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Freiberger Anzeiger - Tageblatt, Erscheint jeden Wochentag früh 9 Uhr. Pretr vierteljährlich IS Rgr. — Inserate werden an den Wochentagen nur bi« Nachmittag» 3 Uhr' für die nächsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. . ' M 219. Freitag, den 2S. Mai 1855. Tage8geschichte. Dresden, 22. Mai. Berichten Dresdner Blätter zufolge ist am 21. Mai die 20jährige Tochter Ler Waschfrau König aus Dölitz in der Nähe von Connewitz bei Leipzig von einem Corrcctioner aus Leipzig Namens Kirst räuberisch überfallen Und beraubt worden, wobei ihr Kirst zwei Finger abgeschnit ten hat. Derselbe ist bereits gefänglich eingezogen worden. Berlin, 22. Mai. In hiesigen namhaften militärischen Kreisen spricht man von aus Paris hier angelangten Schreiben, aus denen hcrvorgehcn soll, daß binnen kurzem schon der Sturm auf Sebastopol zu erwarten sei. Der Kaiser der Franzosen soll in dieser Beziehung einen bestimmten Befehl an den Ober befehlshaber in der Krim haben ergehen lassen, und die Schwie rigkeiten, welche General Canrobert in Bezug auf die Ausfüh rung des Sturms erhoben habe, seien die* Veranlassung gewe sen, daß der Oberbefehl auf den General Pelissier übergegan gen sei. Daß dieser gewagte Schritt, wenn er mißlingt, einen unberechenbaren Einfluß auf die Gestaltung der Dinge zu Gunsten Rußlands ausüben wird, liegt zu sehr auf der Hand, um noch erst darauf aufmerksam zu machen. Unter diesem Gesichtspunkte findet das gefährliche Unternehmen, namentlich in'Anbetracht der vielen gegenwärtigen, den Erfolg erschweren den Verhältnisse, von manchen Seiten geringe Zustimmung. Mit der größten Spannung sieht man hier Dem, was da kommen wird, entgegen. Königsberg, 21. Mai. In Memel ist am 18. d. M. Abends nach 6 Uhr in der Nähe des Postgebäudes wieder Feuer ausgebrcchen, wodurch fast ein ganzes Carre von Häusern ein geäschert worden ist. Um 10 Uhr Abends ist dasselbe unterdrückt worden. Die der größten Gefahr ausgesetzt gewesenen Post gebäude sind erhalten. Aus 28ien, 18. Mai Abends, wird der „Times" tele- graphirt: Es ist hier ein Umschwung eingctreten, und wahr scheinlich sind gestern neue österreichische Vorschläge nach Lon don und Paris befördert worden. Dem Vernehmen nach will Oesterreich den Westmächten seinen materiellen Beistand ange- deihcn lassen, wenn die Wcstmächtc seine Vorschläge annehmen und Rußland dieselben verwirft. — Dem „Globe" wird untcrm 19. Mai gemeldet: Oesterreich ist mit den Westmächten über ein Ultimatissimum, welches Rußland vorgelegt werden soll, übereingekommen. Wenn dieser entschieden schließliche Friedens versuch scheitern sollte, so verspricht Oesterreich, daß es eine wirklich entschlossene Haltung annehmen werde. Aus der Krim. Ueber die Lage der Dinge in der Krim wird Ler „Tr. Ztg." mit der neuesten Konstantinopolttanischen Post aus dem Schreiben eines höhern Offiziers, der den ganzen Feldzug mitgemacht, Folgendes mitgetheilt: Omer Pascha ist von seinen Exkursionen nach Balaklava und Kamiesch nach Eupa- toria zurückgekehrt. Dort steht ihm gegenüber ein Corps von 8000 Russen, ausschließlich Cavalerie, die jede Operation der Türken verhindern. Eupatoria ist befestigt nach zwei Selten hin in einem Dreieck, Befestigungen, die durch den englische« Ingenieur Simmens auszeführt, aber zum Theil so unglück lich ausgefallen sind, daß eine Redoute der andern in die eige nen Schanzen schießt. Die Verbindung Eupatorias zu Lande mit den von den Alliirtcn besetzten Punkten ist vollständig ab geschnitten, was ich, obgleich es längst bekannt, deshalb er wähne, weil ich sehe, daß mehrere europäische Blätter diese Ver bindung als noch bestehend oder wenigstens möglich ansehen. Die russische Hauptarmee steht, etwa 150,000 Mann stark, bei Simferopol und unterhält ununterbrochen den Verkehr mit Se bastopol. Unter diesen Umständen hat man nicht nöthkg, eine starke Besatzung in der Festung zu lassen: es werden immer nur so viel Truppen hineingeworfen, als zur Bedienung der thätigen Batterien nöthig sind, weil die Stadt nicht hinlänglich bombenfeste Räume hat, um größere Truppenkörper zu berge«. Das Bombardement hat wohl viel Schaden angerichtet, aber doch keinen erheblichen Erfolg für die Verbündeten herbeigeführt, Ler ihre Lage verbesserte. Eine Einnahme der Festung erklärt jetzt jeder ehrliche Offizier für unmöglich. Canrobert selbst ist in Verzweiflung und physisch und moralisch fast aufgerieben. Eine Vorwärtsbewegung der Belagerer, um seitwärts um die Stadt herumzukoinmen, ist durch die starken Befestigungen der Russen auf dem rechten Ufer der Tschernaja unmöglich gemacht. Eine rückgängige Bewegung, um die Schiffe wieder zu gewin nen und still nach Hause zu gehen, ist ebenfalls unmöglich, weil die Russen ihnen dann auf den Fersen sind und man nicht in 24 Stunden einschiffen kann, was man in 8 Monaten ausge schifft hat. So zerschellen die Belagerer die Köpfe an den Boll werken der Festung und können weder vor- noch rückwärts. Die Lage ist eine äußerst kritische, aus der seine Tapfern zu befreien und bald zu befreien, des Kaisers schwere Aufgabe sei«