Volltext Seite (XML)
1148 -Umstand, der natürlich die Partie in rin ungleiches Verhältniß versetze. Der Viceadmiral Hamelin sprach mit mehr Leiden schaft. Nach ihm war die Expedition und die Ausführung der selben unter derlei Bedingungen einem Abenteuer ähnlich, und die Truppenzahl der Verbündeten schien ihm nicht ausreichend zu sein. Die Flotten, meinte Hamelin weiter, könnten wohl die Ausschiffung der Armee proteziren, aber er sei über die Dauer der Beihülfe derselben, wegen der Winde der Tag- und Nachtgleiche, welche bald wiederkehren würden, nicht gewiß, und die Flotte wäre dann gezwungen, vor den heftigen Stür men im Schwarzen Meere einen Ankerplatz zu suchen. In die sem Falle bliebe die Armee sich selbst überlassen, was sehr fa tale Folgen nach sich ziehen könnte. Ferner hob Hamelin auch die klimatischen und Übeln Terrainverhältnisse der Krim her vor und wiederholte schließlich, daß er der Expedition unter den gegebenen Bedingungen nicht beistimmen könne. Nach Hamelin nahm Prinz Napoleon das Wort. Er sprach zugleich die Mei nung des Herzogs von Cambridge und des Generals Bosquet aus, mit welchen er sich am Vorabend verständigt hatte. Der Prinz wies die Expedition in ihrem Princip, sowie in ihrer Ausführung mit Entschiedenheit zurück. Da sich Marschall St.-Arnaud auf die Autorität und Befehle des Kaisers berufen hatte, so bemerkte der Prinz, daß dieselben ohne Zweifel von Wichtigkeit seien, aber er gebe zu bedenken, daß der Kaiser in Biarritz weile, von wo es unmöglich sei, die praktischen Schwie rigkeiten der Unternehmung und ihrer Ausführung zu erblicken. Er, der Kaiser, hätte als Erbe des Namens Napoleon zwar Recht, die glorreichen militärischen Traditionen fortzusetzen, Frankreich seinen Rang unter den Völkern wieder einzuräumen und seine unglückliche Vergangenheit zu rächen, aber er müßte nicht dort anfangen, wo Napoleon I. geendigt Habel Niemand dachte, wie Marschall St.-Arnaud selbst zugiebt, an eine Inva sion im Innern Rußlands. Man weiß nichts über das Klima, über die Hülfsmittel des Sandes, über die feindlichen Streit kräfte innerhalb und außerhalb Scbastopols, über den Werth der Befestigungen, welche zu Lande ebenso stark sein können, als zur See. Die Admirale scheinen eine Zögerung zu empfinden, sich 600 Stück Feuerschlünden zu nähern, welche den Golf und den Hafen vertheidizen. Man müßte daher bei einem Angriff auf die zweifelhafte Beihülfe der Marine nicht zu viel rechnen, deren Aufgabe früher der Angriff von Schiffen, als von Gra nitmauer» sei. (Die Admirale Hamelin, Dundas, Lyons und Charner machten bei Lieser Schlußstelle ein bejahendes Zeichen.)" Wir übergehen jetzt die Vorbereitungen zur Expedition, die Abfahrt von Varna, die Landung und den „sterilen" Sieg an der Alma, was Alles mehr oder minder aus den Journalen be- kqvnt ist, und nehmen Lie Aufzeichnungen der Broschüre unter dem 26. Sept, vor Sebastopol wieder auf. „Der Marschall war an diesem Tage sehr schlecht und der Auflösung nahe. Er ließ die Divistons- und Brigadegenerale zu sich rufen und ver suchte ihnen seine letzte Schlachtrede zu halten, die er jedoch sei ner Schwäche wegen nicht beenden konnte. Er machte eine letzte Anstrengung, indem er bemerkte, Laß er Len Absichten des Kai sers nicht zuwider zu handeln glaube, wenn er den Oberbefehl an jenen General übergebe, der hierzu von der Gesammtstimme der Armee bezeichnet zu sein scheine. „Ich