Volltext Seite (XML)
Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Erscheint jeden Wochentag früh 9 Uhr. Preis vierteljährlich 15 Rgr. — Inserate werden an den Wochentagen nur bi« Nachmittag« 3 Uhr' sür die nächsterscheinende Kummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. 400. Mittwoch den 2. Mai 1855. Einige Blicke auf Rußlands Vergangenheit, Größe, Bolksthümlichkeit und Zukunft und auf seine jetzige Stellung zu Deutschland und den Westmächten. (Fortsetzung.) Durch sein sechstes Morden gingen 1577 vier Fürsten und andere Weltliche und Geistliche unter. Der tapfere Worontinsky, dessen Verbrechen sein Muih und Ruhm war, ward geröstet. Iwan schob selbst Kohlen näher. Ein gespießter Vornehmer litt 24 Stunden ehe er endete und schrie, statt Verwünschungen, dabei immer: „Gott erbarme sich des Czaaren!" sek es aus rührender Geduld und Anhänglichkeit oder weil noch qualvolle res möglich war. Um diese Zeit jagte er auch seine Gemahlin in's Kloster und nahm ohne kirchlichen Segen Anna Wasilt- schikow. Eine sechste Gemahlin war dann die schöne Wittwe Wasiliffa Melentjew. Doch nicht lange darauf feierte er seine siebente Hochzeit mit Maria Nagos. Seinen Sohn Johann, welcher, über des in Moskau während des Kriegs schwelgenden Vaters Unthätigkeit entrüstet, von ihm ein Heer zu des 1582 von Stephan Batori, Großfürsten in Siebenbürgen, belagerten Pskow Ersatz forderte, schlug er mit einem spitzigen Stab an den Kopf, daß er niederstürzte und zur Verzweiflung des jam mernden Vaters nach vier Tagen verschied. Ehre und Muth schien von ihm gewichen. Die Polen bat er so demüthig um Frieden, daß er seine Gesandten anwies, allenfalls einige Schläge hinzunehmen. Wenn er aber in Westen gegen Polen und Schweden durch eigene Schuld verlor, gewann er, zu den früher» Eroberungen der mongolischen Chanate Casan und Astrakan im Osten, ohne eigenes Verdienst destomehr. Jermat Timofeow, Häuptling eines Haufens donischer Kosaken, brach auf eigene Faust in Sibirien ein und eroberte 1580 das Chanat Turan und legte den Tribut von 100 unterjochten Stämmen dem Czaar zu Füßen. Rasch schritt die Eroberung vorwärts in dem unwirthbaren Lande; viele finnische und tartarische Stämme Kirgisen, Mongolen und-Tungusen unterwarfen sich. Die Samojeden am Eismeer (und unter Iwans Nachfolger Feodor I. die Völker bis zu den Uferndes Jenisei, noch später die an der chinesischen Grenze) erhielten die Gesetze der Russen. Anzuschwellen und zu faulen anfangend und dennoch Mord und Unzucht nicht lassend gab er nach 17 Tagen den 18. März 1584 plötzlich beim Schachspiel den Geist auf. Mit Iwan starb vielleicht der letzte Fürst, der, obwohl Christ, an den schrecklichen Nero erinnert. Auch Nero's 5 guw Jahre fehlten ihm nicht. Er war zuweilen fromm, glaubens- duldsam, baute Kirchen, Schulen , nahm sich der Rechtspflege und Gesetze an, begünstigte den Handel und suchte sein Volk durch gebildete Westeuropäer zu civilisiren, war Feind der Trunkenheit, uneigennütziger Vertheiler der Aemter und Würden. Daher wohl kam es, daß die Schwäche des Nachfolgers, die trost losen Zeiten nach dem Aussterben des Hauses Rurik 1508, die drohende Zersplitterung des Staats durch Polen und Schweden und innere Zerrüttungen die Tage Iwans als einzigen und- gewaltigen Herrschers einem seit Jahrhunderten in Sklaverei versunkenen treuen Volke in einem glänzenderen Lichte erscheinet! ließen, worüber es die ausgestandenen Leiden gern vergißt und die Sünden auf dem Throne eher wie Prüfungen und Geschicke, denn als zu büßende Frevel betrachtet. Die Geduld und Ausdauer, mit welcher die physisch und geistig wohl ausgestatteten Russen diese Schandthaten und blu tige Tyrannei Iwans fünfzig Jahre lang ertrugen, erklärt sich ebenfalls aus der von der Mongolischen Verknechtung an und ferner, wie kein anderes Volk, ununterbrochen 400 Jahre lang erlittenen seelenverderblichen schmäligen Mißhandlungen der ärg sten Leibeigenschaft, erklärt zugleich den im russischen Charakter neben Frohsinn, Spott und Nachahmungsgabe, erkannten tiefen melancholischen Zug, den seitdem die Zeit bei der gänzlichen Unfreiheit und fortdauernden, von persönlicher Unsicherheit un zertrennlichen, nicht selten grausamen, über allem Gesetze stehen den unbedingten Willkührherrschaft nicht verwischen konnte. Darum gaben wir mehreres einzelnes aus der Regierung der Czaaren Iwan III. und IV., unter denen das vom Tartaren- joch herstammende schmerzliche Leid nur tiefer wurzelte. Was dann nach innerer heilloser Zerrüttung und Schwächung «ach außen bis zum Erlöschen des achthalbhundertjährigen Manns stammes des Hauses Rurick und seit 1613 vom Czaar Michael, dem Stifter des Hauses Romanow, im Frieden wie in den vielen Eroberungskriegen (namentlich unter Peter I., welcher nach dem glorreichen Nystädter Frieden mit Schweden und Polen den Namen der Große und zuerst den Kaisertitel annahm), von 1689-1725 bis zu seiner jetzigen Größe geschah, war so wenig als einzelne Empörungen und mit Verbannung, Gefan genschaft, auch Czaarenmord verbundene Palastrevolutionen an sich geeignet, die Gemüthsstimmung der alten freieren frohe ren Vergangenheit wieder zu erzeugen. Der Despotismus, dir'