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Freiberger Anzeiger Tageblatt. M Erschrint jeden Wochentag stütz S Utzr. Preis vierteljährlich 1S Ngr. — Inserate werden an den Wochentagen nur bi« Nachmittag« 3 Utzr' für die nachsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. ^24. Freitag, den I. Juni 1855. Das Wetter. Die Witterung und das Vorherbestimmen ihres wahrschein lichen Ganges ist bei deren großen Einflüsse auf den Menschen und seine natürlichen Umgebungen, denen er die Mittel zur Befriedigung seiner Bedürfnisse und Genüsse entnimmt, von je ein Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit gewesen. Im Gan zen aber müssen wir gestehen, daß uns die Wissenschaft in dieser Hinsicht noch nicht das Recht gegeben, etwas mehr als Vermuthungen auszusprechen. Auf kleinere Landstriche und für kürzere Zeiten giebt es allerdings ziemlich sichere Anzeichen, die uns auf die nächste Witterung mit einiger Sicherheit schließen lassen, weiter geht dies aber bei der Unmöglichkeit, den Gesammtwcchselverkehr der Wittcrungselcmcnte zu kennen, nicht. Die Temperatur- und Witterungsverhältnisse ganzer Jahreszeiten vorausbestimmen zu wollen, überschreitet jedenfalls das Maß und die Berechtigung unserer Erfahrungen. Es muß z. B. durchaus nicht, wie man gewöhnlich annehmen sieht, auf einen kalten Winter ein heißer Sommer, auf einen milden Winter aber ein kühler Sommer siattfinden. Häufig ist das Gegentheil der Fall. So herrschte vom Juni 1815 bis zum Deccmber 1816 eine ungewöhnlich niedrige Temperatur in Europa; die Mißernte von 1816 war die Folge. Vom November 1821 bis zum November 1822 dauerte eine ungewöhnliche Wärme und das Jahr 1822 zählt bekanntlich unter die ausgezeichneten Wcinjahre. Die Wissen schaft hat den normalen jährlichen Gang der Wärme bestimmt; aber es treten darin bedeutende Abweichungen auf, wie schon jene Beispiele zeigen, und diese Abweichungen sind dann nicht local, sondern über größere Strecken verbreitet. Höchst wahr scheinlich allerdings ist auf der Erdoberfläche stets dasselbe Wärmequantum vertheilt, aber ungleich. Kalte Winter sind die Folge längere Zeit vorherrschender Nordostwinde, kühle Sommer die Folge vorherrschender Südwestwinde: davon sind nach dem berühmten Dove unsere Witterungsverhältnisse bedingt; diese abwechselnden Luftströmungen selbst aber Vorherzubestimmen ist uns noch nicht gestattet. Sollte auf einen kalten Winter ein heißer Sommer folgen, so müßte ein ganzes Jahr hindurch der Nordosiwind vorherrschen; der Südwestwind aber, wenn dem milden Winter ein kühler Sommer folgen soll. Einige Naturforscher wollen eine allgemeine Abnahme der Wärme auf unserer Erde annehmen und erklären dies durch die fortwährende Vergrößerung der Erdenbahn und die fieigende Entfernung derselben von der Quelle der Wärme, der Sonne. Schmitz in Köln, dessen naturwissenschaftliche Anschauungen isolirter stehen, als sie es eigentlich verdienen mögen, äußert sich darüber wie folgt: „Die beiden Pole .sind zuerst unter nie mehr schmel zendem Eise erstarrt. Ein ewiger Schnee dehnt sich von Nor den und Süden her immer weiter auf die gemäßigten Zonen aus. Die Eiszonen haben schon ehemals blühende Länder mit ihrer reichen Vegetation und den tropischen Thieren, die sie nährte, für immer mit ihrem blaffen Leichentuch bedeckt. Ne bel, Wolken, Regen und Stürme, die Vorläufer des ewigen Winters, nehmen zu. Die steigende Entfernung hebt allmalig die Verschiedenheit der Jahreszeiten auf. Wir haben seltner als ehemals anhaltende Wärme oder Frost; mehr feuchte Wit terung statt eines anhaltenden Winters und mehr Regentage statt eines heißen Sommers. So nimmt die feuchte Witterung, der Uebergang von der warmen auf die kalte Jahreszeit, immer zu, bis ein ewiger Winter die ganze Erde deckt." Um aufs Wetterprophezeien zurückzukommen, so könne« wir nur wünschen, daß die Hoffnungen auf ein gutes und ge segnetes Jahr, die sich an den so ungewöhnlich strengen und anhaltenden Winter knüpfen, noch in Erfüllung gehen mögen; sind wir auch nicht im Stande, wie oben bemerkt, für diese' Hoffnungen zuverlässige Anhaltpunkte in der strengen Wissen schaft zu finden. Man hat sich auch bereits die Jahrhundertvorgänger unser- laufenden Jahres angesehen und dabei freilich nicht viel Er bauliches entdecken können. Die Jahrgänge 1054, 1154, 1254 und 1454 waren schlecht; im Januar und Februar 1554 herrschte große Kälte, vom 19. bis 31. Mai und am 9. Juni gab eS starken Reif; am 21. September erfroren die noch unzeitige« Trauben, der Wein wurde sauer und die Ernte fiel nur mit telmäßig aus. Vom Jahre 1654 lauten die Nachrichten gün stiger; nach einem milden Winter folgte ein früher, warmer Frühlingsanfang; ein Erdbtben am 7. März aber brachte Sturm, Kälte und am 19. März Schnee; mit dem April jedoch kam wieder wärmere Witterung, um die Mitte Mai große Hitze, sodaß am 22. die Trauben zu blühen begannen; der Juni und Hälfte Juli waren kalt und regnerisch, dann wieder sehr günstige Witterung und die Ernte fiel sehr gut aus. Ein kühler und regnerischer August ward vom September wieder gut gr- macht, der die Trauben schnell zur Reife brachte, sodaß die