habe, um mich zu ersetzen, Canrobert gewählt", sagte der Marschall, „und erwarte die Bestätigung dieser Ernennung vom Kaiser." Hierbei gab er dem General Martimprey einen Wink, welcher auf den Ge neral Canrobert mit einem Papier znging, das die provisorische Ernennung dieses Letztern enthielt. General Canrobert nahm jedoch di« Schrift aus den Händen Les Generalstabschef nicht entgegen, sondern zog aus der Brusttasche seines (Canrokert's) Waffenrocks ein anderes mit dem Wappen des Kaisers versehe nes Papier, dessen äußerer Zustand schließen ließ, daß es schon eine gewisse Zeit in der Tasche des Generals stak! St.-Arnaud machte hierbei zwar große Augen, sprach aber keinerlei Ucber- raschung aus. Er ließ sein Haupt wieder auf die Tissen seines Feldbetts sinken und sprach mit schwacher Stimme die zwei Worte: „O'est bien!" Der Verfasser kommt jetzt nach einer kurzen Charakteristik Canrobert's, die nicht ganz günstig ist, auf die Vorbereitungen zur Belagerung und die Schlacht von In kerman, diesen zweiten Pyrrhussieg, zu sprechen. „Am Tage nach dieser Schlacht, d. i. am 6. Nov.," fährt er fort, „gährte noch in den Köpfen die Idee von einem Sturme. Man konnte die Auflösung der Russen, den Rückzug ihrer Feldarmee und die außerordentliche Begeisterung unter unsern eigenen Truppen benutzen. General Canrobert besprach sich mit Lord Raglan, welcher jedoch dem Erster» von dem Unternehmen eines Stur mes abrieth- Lord Raglan führte hierbei die unzureichenden Kräfte der Verbündeten und hauptsächlich jene der Engländer an, die auf 14,000 Mann herabgeschmolzen waren. Ueberdieß griff Lord Raglan auch der Tod der englischen Generale, seiner Waffenzcsährten, in der Schlacht von Inkerman, und der be unruhigende Zustand des Herzogs von Cambridge auf das Tiefste an, und^ Ler eLle Lord sah nur noch zwei Partien zu ergreifen, d. h. die Belagerung nach den Regeln der Kunst fort zusetzen und auf Verstärkungen zu warten, oder sich zum Rück zug wieder einzuschiffen! General Canrobert verwarf auf das Entschiedenste den Gedanken einer Wiedereinschiffung und sprach sich für die Fortsetzung der Belagerung aus, die noch bis heute dauert, nachdem man einen dreimonatlichen Winter im Regen und Schnee, bei einer empfindlichen Kälte, bei Cholera, Typhus und Scorbut zugebracht hat! Nach dem 5. Nov. 1854 zählte die verbündete Armee, ungerechnet der Türken, 48,000 Mann. Heute, d. i. nach wiederholten Verstärkungen, beläuft sich der streitbare Stand auf nicht mehr, als 64,000 Mann. Der Kai ser der Franzosen kannte die Wahrheit, Lie ganze Wahrheit über den Werth des Marschalls St.-Arnaud, über die Verdienste des Generals Canrobert und über die Wichtigkeit der Werke Scbastopols! Er kannte die Gefahren einer Invasion auf rus sischem Boden, sowie jene eines Winterfeldzugs in diesem Lande unter dem 45. oder 57. Breitengrade,! An ihm ist es jetzt zu rathcn! England, welches sich abmühte, die Ursachen des Ruins seiner schönen Armee auszusuchen, kannte ebenfalls die Wahr heit über das Mittel, Rußland auf das Unfehlbarste zu schla gen und es im Herzen zu treffen! An England ist es jetzt zu überlegen! Beide Regierungen kennen die ganze Ausdehnung des Uebels, und wir wissen es, daß sie nur noch auf der Krim expedition bestehen um ihrer Waffenehre willen! Es ist dieS ein unglückseliges Mißverständnis, ein System, welches Rußland nicht zum Friede» zwingen wird! Mit einem Worte: die