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156 des Mittelalters und der heutige Pietismus einen erlogenen Gegensatz zwischen Himmel und Erde, zwischen Göttlichem und Weltlichem statuieren (was in praxi einen derben Materialismus nicht ausschließt) und nun von dem diesseitigen Jammerthal und dem jenseitigen Freudensaal faselt: ganz so faselt der Humanismus von Jdealien und Realien und will die Jugend nur mit jenen beschäftigen, damit sie später, wenn sie mit dem Leben sich einlassen muß, nicht in dem Schmutz des Realen ver sinke. Der Humanismus ahnt nicht, welch ein ungünstiges Urteil er hier über seinen Unterricht, sich selbst und seine Schüler ausspricht. Also dahin bringen könnt ihr's nicht, daß eure Schüler, wenn sie nun ins Leben treten, wahrhaft gebildete Menschen sind, die in der Statur, der Geschichte, dem Staat, der bürgerlichen Gesellschaft u. s. w. einmal den göttlichen Begriff erkennen und diese Dinge fähig und geneigt sind, nach ihrem Begriffe zu behandeln. Ihr fürchtet also, daß eure Schüler, wenn sie sich erst mit diesen Dingen einlassen, sie nicht nach dieser ihrer Natur, sondern als Mittel zu den subjektiven Zwecken der em pirischen Persönlichkeit behandeln, daß sie sich nicht in dem sokratischen, sondern in dem Sinne der Sophisten zum Maß aller Dinge machen werden, d. h. ihr fürchtet, daß eure Schüler, wenn sie euch verlassen, nicht wahrhaft human, sondern nur zu klugen Tieren gebildet sein mögen. Dem wollt ihr nun entgegen arbeiten, indem ihr sie mit sog. Jdealien beschäftigt, was bewirken soll, daß sie im späteren Leben an diesen Jdealien, ihrem Schulsack, eine Nahrung haben sollen, die bis zum Grabe ausreicht, damit sie die Realität hübsch nur mit den Fingerspitzen oder mit Handschuhen anfassen und sich ja nicht mit ihr besudeln mögen. Welchen Erfolg ihr dabei habt, wissen wir. Wir anderen denken anders. Uns ist alles Idee, was lebt, und alles als Idee zu begreifen, dazu leiten wir unsere Schüler an. Dazu ist nötig, daß wir mit der Kennt nis der Dinge selbst anfangen; denn wenn wir „Idee" sagen, so meinen wir nicht bloße abstrakte Vorstellungen, die jemand im Kopfe hat, nnd die vielleicht nnr in diesem Kopfe existieren. Solche „Ideen" teilen Grammatik versteht, hat sich vollkommen sprachrichtig auSgedriickt, Herrn Thiersch' Ansstellung dagegen verrät noch eine zweite Ignoranz. Herr Thiersch kannte oben den Ursprung der deutschen Wörter nicht; hier will ich ihm zeigen, daß er ebenso wenig ihre Bedeutung kennt, also nicht einmal so viel weiß, als ich von einem vierzehnjährigen Schüler zu verlangen gewöhnt bin. Herr Thiersch behauptet, auf welcher könne nur dieser oder derjenige bezogen werden. Die Wahrheit ist, daß wir so lcher sagen, wenn wir das Qualitative, Artliche, hingegen dieser, welcher (auch jener, welcher, wenn wir das Individuelle bezeichnen wollen. In dem französischen czual gu'il soll und gui gu'il soll oder <zui gus os soll liegt derselbe Unterschied. (Mager, Franz. Elementarwerk I. S. 246.) Da ich selber zu den „modernen Sprachkiinstlern" gehöre, auf welche Herr Thiersch so gern schilt, so wird mir der gelehrte Mann erlauben, daß ich ihm einen xlst äo ma ta^on zu servieren so frei bin.