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Erscheint jeden Wochentag früh »Uhr. Inserate wer de» bi« Nachmittag» 1 Uhr siir die nächst- erscheinende Nummer angenommen. Freiberger Anzeigern- und gespaltene Zeile oder deren Raum mit Sk Tageblatt. 105. Sonnabend, den N. ÄNai. 1857. Das chinesische Reich. U-ber das chinesische Reich enthält die „Presse" folgende sehr interessante Angaben des bekannten Or. Uvan, die wir unsern Lesern in Folgendem mitthcilen: „Seit mehr als fünf Jahren leidet China an einem geheimnißvollen Uebel, welches sich zu gewissen Zeiten der Nationen bemächtigt und ihren Fall anzeigt. Eine einfache Rebellion, welche in den Bergen von Knang'si ihren Anfang nahm, ein anscheinend nichtssagender Vorfall hat schon mehr Blut fließen lassen, als eine Invasion von außen vergossen haben würde. In Nanking allein sind mehr als 60,000 Personen unter den Streichen der Südrebellen gefallen; und als ob diese schreckliche Metzelei die Wuth zu Ickten, von der diese Jnsurgentenhorden besessen sind, nicht hätte besänftigen können, haben sich diese furchtbaren Exterminatvren gegenseitig niassacrirt. Die Agenten der kaiserlichen Regierung haben das ausrottende Schwert mit nicht weniger Wuth gehand habt; ohne Uebertreibung kann man sagen, daß mehr als 40,000 Rebellen der kaiserlichen Allmächtigkeit zu Kanton ge opfert wurden. Man wüßte wahrlich nicht, welcher Ursache man diesen Blutdurst bei einem so friedlichen Volke zuschreiben sollte, wenn die Erfahrung nicht lehrte, daß Nationen im Ver fall und grober Sinnlichkeit hingegeben, oft von solchem Deli rium hcimgcsucht werden. Die Empörungen von Kuaug-si sink für China Das, was für die verfallende Civilisation der Allen die Invasion der Barbaren war. Bemerkenswerth ist, daß, wahrend der Mandarin, die reichen Kaufleute bei Annäherung dieser mordlustigen Horden sich in das Innere ihrer Äynecäen flüchten, um die letzten Tage ihres Lebens in Wollust hinzu bringen, die Sieger weit entfernt sind, das Gleiche zu thun, unk äußerst strenge Sitten in Ausführung bringen. Nanking war einst die gelehrte Stadt und die Stadt der Wollüste; nir gends fand man so viele Gaukler, Tänzer und Komödianten aller Art. Die an den Ufern der Kanäle gelegenen Paläste waren voll der schönsten und gebildetsten Courtisanen Chinas. Die Ghnäcecn der hohen Herren enthielten eine ungeheure Menge der schönen Mädchen von Sut-Schu-Fu und der schlanken Töchter der Tartarei. Und doch, als die Insurgenten sich der Hauptstadt des Südens bemächtigten, blieben sie kalt gegen al len diesen Luxus, gegen alle diese Schönheiten; unerbittlich tökteten sie Tänzer und Courtisanen und führten sofort einen durch Sittenreinheit bemerkenswerthen Kommunismus ein. Diese wilden Bergbewohner von fluang-si brachten die Keuschheit zur Ehre und verbannten alle den Chinesen eigenthümlichen rasfi- mrten Sinnengelüste; die Frauen wurden von den Männern förmlich getrennt und nur selten bekamen Führer und Soldaten Zutritt in das allgemeine Gynäceum; der Gebrauch deS Opiums wurde bei Todesstrafe untersagt, Tabak nur selten erlaubt und die kostbaren Gerichte und gegohreneu Liqueure so ziemlich vom Tisch der Empörer verbannt. Es ist in China ein seltenes Phänomen, Empörer mit Enthaltsamkeit und Keuschheit auf- tretm zu sehen. Aber die Notheu des Reichs der Mitte, wie sie ein Jesuit, Pater Brouillon, nennt, sind in diesem sonder baren Lande die Repräsentanten der allerdings sehr veränderten christlichen Idee, und sie haben sicherlich mehr Verwandtschaft mit den drei christlichen Nationen, die sich in ihre Angelegen heiten mischen werden, als die Abgesandten der kaiserlichen Macht, die unterwürfigen, heuchlerischen, lügenhaften