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Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Erscheint jeden Wcchentag früh 9 Uhr. Preis vierteljährlich 15 Ngr. — Inserate werden an den Wochentagen nur bis Nachmittag- 3 Uhr ' ' für die nachsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. 240. Sebastopol. Wenn man die Briefe aus dem Lager vor Sebastopol vergleicht, welche kurz vor den Ereignissen des 8. Sept., d. i. am 4. und 5. Sept., geschrieben wurden, so kann man in der That die Manöver der Russen oder vielmehr ihre völlige Un- thätigkeit an dem Tage des Sturms nicht leicht begreifen, und es müssen eigenthümliche Verhältnisse gewesen sein, welche die Generale des Corps bestimmt haben, von den Jnkermanhöhen dem Sturme auf den Platz ruhig zuzuschauen. In einem Briefe aus dem Lager der 4. englischen Division vom 4. Sept, wird in ganz bestimmten Ausdrücken von einem „nahe bevor stehenden Hauptangriff" der Russen auf dir Linie der Verbün deten gesprochen, und die Stärke des Angreifers, d. h. Ler rus sischen Armee außerhalb Sebastopols, jedoch in der unmittelba ren Nähe desselben, auf 90,000 Mann angegeben. Es wird ferner ganz bestimmt versichert, daß diese beträchtliche Masse deS Feindes die Absicht hegte, die Alliirten auf vier Punkten zu gleich, nämlich von Inkerman, Baidar, Mackenziefarm und Sebastopol aus, anzugreifen, von welch' letzterem die Garnison einen Hauptausfall gegen das linke Centrum und die Rechte der Belagerer unternehmen sollte. . Durch geheime Informatio nen aus dem russischen Lager wußte man auch, daß diesen com- binirten Hauptangriff die Generale Gortschakow, Ltprandi, Pa- niutine und Osten-Sacken leiten sollten, welche ihre Streitkräfte auf dem vor dem Belbekflusse gelegenen Plateau zwischen Ka- mischly und Zalankoi znsammenzogen, während andere russische Colonnen auf der nahe gelegenen Straße nach Baktschisarai echelonirt standen. Unweit Kamischlp führt eine Nebenstraße über Hügel und Felsgründe, nachdem sie den Belbek überschrit ten, nach Mackenziefarm, Lurchschneidet, in das Thal herabstei gend, bei den Thongruben die Woronzowstraße, sowie weiter unten die durch das Treffen vom 16. August bekannte Traktir- brücke an der Tscherna-Rjetschka, von wo sie, über die weite Ebene ziehend, etwa eine Viertelstunde von Kadikoi in die Hauptstraße zwischen Sebastopol und Balaklava einmündet, und somit auch nach letzterem Punkte führt. Die Details, welche man im englischen Lager über die Absichten des Feindes erhalten hatte, gingen so weit, daß man selbst die hauptsächlich sten Punkte wußte, gegen welche die Russen ihre Anstrengungen richten wollten. Es waren dies vorzüglich Tschorgun und die Traktirbrücke, wo der Feind den Uebergang über die Tscherna- 1855. Rjetschka zu forciren gedachte, um dann von zwei Seiten, d. i. über Karlowka und Kamara, sowie über Kadikoi mittels des Uebergangs bei der Traktirbrücke, gegen Balaklava vorzurücken, um dessen Besitz es sich bei allen strategischen Combinationen der Russen handelt, da eben Balaklava das Hauptsubject und zugleich den einzigen Stützpunkt der Verbündeten bildet. In Folge jener bestimmten Nachrichten über das Angriffsprojeet des Feindes war die Linie der Verbündeten in den Tagen deS 3., 4., 5. und 6. Sept, in strengster Gefechtbereitschaft. Wäh rend der Nacht war Alles unter den Waffen, die Patrouillen längs der Tscherna-Rjetschka kreuzten sich ohne Unterbrechung, die Vorposten wurden beLeutend verstärkt, und nur während des Tags erlaubte man den Truppen, wechselsweise etwas auS- zuruhen. Am 3. Sept., Abends um 90« Uhr, hörte man plötz lich ein heftiges Musketenfeuer in der Gegend des Malakow- werks, und es blieb kein Zweifel übrig, daß der Feind wieder einen Angriff auf die französischen Approchen vor jenem wich tigen Punkte der Umfassungslinie Sebastopols beabsichtigte. Ein französischer Officier, der bei diesem Nachtgefecht persönlich engagirt gewesen, beschreibt es folgendermaßen: „Dir Nacht war ziemlich dunkel und man konnte vor sich nichts erblicken, als die ununterbrochene Feuerlinie der Tirailleurschwärme, welche das Gefecht mit großer Heftigkeit unterhielten und dem Feinde keinen Fußbreit Terrain überließen. Das Kleingewehrfeuer mochte etwa eine Viertelstunde gedauert haben, und der Feind begann nun auch Bomben zu werfen, welche wie feurige Me» teore über unsere Köpfe durch den schwarzen Nachthimmel fuh ren, um weit hinter uns krachend einzuschlagen. Kaum waren die ersten Bombenwürfe geschehen, so eröffneten auch die ganz in unserer Nähe gelegenen englischen Batterien Chapman und Gordon ihr Geschützfeuer, worauf auch sofort die Russen von dem Malakow, dem Redan, den Garten- und Kasernenbatte rien mit großer Vehemenz antworteten. In wenigen Minuten wurde daS Feuer so furchtbar, daß man die Musketenschüffe nicht mehr hören konnte, und den Himmel durchkreuzten in allen Richtungen die feuersprühenden Projektile mit ihrem eigen- thümlichen infernalischen Gezische. Der Feind drang besonders gegen die. vorgeschobene Sappe der Engländer auf dem rechten Flügel der Angriffslinie vor, wo aber die Russen von einer Abtheilung deS 77. brittischen Regiment« empfangen und mit beträchtlichem Verlust zurückgeschlagen wurden. Leider blieb bei dieser heißen Affaire der Hauptmann Pechell, ein sehr bravev Sonnabend, de« 13. Oetober