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Freiberger Anzeiger und G Tageblatt. Erscheint jeden Wochentag früh 9 Uhr. Preis vierteljährlich 15 Ngr. — Inserate werden an den Wochentagen nur bis Nachmittag- 3 Uhrj für die nächsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. 216. Sonnabend, de» Oesterreichs Concordat mit Rom. Oesterreich hat neuerdings mit Rom ein Concordat abge schloffen, wodurch der römischen Geistlichkeit noch ausgedehntere Rechte für ihre Wirksamkeit im österreichischen Kaiserstaate ge geben werden. Rom verspricht dagegen, für die Zwecke des Staates thälig zu sein. Der wahrhaft religiöse Mann kann sein Auge unmöglich daran weiden, wHNn er die Religion, das Erhabenste und Heiligste in des Menschen Brust, solche Ver träge cingehen sieht. Diese Seite der Frage wollen wir aber wohlweislich ganz unerörtert lassen. Viele auswärtige Blätter enthalten darüber Andeutungen, welche die Vorstellung erwecken sollen, das Wiener Cabinet habe beim Abschluß des ConcorLals einen Act auswärtiger Po litik geübt, es habe eine Demonstration machen wollen ge gen die kirchlichen Reformen in Sardinien und die dort begon nene Aufklärung, gegen die antikirchlichen Maßregeln des revo lutionären Spanien; man habe mit jenem Concordat in Wien Front machen wollen gegen diejenigen Regierungen in Mittel europa, welche jetzt noch Einsicht und Muth genug haben, den Anmaßungen und Eroberungsbestrebungen der römischen Curie entgegen zu treten. Wir zweifeln gar nicht daran, daß man in Rom sich des abgeschlossenen Concordats in einem so aus gedehnten und mächtigen Staate, wie Oesterreich ist, sehr freuen, und daß man dem „abgefallenen" Sardinien und dem „heid nischen" Spanien die treuen Kinder der Kirche in Oesterreich als Muster aufstellen wird; allein von dem Standpunkte des Wiener Cabinets aus hat sicher das abgeschlossene Concordat keinen demonstrativen Charakter; man hat jenes Bündniß mit Rom nicht deshalb zu Stande gebracht, um Sardinien, Spa nien und einigen deutschen Ländern eine Lehre und einen Ver weis zu geben: das Concordat ist vielmehr die nothwendige Folge der innern Politik Oesterreichs, wie sie seit jener Zeit zu Tage getreten ist, seitdem Oesterreich die losen Theile seines weiten Gebiets zu einem Gesammtstaate centralisirt hat. Oester reich ist jetzt bestrebt, Einheit in seine verschiedenen Provinzen zu bringen und die Fäden der Leitung des Ganzen in die'Hof burg nach Wien zu verlegen. Eben so soll nun auch durch die Religion Einheit in den großen Staatskörper gebracht werden. In früher» Zeiten waren die verschiedenen Provinzen des Habs- burgischen Kaisersiaates nur lose verbunden; die einzelnen Theile desselben hatte ihre besondern Verfassungen und strebten nicht LS. September 1855. zur Vereinigung und Einheit, sondern lebten ihr Sonderleberr und strebten nach größerer Unabhängigkeit von Wien. Oester* reich war aus den Erschütterungen des 17. Jahrhunderts unö aus den Kämpfen, welche die ersten Decennien des nächstfolgen» den bezeichneten, in einer Gestalt hervorgegangen, welche dieseS locker verbundene Reich von allen andern europäischen Staate» wesentlich unterschied. Ueberall begegnete es großen geschloffene« Nationalkorpern, deren Kräfte von einer mächtigen StgMsge- walt geleitet wurden,^- so in Frankreich, in Spanst^ in Großbritannien und bald darauf in Rußland und Preußen. In Oesterreich blieb ein loser Verband der verschiedensten Nä- tionalitäten, von denen wenige durch StammeSgefuhl zu dem Herrscherhaus« sich hingezogen flhlten. Eine Provinz haßte die andere recht von Herzen. Ein einheitlicher Staatswille epistirt« nicht; anstatt eines höhern Lebensprincips des staatlichen Or ganismus gab es nur die thatsächliche Macht deS Kaiserhauses und die Interessen des Adels und der Kirche, welche daS Ganze. lose zusammen hielten. Daher befand sich die Regierung fort während in großer Abhängigkeit vom Adel und der Kirche. Hatte sie diese beiden Mächte gegen sich, so sah sie sich einer drohenden Krisis gegenüber; denn auf die Nation konnte fie sich nicht stützen, weil Liese nicht existirte; ihre einzige Stütze waren dann die Truppen. Dieser Umstand brachte die Regie rung gegen das Ausland fortwährend in die nachtheiligste Stellung. Während alle andern Staaten durch die Gleichheit der Sprache, der Bildung, des Rechts, der Verwaltung in dem steten Gefühle der Einheit und Gemeinsamkeit lebten, konnte Oesterreich nur durch den äußeren Cement der Waffen zusam mengehalten werden. Nur in einem Punkte besaß der öster reichische Kaiserstaat ein gemeinsames Band, in der Religion. Aus dem dreißigjährigen Kriege gingen die deutschen Ervlande völlig katholisch gemacht hervor, und das weite vielgestaltige Reich feierte wenigstens die Messe in derselben Sprache. Die ses Band der Einheit suchten die österreichischen Heerscher mög lichst vortheilhaft zu verwerthen. Während sie dem Adel und den Nationalitäten immer mehr von ihrer Selbstständigkeit ad- zureißen suchten, fesselten sie die G eist lichkeit durch freigebige Zugeständnisse, weil diese dem Staate außerordentlich nützen und für Las Herrscherhaus wirken konnte. Man schützte Larum Lie Geistlichkeit in ihren weltlichen Besitzungen, in ihren Pri vilegien, in ihrem Einflüsse auf die Schulen der Jugend, aus die Häuser der Erwachsenen, um es nur ja nicht mit diesem.