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Ers cheint jeden Wochentag früh 9 Uhr. Inserate wer de« bis Nachmittags Z Uhr für die nächst erscheinende Nummer angenommen. Freiberger Anzeiger und gespaltene Zelle oder deren Raum mit S berechnet. Tageblatt. 22. Mittwoch, den 28. Januar. 1857. Auch ein Segen des neuen Gerichtsver fahrens. Wir haben schon wiederholt die Vortheile des neuen Ge richtsverfahrens hervorgehoben und theilen unsern Lesern heute .nachfolgenden Bericht über eine in Leipzig stattgefundene Ver handlung mit, welcher beweist, daß bei unsren Polizeibehörden doch noch Fälle vorkommen, deren Enthüllung durch die Oef- fentlichkeit bei Gerichtsverhandlungen als ein großer Segen des neuen Verfahrens betrachtet werden muh: Leipzig, 24. Jan. In der gestrigen Sitzung des hiesigen Bezirksgerichts kam der ursprünglich schon für den 16. Jan. bestimmte, damals ab^r mehrer Hindernisse wegen ausgesetzte Fall des Kellners P. Phi lipp zur Verhandlung. Derselbe, früher bei zwei Gastwirthen in Merseburg, seit dem 13. Oct. 1855 hier bei dem Restaura teur Haupt in Auerbach's Keller in Diensten,Chatte am 13. Nov. 1856, als er zu einem Ausflüge nach Merseburg Urlaub ge nommen, auf Lem Magdeburger Bahnhofe thcils durch seine Legitimationslosigkeit, theilö durch den Umfang seiner Reisetasche den Argwohn des dort stationirtcn Polizcidicners Schmidt er regt, auf dem Polizeiamt aber, wohin Jener ihn^gebracht, sich dadurch verdächtig gemacht, daß er nur von 40—50 Thlrn. ge sprochen hatte, während man über 149 Thlr. bei ihm gefunden hatte, obwohl der Umfang der Tasche nicht bierdurch, sondern durch eine Ziehharmonika entstanden war. Den Besitz dieser und anderer in seinem Koffer gefundenen und in ein Sparkas senbuch geschriebenen Summen, zusammen fast 238 Thlr., die bei einem nur geringen baaren Gehalt allerdings auffallen mußte, suchte der Angeklagte aus Trinkgeldern, die er besonders zur Meßzeit reichlich, in jeder der beiden Hauptmcffen bis zu 60 Thlrn., erhalten haben wollte; die Weigerung, die Tasche zu öffnen, und die Angabe einer geringern Summe aus dem Widerwillen gegen Aufschlüsse dieser Art; sein auf dem Polizei amt im dritten Verhör abgelegtes Geständniß einer Unterschla gung aber daraus zu erklären, daß er durch einen nicht mehr nachweisbaren Polizeidicncr vor einen Bock geführt und in Ge genwart des Schließers bedroht worden sei, darüber gelegt zu werden und 25 Hiebe zu erhallen, wenn er nicht gestehe, was ihn eingcschüchtert habe. Die Aussagen seines letzten Herrn so wohl, der ihm großes Vertrauen geschenkt hatte, als auch die vorgelcsenen Zeugnisse seiner Tante in Merseburg, seiner beiden srühern Herren ebendaselbst und sogar einer Anzahl Stamm gäste deS einen derselben lauteten übrigens durchaus zu Gunsten des Angeklagten, der thcils als sparsam, theils als freundlich und flink geschildert wurde. Die Aussagen des Handlungslehr- lingS Jörke, Neffen und zu Zeiten Gehülfen Haupt's, und der srühern Kellner Oettich und Schirmer, sowie des jetzigen Kell ners Küster und des Laufburschen Jentzsch ließen des Angeklag ten Angabe» über seinen hohen Erwerb zwar nicht sehr wahr scheinlich, aber doch möglich erscheinen; namentlich stimmten Alle darüber übcrein, daß er mehr als sie verdient haben müsse. Von den übrigen Zeugen sprachen sich Polizeidiener Schmidt über die Umstände der Verhaftung, Schließer Rümpler über den Schreck und die Unruhe des Angeklagten im Gefängnisse, weniger über die „Scene am Bock", von der er sich möglichst loszumachen suchte, Herr Bezirksgerichtsactuar