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Freiberger Anzeiger Tageblatt. Erscheint jeden Wochentag früh 9 Uhr. Preis vierteljährlich 1- Ngr. — Inserate werden an den Wochentagen nur bis Nachmittag» 3 Uhr für die nächsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. 213. Mittwoch, den 12. September 1855. Aufklärungen über den Krimfeldzug. Vor einigen Tagen ist bei Jeffs in London eine Broschüre über den orientalischen Krieg und die Krimexpedition in fran zösischer Sprache erschienen, die in den politischen, wie militä rischen Kreisen eine große Sensation erregt und über deren Autor die wunderlichsten Gerüchte im Umlauf find. Ohne nun dem einen oder andern dieser On üits einen blinden Glauben zu schenken, scheint es mir doch eine Thatsache, daß die erwähnte Schrift einen höhern französischen Officier zum Verfasser hat, dem es durch seine Stellung bei der Expeditionsarmee vergönnt war, hier und da durch den diplomatisch-militärischen Schleier zu blicken, welcher die ganzen orientalischen Wirren und die Kriegsführung in der Krim vor den neugierigen Blicken des großen Publikums bedeckt. Die Broschüre enthält solche Ein zelheiten und Angaben, die in der That höchst überraschend und interessant sind, und deshalb glaube ich, daß Ihnen einige Aus züge auS derselben nicht unwillkommen sein dürften, die natür lich nur das Wichtigste enthalten sollen. Nachdem der Verfasser die Expedition nach-der Krim als eine ausschließliche Idee des Kaisers Napoleon hingestxllt, für welche auch der Marschall St.-Arnaud gewonnen wurde, fährt er folgendermaßen fort: „Es kamen von Paris Befehle, die auf eine Beschleunigung der Krimexpedition drängten, und nach dem Marschall St.-Arnaud dieselben empfangen, reiste er von Konstantinopel nach Varna ab, um in letzterer Stadt, wo er sein Hauptquartier aufschluz, einen Kriegsrath zu versammeln. Eine Recognoscirung, die alle Welt kennte fand auf der süd westlichen Küste der Krim durch die Generale Canrobert, Brown, Contreadmiral Lyons und mehrere Officiere des Generalstabes statt, welche Herren ohne Zweifel sehr wichtige Angaben und Notizen zu einer vortheilhaften Ausbeute zurückbrachten. Diese Nachrichten und Aufzeichnungen beschränkten sich jedoch aus schließlich nur auf die Details zur Ausführung des Unterneh mens, auf'den Ausschiffungspunkt, die Möglichkeit der Unter- siützung der Flottenartillerie, falls die Landtruppen angegriffen werden sollten, endlich auch auf die Wahl der einen oder an dern 'Straße', welche man zur Vorrückung gegen Sebastopol : einschlagen wollte. Der früher erwähnte Kriegsrath versam- ! melte sich zu Varna zu Anfang des Monats August, und zwar, wenn uns unser Gedächtniß nicht täuscht, am 10. Aug. Mar schall St. Arnaud präsidirte der Versammlung und hatte zuvor dem Prinzen Napoleon und den Generalen Canrobert und Bosquet den Plan bekannt gegeben, der zwischen ihm (St.-Ar naud) und dem Kaiser gefaßt worden war. Der Plan war von Napoleon III. selbst ausgearbeitet und von Biarritz datirt, von wo in jener kritischen Epoche der Kaiser seine Befehle und Proklamationen erließ. Marschall St.-Arnaud zergliederte dem Kriegsrath die Idee der Krimexpedition, sagte von derselben besondere Vortheile für die englisch-französische Politik voraus und ging dann zur Analyse des Plans über, welchen er von Paris schon völlig formulirt erhalten hatte. Man solltenun einen Landungsplatz wählen, die Ausschiffung unter dem Schutz der Flottengeschütze vor sich gehen lassen, die Russen, welche o hne Zweifel die Landung zu verhindern suchen würden, schla gen, was nach Marschall St.-Arnaud gar nicht mißlingen konnte, und hierauf geraden Weges gegen Sebastopol marschiren, um den Platz mittels eines Handstreichs wegzunehmen. Der Mar schall hatte jedoch keinerlei positive Angaben über die activen russischen Streitkräfte im Felde, noch über den Effectivbestand der Garnison von Sebastopol, oder über die VertheidigungS- werke desselben von der Landseite! Die Nachrichten, welche man aus verschiedenen Quellen schöpfte, stimmten indessen darin überein, daß man keinen unüberwindlichen oder ernstlichen Schwierigkeiten bei der Ausführung begegnen werde. Die rus sische Macht erhielt einen schweren Schlag an der Donau, und es schien noch weniger schwierig, sie in der Krim zu besiegen, wo sie ihre Streitkräfte noch nicht zusammengezogen hatte, und auch keinen Angriff erwartete. Die Landung auf der Krim und die Einnahme Sebastopols sollten die Niederlage Rußlands vor den Augen der. Welt vollständig machen und dasselbe zum Frieden zwingen. -Dies die Gedanken und das Ziel, welche der Königin Victoria, so wie dem Kaiser der Franzosen vor schwebten. Aller Augen richteten sich im Kriegsrath nach der Mittheilung dieser Projekte auf Lord Raglan, der eine sehr be sorgte Miene machte, während sein Gesicht unverhohlen den Un glauben ausdrückte, womit sein Geist die Möglichkeit der Aus führung des Plans betrachtete. Er stellte der Versammlung den Mangel an Notizen über die feindlichen Streitkräfte und über den Stand des Platzes von der Landseite vor. Die Kar ten verschafften keine Aufklärung und die Straßen und Flüsse und natürlichen Hindernisse waren unbekannt. Lord Raglan bemerkte ferner, daß es den Verbündeten an Cavallerie mangle, während die Russen reich an ausgezeichneten Pferden seien, ein.