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Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Erscheint jeden Wochentag früh 9 Uhr. Preis vierteljährlich 15 Ngr. — Inserate werden an den Wochentagen nur bis Nachmittag» S Uhr für die nächsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. 1855 Donnerstag, den 4. Oetober 232. Rach dem Sturme. Ueber die Vorgänge nach dem Sturme auf Sebastopol be richtet der Times-Correspondent Folgendes: ,,Die Ueberraschung, welche im Lager der Alliirten am 9. Sept, herrschte, als die Nachricht, die Russen hätten, die brennende Stadt vollständig geräumt, sich mit Blitzesschnelle verbreitete, ist uUbeschreiblich. Wußte man zu jener Zeit doch nicht, welche Tragweite die Be setzung des Malakoff haben werde, und war man doch im eng lischen Lager auf einen Sturm gegen den Redan vorbereitet. Alles wollte nun die brennende Stadt in nächster Nähe sehen, und um die Menge von der riesigen Brandstätte abzuhalten, in deren Mitte noch immer Explosionen stattfanden, sahen sich die englischen Generale veranlaßt, einen Postencordon längs der ganzen Fronte aufzustellen. Bevor -dies jedoch der Fall war, hatten Zuaven- und Matrosenhaufen schon ihren Weg in die Stadt gefunden, kamen mit Beute aller Art beladen zurück und fügten sich eben nicht am willigsten, wenn die Posten Miene machten, ihnen diese abzunehmen. Die englischen Piquets hat ten übrigens nur die Weisung, den Plünderungen von britti- scher Seite zu wehren; den Franzosen, Sardiniern und Türken dursten sie nichts in den Weg legen, und damit war muthmaß- lichen Zänkereien vorgebeugt. Das Einvernehmen der verschie denen Truppenkörper wurde Dank dieser Vorsicht auch nach der Einnahme von Sebastopol nicht im mindesten gestört. Als am 9. September Morgens die Reste der französischen Regimenter, welche den kleinen Redan und die linke Seite des Malakoff ge- siürpit hatten, zurückkamen, mußten sie vor der auf dem Pa radeplatz aufgestellten 2. englischen Division vorbeimarschiren. Sowie die erste Linie dieser Braven anrückte, brachte sie den englischen Waffcngcnossen ein donnerndes Hurrah, das von den Engländern freudig erwidert wurde. Die Offiziere salutirten ein ander, die Engländer präsentirten das Gewehr — es war der erste Bewillkommnungsgruß nach der Hitze des vorigen Tages. Die Rus sen standen den Tag über dichtgedrängt auf den jenseitigen Höhen und beobachteten mit sichtbarem Interesse die Fortschritte des Bran des. Allmälig kamen Generale und Stabs officiere der eng lischen und französischen Armee geritten, um der Stadt einen Besuch zu machen. Aber das Fort Nikolaus war noch ein Flammenmeer, Fort Paul war noch immer nicht explodirt, und die Ingenieure erklärten, vor 48 Stunden ließe sich die Stadt nicht mit Sicherheit betreten. Mir (dem Correspondenten) mit noch einigen Andern gelang es indessen, die ausgestellten Posten zu umgehen und zwischen dem Mamelon und Malakow in's Freie zu gelangen. Der Weg war mit beutebeladenen Fran zosen und Trupps russischer Gefangener bedeckt. -Auch Todte, Sterbende und Verwundete, die aus dem Malakoff in die La gerhospitäler geschafft wurden, gab es an dieser Stelle in Mas sen. Wir drängten uns mitten durch dieses Gewühl bis zum Kopf der französischen Sappe, und uns gegenüber lag der furcht bare Malakoff. Ruhig glänzte auf seiner höchsten Spitze die französische Tricolore, und neben derselben war man bereits mit der Anlegung eines Telegraphen beschäftigt. Noch ein Schritt vorsichtig gethan, um die herumliegenden Verwundeten nicht zu verletzen, und die Sappe ist in unserm Rücken. Zu unsern Füßen dehnt sich ein 20 — 22 Fuß breiter, etwa 10 Fuß tiefer Graben aus. Das ist der Fleck, wo ihn die Franzosen überschritten. Sie thaten es vermittelst Planken, die zweckmä ßiger als Lettern sind; sie hatten übrigens blos 10, die Eng länder dagegen 200 Aards bis zum feindlichen Graben zu durch laufen. Da liegen noch die Schanzkörbe, die Len Franzosen halfen, eine fliegende Sappe zu construiren, die eS ihnen mög lich machte, ihre Verstärkungen ohne Unterbrechung nachzusen den, und weiter vorn stößt man auf ein« Erdfurche, die erste Arbeit der französischen Ingenieure, um etwaige Drahte, die zu Pulverminen führen könnten, aufzufinden und durchzuschnei- den. Wir steigen auf das Parapet hinauf und auf dessen an derer Seite wieder hinab. Da stehen acht Reihen Schanzkörbe, eine auf die andere gethürmt, und jede Reihe bildet im Zurück weichen eine vortreffliche Banqnete für die Vertheidiger. Im Innern aber ist es schauerlich. Die Franzosen schaffen ihre Verwundeten fort, und fünf Leichenhäufen liegen aufgeschichtet zur Seite, um die Passage für die Lebenden frei zu halten. Blutlachen bedecken den Boden, und schon jetzt ist der Gestank unerträglich. Garstige Fliegenschwärme umsummen Todte und Verwesende; zerbrochene Flinten, zerfetzte Czakots, Patronen taschen und Tornister, zertrümmerte Feldflaschen liegen t» wü sten Haufen mit Patronen, Granaten und Bombenstücken ge mischt umher. Die Traversen find so hoch, daß sich der Ma lakoff von keinem Punkt auS ganz übersehen läßt; in seiner Mitte aber steht noch ein ruinenartig auSsthender Erdhügel, vielleicht die Decke eines bombenfesten Gewölbe«, vielleicht der Rest des ursprünglichen, längst verschwundenen Malakoffthurms. Die Geschütze, die hier gefunden wurden — 60 an der Zahl —