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über die furchtbaren Folgen dieses Lasters von den eifrigsten Mäßigkeitsaposteln gesagt und geschrieben worden ist. Wir sind bereit, die Trinksucht als eine Pest für Leib und Seele anzuer kennen. Wir halten es für sehr verdienstlich , einen gewohn heitsmäßigen Säufer in einen nüchternen Menschen zu verwan deln, «nd einen Verehrer des Schnapsglases zum Cultus der Kaffeekanne zurückzuführen. Wir wollen sogar noch zugeben, daß ein mäßig getrunkenes Glas Schnaps für die hart arbei tende Claffe in feuchtkalten Gegenden doch entbehrlich sei. Allein um alle diese Fragen handelt es sich auch gar nicht, wenn man Mäßigkeitspolitik Nordamerikas beleuchtet. Die Frage ist einfach die: hat der Staat ein Recht, durch Gesetze gegen ein Uebel einzufchreiten, wodurch die Rechte Dritter nicht gekränkt werden? Die zweite Frage ist die: Wenn sich jenes Recht nachweisen läßt, hat dann der Staat die Befuzniß, Mittel anzuwenden, die den Unschul digen wie den Schuldigen mit gleicher Härte treffen? Die erste Frage kann nicht unbedingt verneint, aber auch nicht unbedingt bejaht werden. Sie berührt eine der zartesten und schwierigsten Seiten des öffentlichen Rechts. Der Staat kann durch äußere Zwangsmaßregeln unmöglich das Laster bekämpfen und die Sittlichkeit befördern. Die Zwangsmaßre geln des Staates können höchstens äußere Resultate liefern, aber gleichzeitig unberechenbaren Schaden anrichten, indem sie die Sache des Lasters zu einer Sache der persönlichen Freiheit machen! Es ist mit dem politischen Zwange gerade wie mit dem kirchlichen: er bessert und heiligt keinen Menschen, sondern macht die Herzen trotzig, die für die Wahrheit hätten gewonnen werden können. Hat der Staat ein Recht, in die Gebiete der Sittlichkeit mit seinem Zwange einzugreifen, so ist nicht abzusehen, warum er nur das Trinken als Opfer sei nes Zorns herausgreist. Warum straft er nicht auch Völlerei und ihre schwarzen Geschwister Neid, Lüge, Heuchelei, Undank barkeit, Unbarmherzigkeit, Stolz, Jähzorn re.? Man läßt viel mehr diese Laster ziehen, bis ein wirkliches Verbrechen daraus entsteht. Wo die Macht aufhört, da endet auch das Recht. Für die innere Heiligung des Menschen zu wirken, ist der Staat unfähig. Und gleichwohl haben wir das Recht des Staates zum Kampfe gegen das Laster nicht unbedingt verneinen wol len. Wir lassen das Recht des Staates da gelten, wo das Laster auf das Gebiet des Staates übertritt. Der Arm des Gesetzes mag Denjenigen treffen, welcher gewohn heitsmäßig durch Saufen sich des Gebrauchs seiner Ver nunft beraubt, dadurch die Sicherheit seiner Mitmenschen ge fährdet, die Pflichten gegen seine Familie verleugnet. Es er scheint auch gerechtfertigt, wenn der Staat die äußerliche Ver führ ung zur Berauschung so weit beschränkt, als es ohne Beeinträchtigung des legitimen Durstes thunlich ist. Wenn man aber für die Sünden einzelner Säufer eine ganze Bevölkerung büßen läßt, so ist das ein hohes Un recht. Wer würde cs billigen, wenn man den Gebrauch des Feuers verbieten wollte, weil sein Brandstifter'damit Unheil angerichtet? Wer würde es billigen, wenn man, um Brand stiftungen zu verhindern, alle Versicherungsanstalten aufhebm ünd verbieten wollte? Wer würde es für recht halten, wenn man einen ganzen Stand zur Sklaverei verurtheilea wollte, weil früher einzelne Glieder sich an einem Aufstande betheiligt haben?! Verbietet man uns den mäßigen Genuß, geistiger Getränke, weil unser Nachbar sich berauscht, so straft man damit alle Unschuldige. Es ist ein Grundsatz des mensch lichen Rechts: nur der Schuldige soll bestraft werden. ' , Die Ngtur hat dem Menschen einmal das Bedürfniß der Nervenreize eingepflanzt. Schnupftabak, Cigarren, Kaffee, Thee, Wein, Schnaps sind Nervenreize, welche die Natur for dert, sobald man sich an solche Nervenreiz« gewöhnt hat. So weit die Erde bewohnt wird, finden wir solche Mittel zu Ner venreizen, in den feinsten Salons europäischer Hauptstädte, wie unter den Palmen der Südseeinseln. Die Italiener, Franzo sen und Portugiesen kennen das Saufen kaum dem Name« nach, sind sie darum sittlicher, als die Holländer, die Deutschen, die Schottländer? Die Muhamedaner dürfen keinen Wein trinken — wollen wir die Moral der Deutschen mit der der Türken, Perser und Araber vertauschen? Uebrigens lehrt Lie Sittengeschichte, daß das Laster des Saufens in den nordeuropäischen Ländern im Abnehmer! begriffen ist. Die Sitte, sich bei festlichen Gelegenheiten zu be trinken, war vor hundert Jahren bei uns noch allgemein; jetzt passirt eine solche Menschlichkeit nicht so leicht die Censur. Das gewohnheitsmäßige Saufen war bei unsern Vorfahre« eine Schwäche, die nicht besonders auffiel, jetzt ist es »in verabscheu- tes^Laster. Das ist die Folge unsrer fortgeschrittenen Eultur. Auch Kaffee, Thee und selbst Tabak haben viel zur ^Vermin derung des Trinkens beigetragen; sie haben Wein und Brannt wein von unzähligen Frühstücks- und Vespertischen verdrängt. Auch Speiseanstalten wirken gegen das Schnapstrinken. Es wäre thöricht, wenn man um dieser nur anzedeutettn Gesichtspunkte willen das Auge verschließen wollte vor den gro ßen Verheerungen, welche die Trinksucht anrichtet, namentlich in den nordischen Schnapsländern. Wir wollen aber hier nur hervorheben, daß die Unmäßigkeit im Trinken nur eine äußere Erscheinung ist; die Wurzel zum Saufen liegt in der Roh heit. Wenn Sitte, Bildung und Religion einziehen, läßt sich erst jene Rohheit bekämpfen, keineswegs durch polizeilichen Zwang. . Endlich geben wir noch zu bedenken, daß die Untugenden eines Volks mit seinen Tugenden eng zusammen sind. Kraft und Rohheit eines Mannes wohnen im Herzen eng beisammen. Indem man das Unkraut aus dem Weizen gewaltsam durch äußere Mittel ausrauft, kann man auch den Weizen mit aus ziehen. Uns ist die deutsche, die angelsächsische Nation mit ihrer Kraft und Trinkliebe immer noch viel lieber, als die nüchterne Wohlanständigkeit der Südländer mit ihrer Falschheit, FeigheS, Banditenwesen und Wollust. Wir glauben, die Verbannung des Wein- und Bierge- nuffes aus dem Menschenleben, des mäßige» nämlich, sei eine eben so arge Rohheit, als die Entweihung dieser GotteS- gabcn durch Unmäßigkeit. Wein, mäßig getrunken, erfreuet Leib und Seele, sagt Sirach, und Christus hat bei dem hoch zeitlichen Mahle zu Canaan Wasser in Wein verwandelt. — « —