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Len, zum Theil auf denselben Wegen in die untern Schichten der russischen Bevölkerung andere Ideen als die von oben be fohlenen und lichte Blicke auf den traurigen Abstand der Wirk lichkeit vom Schein auf ihre verthierte Lage gelangt sein und um so mehr Empfänglichkeit gefunden haben, je größer ihre Entbehrungen und Leiden vom Knechtschaftsdruck sind. Wie aber jeder auch nur gewöhnlich begabte Mensch Augenblicke im Leben hat, in denen bei ihm über das Räthsel der Welt, über menschliches Dasein und Zweck Gedanken auftauchen, wie das allmälige Zusammenwirken solcher geistiger Bewegung die An fänge der Cultur in den Völkern erklären, so bedarf es auch nicht des Einflusses von außen, um ein kluges Volk zu mehr als Ahnung seiner äußerst mißlichen verwahrlosten Lage zu bringen. Das Gedicht, der Gesang ist es, in welchen seine Betrachtungen sich flüchten und zuerst und lange allein zum Ausdruck gelangen. Außerordentliche Ereignisse fördern dies; ihre Beschaffenheit und der Voltscharakter geben ihm die ver wandte Färbung, und herber, schwermüthiger Spott ist's, in welchem die bedrängten Herzen für das von der Willkühr der Macht ausgestandene unsägliche Weh, Sühne und Erleichterung suchen. Die stete Todesgefahr fördert im Kriege den Muth dazu. So zeigt die Stimmung und das Bewußtsein der sangge wohnten Söhne der Steppen unter den schweren Kämpfen gegen die verbündeten Mächte in der Krim ein in der Kölnischen Zeitung vor einiger Zeit enthaltenes Lied, welches im russischen Lager trotz der ehernen Wucht der Disciplin bei einer Schützen compagnie nach einer russischen Volksmelodie gedichtet, von einem kurländischen Unteroffizier übersetzt worden und ein deutscher Wundarzt bei dem türkischen Heer vor Sebastopol in Verse gebracht und mitgetheilt hat. Vielleicht, bemerkt er dabei, stehe es mit den Meutereigerüchten in Zusammenhang, die von Zeit zu Zeit auftauchen. Im Eingänge wird Sebastopol ge fragt, warum es sich in Trauerschlrier hülle, ob ihm das Meer die treugeglaubte Freundschaft gekündigt, ob es, den schönsten Stein in seiner Krone, der Czaar Nikolaus den verschworenen Feinden zum Preis gegeben habe? Sebastopol bejaht's, klagt: fremde Wimpel umgürten mich, die ans Land dem Sande gleich geworfene Schaar der Feinde ringen um meine Jung- fraunehre, und erzählt nun weiter: Als es der Czaar erfuhr auf seinem Schlosse Zarökoe Selo, Sprach also er zu seinen treuen Kindern: Empor ihr meine Kinder, wackre Krieger, Macht Euch empor vom blauen Dcnaustrome, Den ihr genug mit Eurem Blut gcröthet, Und eilet, mir Sebastopol zu wahren, Den schönsten Stein in meiner Heilgen Krone! Drauf sprachen so zu ihm die treuen Kinder: O Herr du, unser Licht, rechtgläubiger Kaiser, Huldreicher Czaar, Czaar Nikolai Pawlowitsch,*) Der du dort wohnst im steinig sichern Schlosse, Im sichern Schlosse von Zarskoe Selo! Wohl rothgefärbt von unserm jungen Blute ") Pawlowitsch bedeutet „Sohn Pauls", der verstorbene Kaiser Nikolaus war der dritte Sohn des i« der Palastrevolution russischer Großen 1801 umgekommenen Kaisers Paul, dem sein ältester Sohn Kaiser Alexander I. (f 1825) auf dem Throne folgte. Ist nicht allein die Donau, auch die Ebene, Der welle Plan vom Lande der Walachen; Von zwanzig je, die unser hingezogen Stehn kaum mehr zehn bei den gebeugten Fahnen, Die Gräber nicht gezählt der sonst Verstorbenen; Müd sind wir all' und satt des langen Lagerns, Der bösen Fieber und der feuchten Nächte; Des eklen Lagers im erweichte« Erdreich. Nun sendest du, Czaar Nikolai Pawlowitsch, Uns gar an's Meer, die Meerburg dir zu schirmen. Wo neuer Feinde Kugeln unser harren! Viel Frost ist dort und Hunger auch zu dulden, Und Seuch und Durst und manches andre Elend, Und nackt sind wir und barfuß — das drückt uns zwiefach! Drum mach dich auf in deinem stein'gen Schlosse, Czaar Nikolai, und komm zu deinen Kindern! Willst du die schöne Meerburg dir erhalten, Sei mit uns! Theile mit uns Plag' und Kriegsnoth, Wie einst der Czaar gctheilt mit seinen Kriegern, Der große Czaar, Czaar Peter Alexiewitsch! Drauf scholl ein Klang von goldener Posaune, Und dies als Antwort ließ der Czaar verkünden: Ihr meine Kinder, Rußlands brave Söhne, Nicht ihr allein habt satt des langen Lagerns, Auch ich, der Herr, bin müd des langen Kampfes, Doch 'st ein Kampf es für des Kreuzes Glorie! Drum zieht nur hin und wahrt mir meine Feste! Wenn Gott es giebt, daß wir uns Wiedersehen, Uns wiedersinden hier auf meinem Schlosse, Dann soll vergessen Noth sein und Entbehrung, Dann laß ich baun euch kaiserliche Keller, Drinn fließe stromwcis Wein und süßer Methtrank, Drinn dufte Kraut und Braten aller Sorten! Und an die Brust euch Kreuze will ich hängen, Kreuze, so viel als jeder mag ertragen. Und was ihr nehmt dem Feind an runden Rubeln, Soll auch noch euer sein bis zum letzten Kopek. Wen aber träf des Feindes tück'sche Kugel, Den mögt ihr nicht beklagen, sondern preißen, Denn alles dieses harrt auch jenseits seiner, Und drüben noch ein Heilgenschein, ein ries'ger; Ich aber send' ihm nach den Ncwski-Orden! Drauf zogen hin die gläubig treuen Kinder, Und zogen ein mit Sang und wunden Beinen, Zn meiner Mauern steinumwalltes Lager. Einzogen sie zu später Abendstunde, Ausfielen sie ztk dunkler Mitternachtszeit. Und als der Morgen kam von Feodosio, Und es im Anfang war der prächt'gen Sonne, Ob ros'ge Schwäne froh emporwärts rauschten, Und ich mich umsah bang nach meinen Schirmern, Da lagen sie in ihrem Blut gebadet Vom Meercsstrand bis hinwärts gen Inkermann, Ein jeder statt des goldnen Hcilgenscheines Des Morgenreifes Schimmer in den Haaren, Und an der Brust anstatt des göldnen Newski