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Erscheint jeden Wochentag srllh - Uhr. Inserate wer- dw bis Nachmittag« ; Uhr für die nächst- «scheinende Nummer angenommen. Freiberger Anzeiger und gespaltme Zelle oder Tageblatt. deren Raum mit 5 A» berechnet/ ' - ' : > Sonnabend, den 17. Oktober. 1857. ... Dem „Bremer Handelsblatt" entnehmen wir folgenden Aufsatz: Der Ruf nach Gewerbefreiheit von Seiten des Gew erbe standes selbst. Die Wissenschaft ist schon längst darüber einig, daß das Zunftwesen nur wie ein Krebsschaden an der wirthschaftlichen, Entwicklung eines Volkes nagen kann, und die Erfahrung aller wirklich bedeutenden Jndustrievölker hat diese wissenschaftliche Wahrheit siegreich bestätigt; denn die englische, sranzösische, belgische, schweizerische Industrie ist erst seit der Befreiung der Gewerbe und durch dieselbe groß geworden, während der ge bundene Handwerkerbetrieb in Deutschland von Jahr zu Jahr immer mehr verkommt und nur das freie Fabrikwesen gedeiht. Wenn daher ein englischer oder französischer Schriftsteller jetzt s ein Werk über Wirtschaftspolitik schreibt, so behandelt er den ! Abschnitt über Gewerbcgesetzgebung gewöhnlich mit ungemein diel Kürze, denn die zünftigen Beschränkungen Ler menschlichen Arbeit sind in England, Frankreich u. s. Iv. eine historisch so i abgethane und so weit zurückliegende Thatsache, daß der Vcr- ! fasser blos in einer kurzen Anmerkung als ein bedenkliches Zei- . chen zurückgebliebener volkswirtschaftlicher Einsicht das abnorme Fortbestehen Ler mittelalterlichen Gewerbseinrichlungen in den deutschen Staaten anzuführen braucht. Dieser sonderbare Wi derspruch, in welchem sich die wirtschaftliche Praris Deutsch lands mit allen Lehren der Wissenschaft und Erfahrung befindet, ist ein um so größeres nationales Unglück, weil die ganze Ent wicklung des Jahrhunderts auf eine immer engere Annäherung Ler civilisirten Völker im Handel und Wandel, auf eine mög lichste Beseitigung oder doch Verminderung der Zollschranken hinausgeht und »veil unter solchen Verhältnissen eine Nation mit gebundener Arbeit iinmer unfähiger wird, in diesem großen Organismus wirtschaftender Culturvölkcr die freie Concurrenz zu bestehen und die arbeitenden Classen vor Verarmung zu be wahren. Angesichts dieses nationale»» Unglücks und der sich täglich verschlechternden Lage des Handwerkerstandes sind nun alle die jenigen dcntschen Volkswirte, welche für das Leben und nicht blos für Bibliotheken oder Bücherschränke arbeiten wollen, ge zwungen und verpflichtet, das schon hundertmal Gesagte noch i ebenso oft geduldig zu wiederholen, um die verrottetsten Ansich ten zu widerlegen und es endlich znm Bewußtsein zu bringen, ! daß kein gedeihlicher Aufbau einer d rutsch cn V olks- 1 wirthschaft denkbar, geschweige denn durchführ- ! bar ist, wen»» wir noch nicht einmal die allererste Grundlage des Volkswohlstandes, die Freiheit der Arbeit, auch Lern ärmsten Manne iin Volke er kämpft haben. Man muß es mit Betrübniß anerkennen, daß, so lange uns die Gcwerbefreiheit mangelt, jede Erleichte rung des Weltverkehrs und jeder Fortschritt zur Handelsfreiheit immer tiefer in Las Fleisch des deutschen Handwerkerstandes einschneidet, iinmer mehr Handwerker Ler Verarmung preis- . giebt; denn wie sollen unsere Gewerbe die Concurrenz von^ Außen ertragen, wenn ihnen in» Innern noch die Mittel! und Vorbedingungen fehlen, der Concurrenz zu begegnen? Der deutsche Handwerkerstand wird mit gebundenen Händen in den großen wirthschaftlichen Wettkampf der Völker hineingcfiihrt! Er muß darin entweder