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Freiberger Anzeiger und - ' Tageblatt. ? Erscheint jeden Wochentag früh 9 Uhr. Preis vierteljährlich"^ Ngr. — Inserate werden an den Wochentagen nur bis Nachmittags 3IUHr für die nächsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit S Pfennigen berechnet. 158, Mittwoch, den II. Juli 1855. Zu wessen Vortheil wird der Krieg geführt? Diese Frage ist im Angesichte der schweren Opfer natür lich, welche der Krieg verschlingt. Wenn man die langen, lan gen Listen der Tausende durchlesen könnte — „ eine Liste un serer Verluste liegt bei", heißt es allwöchentlich in den Krim depeschen — welche dem Winter, den Seuchen, dem Feuer er legen sind, die Listen Derjenigen, welche in den Lazarethen schmachten oder als Krüppel umherhinken, Derjenigen, welche in harter russischer Gefangenschaft in traurigem Loose dem Friedensschlüsse entgegenharren; wenn man einen Ueberblick über die unmittelbar von der Kampfesführung aufgezehrten Geldsummen Tag für Tag der Jahresarbeit vieler Hun derttausende von fleißigen Arbeiterfamilien gleichkommend, ge winnen könnte; wenn man-die Ungeheuern Unkosten des Kriegs, die Störung so vieler vortheilhafter Geschaftsunternchmungen, die Verwendung von Tausenden rüstiger Männer zu impro- ductiver uud zerstörender Arbeit in Anschlag bringt: so ist das , Alles wohlgeeignet, den Zweifel anzuregen, ob der erstrebte Preis so enormer Opfer wirklich werth sei; man kommt dann zu der Frage: ob es nicht doch am Ende ein voreiliger Ent schluß der Wesimächte war, als sie den russischen Eroberungs- Versuchen mit bewaffneter Hand entgegentraten; ob es nicht für das Heil des Menschengeschlechts besser gewesen wäre, wenn man eine weitre Vergrößerung der nordischen Macht stillschwei gend erduldet und sich damit begnügt hätte, den Protest Eu- ropa's gegen die Uebergriffe Rußlands in der Form feierlicher Rechtsverwahrunzen niederzulegen? Dazu kommt noch, daß die Summe aller bisher gebrachter Opfer weit größer ist, als man sie nach dem Umfange und der Größe des entstandenen Conflicts erwarten durfte, daß allem Anscheine nach die kommenden Jahre- noch weit mehr Blut und Geld fordern werden. Und je tiefer der Conflict sich ver wickelt und verbittert, desto näher kann Lie Wahrscheinlichkeit eines großen Continentalkriegs mit allen seinen unermeßlichen Verheerungen treten. Auch die Opfer und die Kostenberechnung der Zukunft müssen mit in Anschlag gebracht werdkn, wenn man fragt: „zu wessen Vortheil?" Der Oberflächlichkeit gegenüber haben die Partei des Frie dens um jeden Preis die Propheten des tausendjährigen Reichs, Elihu Burrit uud Cobden sehr leichten Beweis, wenn sie den Krieg als den Gipfel des Unverstandes und der Ruchlosigkeit verdammen. Auf der Seite der Friedensfreunde — wir selbst sind aus Humanität versucht, dazu zu gehören — stehen die Steuerzahlenden, die Gläubiger der Staaten, die Verwandten der Soldaten aus Interesse. Die humane Guthmüthigkeit deS Publikums kommt den Lehren der Friedensapostel entgegen und schenkt den „Oelzweigen des Friedens" um so mehr Beifall, da die „Oelblätter" gleich angenehm für das Herz, wie für den Geldbeutel sind. Blut vergießt niemand gern, und wenn es an das Geldgeben kommt, so hört die Gemüthlichkeit auf und macht dem nüchternsten Ernste Platz. Wenn nun solche Hiobsposten, wie die des 18. Juni dieses Jahres kommen, wo in 12 Stunden mehr denn 8600 Men schen hingeschlachtet wurden, welchen Eingang müssen dann die Friedenslehren bei Allen finden, welche keine höhere, son dern nur materielle Interessen der Menschheit kennen. Die Ströme Bluts, die Leichen der Choleraopfer, welche seit fast, neun Monden den Boden der taurischen Halbinsel düngen, sind sie nicht die eindringlichsten Gründe, mit denen man die Leser der „Olivenblätter für das Volk" für den Frieden gewinne» kann? Wenn man dann an die in der Luft schwebenden neuen Staatsanleihen denkt, muß das nicht wie ein niederschlagendeS Pulver auf die Gemüther der Renten-Inhaber wirken? Wer den alle Jene nicht Beifall nicken, wenn man ihnen vorspricht, erstlich, daß es den Völkern doch ungemein gleichgültig sei, ob die Krimm diesem oder jenem Gebieter gehorche? zweitens, daß von dem Waffenruhme die Hungernden nicht satt und die Kran ken nicht gesund werden? drittens, daß jeder Staat sich nur, um seine eignen Angelegenheiten bekümmern und sich nicht in fremde Händel mischen solle? und endlich viertens, daß es höchst unmoralisch sei, wenn englische und französische Bauersöhne gezwungen werden, ihre russischen Mitmenschen niederzuschießen, die ihnen persönlich auch nicht das Geringste Hu Leide gethan haben? Der Eigennutz und die Selbstsucht sind sehr geschickte So phisten, sie wissen für ihre Gründe recht schön den Menschen verstand und die Religiosität geltend zu machen. Will man sagen: der Krieg ist unsittlich, darum darf er nicht geführt werden, so heißt das: ein Nachbarvolk kann unS mit Kpieg überziehen, berauben, unterjochen und zu Knechten machen, wir dürfen weder für uns, noch für unser angestamm tes Fürstenhaus das Schwert ziehen. Will sich in der Thal Jeder solche großartige völkerrechtswidrige Gewaltthat