in Wittenberg erschienen, ist zugleich ein Werk de» beharrlichsten und gewissenhaftesten Fleißes: nicht blvS Lage, sondern Wochen lang verleihen sich Luther, Melanchthon und Bugenhagen über S bi» 4 Zeilen, bevor sie zur definitiven Entscheidung schritten.