unterliegen oder sich erst selbst befreien. Wir haben Grund zu der Annahme, daß der deutscht'^Tt- werbestand auf das letztere, nämlich auf seine Selbstbesreiung hinacbeitet, und wir registriren aus diesem Grunde auch mit einer gewissen Genugthuung alle die Stimmen, welche sich unter den Handwerkern selbst für Gewerbefreiheit auSsprechen. Solche Stimmen erklingen jetzt namentlich aus dem Königreich Sachsen, wo der von uns mehrfach besprochene Entwurf eines Gewerbe gesetzes den Gewerbetreibenden bei näherer Prüfung die Augen geöffnet hat. Das uns soeben zugegangene, von einem Ge- werbtreibenden verfaßte Gutachten des Gewerbevereins zu Roß wein, einer kleinen Fabrikstadt Sachsens von etwa 6000 Ein wohnern, enthält eine so gesunde Beurtheilung des sächsischen Entwurfes, daß wir uns nicht versagen können, mit Umgehung der Einwendungen gegen specielle Bestimmungen, die principielle Auffassung der Gewerbefrage von Seiten der Roßweiner Ge werbetreibenden nachstehend mittheilen. Sie sage»» u. A. Fol gendes: „Der Verein hatte in mehreren Sitzungen sich sowohl von den Grundprincipien, als den einzelnen Bestimmungen deS Ent wurfs in Kenntniß gesetzt, gelangte jedoch schließlich zu der Ueberzeugung, daß außer dem Fabrik- und Haudelsstand wohl schwerlich Jemand damit zufrieden gestellt werden wird, denn diese beiden Classen sind in dem Entwürfe absolut bevorzugt und zwar zum Nachtheil deS kleinen Gewerbetrei benden. Dabei drängt sich dem letzteren die Ueberzeugung auf, daß der erste Grundsatz eines Gesetzes, die gleiche Berechtigung aller Staatsangehörigen, hier nicht Lurchgeführt »vorden ist. Zuvörderst war es das Concessi'onswesen, welches dem Ver ein sehr bedenklich erschien, denn es beschränkt das Recht jedes Einzelnen, sich zu ernähren, wie er kann, deshalb, weil er hier erst die Gcnehnn'gung der Behörde nothwendtg hat, welcher man doch, außer wo die Wohlfahrtspolizei es erheischt, ein Verbie- tungsrecht nicht zugestehen kann. Es verursacht eine Menge Kosten und macht dadurch das ungleiche Steuerverhältniß zwi schen Lem Landmann und dem Städter noch ungleicher. ES macht den Gewerbtreibcnden zum Sclaven der Behörde, weil, wo das Recht der Genehmigung in Anspruch genommen wird, auch das der Verweigerung vorhanden sein muß; demnach wird der, welcher der Behörde oder cinzelnen Mitglieder»» derselben mißliebig ist, zu Erreichung seines Zweckes mit viel größeren Schwierigkeiten zu kämpfen haben, als jener, wo der umgekehrte Fall cintritt. Hierzu kommen die vielen freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Verhältnisse, welche, ohne daß dabei der Behörde ein Vorwurf der Ungerechtigkeit gemacht werden kann^ dabei obwalten können. Die Vorgänge in andern Staaten ha ben bewiesen, wie solche Bestimmungen aus finanziellen und politischen Gründen mitunter ausgebeutet werden können. Wie aber verhält sich dieses Fabrik-Concessionswesen zu dem kleinen Gewerbsbetrieb? — Dem mit dem ConcessionLscheine in der Tasche ist der Nachweis der Befähigung zum selbstständigen Betrieb erlassen, er kann in seiner Fabrik machen, was er will, er kam» die Arbeiter anstelle», wie er will, ihm ist kein beson- deres Arbeitsgebiet angewiesen, ihm hat man keine Handels schranken gezogen. Der Handwerker hat hingegen zuvörderst seine Lehrzeit und die Befähigung zum selbstständigen Betrieb unbedingt nachzuwcisen, nur von der Lehre sieht das Gesetz beim Uebertritt zu einem andern Getverbe derselben Gruppe ab. Sei»» Arbeitsgebiet, sowie die Grenzen seines Handelns und was er erzeuge»» darf, ja sogar die Wahl seiner Arbeiter