Manda rinen. Um die Verschlechterung oder, besser gesagt, Verdorben ¬ heit der chinesischen Sitten zu erläutern, muß man den sittlichen Gedanken kennen, welcher der Errichtung dieses Reichs gewisser maßen zu Grunde lag. Es scheint, daß in China das ganze Gesetz in dem einfachen Gebot enthalten ist: Du sollst Vater und Mutter ehren. In den Augen der Gelehrten und Gesetz geber besteht die Vollkommenheit gänzlich in der Ausübung der kindlichen Tugenden, und durch Uebertreibung desselben erwirkt man die Heiligkeit. Die Pflichten der Kinder gegen ihre Ael- tern beschränken sich nicht auf Beweise der Achtung, der Liebe und Ergebenheit während des Lebens; auch nach dem Tode müssen sie ihnen eine Art Cuttus weihen, indem sie auf ihren Gräbern zu gewissen Zeiten deS Jahres religiöse Ceremonicn feiern. Die Chinesen sind nicht besonders sentimental, aber sie sorgen ämsig dafür, diese Todtenfeier regelmäßig einzuhalten. Als Skeptiker rechnen sie wenig auf die Dankbarkeit ihrer Ver wandten und glauben sich gegen das Vergeffenwerden nur dann , gesichert, wenn ihnen ein Sohn geboren ist; denn dieser würde sich entehren, wenn er den Manen seiner Aeltern nicht den vor- geschriebenen Cultus erwiese. Die Chinesen wünschen nichts sehnlicher als ein Kind männlichen Geschlechts. Um diesem leb« j haften Wunsche zu genügen, erlaubten die Gesetzgeber und Ge lehrten des „Reichs der Blumen" ein legales Concubinat zu - Gunsten der Männer, die von ihren legitimen Frauen keine Knaben erhielten. Um jedoch deutlich zu beweisen, daß dies nur eine Toleranz ist, welche an der Constitution der Familie nichts zu Ludern vermag, ist der Sohn der Concubine für den Vater ein legitimes Kind, auf welches die Letztere durchaus kein Recht hat, während es der Gattin förmlich unterworfen ist, sie seine Mutter und von ihr erzogen wird. Aber die To leranz artete in Mißbrauch aus. Die Concubine, welche unter dem ehelichen Dache nur dann Platz finden sollte, wenn die f Gattin unfruchtbar war, wurde als Favoritin ausgenommen. Noch mehr, der Hausherr fügte dieser zweiten Frau, mehr sei ner Laune als dem Gesetz folgend, noch mehre Gefährtinnen bei. Heute gicbt cs keinen Manbarin, keinen Kaufmann, Guts besitzer oder wohlhabenden Handwerker mehr, der nicht sein Gy- näceum hätte. Unter diesen Frauen aber griff die abscheulichste Sittenverdcrbniß um sich; ihre Sprache, ihre Gesänge, ihre Geberden haben für die sinnlichen Männer unwiderstehliche Reize. Das chinesische Gynäcenm ist in der That nichts mehr als ein Privatbordell, wo die raffinirtesten Ausschweifungen, Kindermord zu Hause sind. Es giebt Ausnahmen, aber man findet sie nur in den Häusern, welche zu den Männern deS Westen in Beziehung stehen. Die vornehmem Classen sind -be sonders von dieser exotischen Monomanie ergriffen, welche im Reich der Mitte sozusagen eingebürgert ist. Gegen diese fort währenden Ausschweifungen protestirten nun die Insurgenten von Kuang-si, halbwilde.Räuber; sie haben — wir können unS ohne Uebertreibung so auSdrücken — eine antiweibliche Revolu tion unternommen. Als ob man ihnen die Ursachen der Wehen des Landes geoffenbart hätte, fiel ihr Arm auf die Weiber, die entarteten Urheber der mißbrauchten Wollust. Sie stürzten sie von dem Range, welchen sie bekleideten, und machten die Frauen zu niedrigen Sklavinnen; kurz, sie haben die Frauen den Ein fluß theuer büßen lassen, welchen sie als Courtisanen und Con« cubinen erworben hatten. Man sieht, daß die chinesischen Re aktionäre nicht mit Mäßigung bevorzugt sind. Aber nicht nur wegen dieser Unordnungen steht der Fall des Reichs der Mitte bevor, sondern besonders deshalb, weil der sittliche Gedanke^