Tatibe endlich als Untersuchungsrichter über einige Umstände beim Verhör aus, die mehr die Aengstlichkeit, als ein wahres Schuldbekennt- niß des Angeklagten zu beweisen schienen. Herr Staatsanwalt Kritz, der Nachmittags zuerst das Wort ergriff, verbreitete sich zuvörderst über den Widerruf abgelegter Geständnisse im Allge meinen und begründete die Festhaltung seiner Anklage, da die Drohung im Polizeigebäude ihm unglaubhaft erschien, durch das in einer bedeutenden Summe vorhandene Object der Unter schlagung, die längere Behauptung des Angeklagten, nur eine geringere Summe zu besitzen, und sein tadelnswertheS Beneh men vor Gericht, während ihm die zu seinen Gunsten eingegan genen Zeugnisse bedeutungslos erschienen und ihn nicht abhiel ten , eine zweijährige Arbeitshausstrafe zu beantragen. Desto mehr hob der Vertheidkger, Herr Advokat Kühn, die untadel hafte Persönlichkeit seines Clienten hervor, hielt eine größere Unterschlagung bei der genauen Controle während der Messe und dem geringen Geschäft außer derselben für kaum möglich, den rechtlichen Erwerb der Summe dagegen durch gute Trink gelder, wovon sogar Beispiele beigebracht wurden, für leicht denkbar, und wies für den Fall, daß ja ein Eigenthumsverge hen vorläge, auf den Mangel eines sich verletzt fühlenden Ei genthümers hin. Uebrigens erschien ihm die Scene im Gefäng» nißhause nicht ganz bedeutungslos, während er in dem etwa zu erkennenden Vergehen wegen des möglichen vollen Ersatzes nicht Unterschlagung, sondern höchstens widerrechtliche Benutzung, die betreffende Summe endlich unbestimmbar fand. Nach einer zwischen Staatsanwalt und Vertheidiger noch eine Zeit lang fortgesetzten Debatte zog sich das Gericht zurück, brachte jedoch bei seiner Wiederkehr kein Erkenntniß mit, sondern ließ, seiner Sache noch immer ungewiß, die Verhandlungen von Neuem beginnen. Der hierbei herzugerufene Polizeiactuar Pausch schilderte den mehrmals von ihm verhörten Philipp alS sehr angegriffen und glaubte sich zu erinnern, daß ein jedoch auch von ihm nicht mehr zu bezeichnender Polizeidiener ihm einmal gesagt habe, daß Philipp nun „wohl gestehen" werde, was auch darauf erfolgt sei. Von diesem Zeugen, wie von dem wieder herzugerufenen Schmidt erfuhren wir namentlich, dass Philipp seinen Herrn zu sprechen dringend verlangt und seine Vergebung bestimmt gehofft habe. Noch bezeichnete Hr. Staats anwalt Kritz den Angeklagten als lügenhaft, während der Ver theidiger andeutete, daß sein Client sich unschuldig gefühlt und das Geständniß, von dem er in der Angst gehofft, bald für un nütz erkannt habe; Beide aber vereinigten sich in ihrem Tadel polizeilicher Gewaltmaßregeln, ja Hr. Staatsanwalt Kritz die» tirte in das Protokoll den Wunsch, daß gegen gefangene Ange schuldigte eine rücksichtvolle Behandlung stattfinden möge, damit man sich nicht „in die peinliche Lage versetzt sehe, Erörterungen nach der andern Seite anzustellen", eine Andeutung, die er durch den Polizeidiener Schmidt unter seine Amtsgenoffen verbreitet zu sehen wünschte. Nach einer abermaligen Berathung sprach das Gericht gegen 8'/^ Uhr Abends den Angeklagten auS Man gel an gehörigen Beweisgründen von Strafe und Kosten frei, ein Erkenntniß, welches von dem auSharrenden Publicum mit lautem Jubel ausgenommen wurde. (D. A. Z.) Tagesgeschichte. Aus Königsberg schreibt man der Kölnischen Zeitung vom 31 Jan.: „Vorgestern Abend ereignete sich auf der Eisen bahn unfern unserer Stadt ein tragikomischer Fall. Ein total berauschter Landmann, welcher mit seinem zweispännigen Fuhr-