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1220 die Westmachte allem nie erreichen; erst mit Oesterreichs Hilfe wäre es erreichbar. Für jetzt also ist ein Uebergewicht der West- mächte in Europa noch nicht vorhanden und davon etwas für Deutschland nicht zu fürchten, angenommen, diese vermeintliche Uebermacht wolle sich auf dieses werfen und ihm die Rheingrenze abringen. Denn abgesehen davon, daß der bisherige Riesenkampf Frankreich an Menschen und Geld gewaltig geschwächt hat, so würde das vereinigte Mittel- und Osteuropa immer noch stark genug sein, den Angriffen der Westmächte zu widerstehen. Wenn daher nicht die Menschlichkeit und die allgemeinen europäischen Interessen Deutschland bewegen, mit der Palme des Friedens zwischen die erbitterten Streiter zu treten, in dem zu fürchten den Uebergewicht des Westens liegt keine genügende Veranlas sung dazu. . (D. A. Z.) Berlin, 23. Sept. In hiesigen Kreisen will man nach Andeutungen, welche in Betreff des russischen Heeres in der Krim eingetroffen sein sollen, wissen, daß die Russen die Krim vorläufig räumen würden. Die russischen Truppen, welche in der Krim stehen, betragen etwa 140,000 Mann. Für diese die hinlänglichen Lebensmittel auf längere Zeit zu beschaffen, soll nicht für ausführbar erachtet werden, weshalb eine einstweilige Räumung der Krim aus strategischen Rücksichten fast geboten erscheine. Wir heben hervor, daß diesen Angaben Nachrichten zu Grunde liegen, die wohl zu beachten sein möchten. Aus al lem Diesem dürfte schon zu entnehmen sein, daß der Verlust, welchen Rußland durch den Fall Sebastopols erlitten hat, in Petersburg keineswegs so leicht genommen wird, wie Le Nord ihn darzustellen sich bemüht. Man scheint daselbst seine Hoff nung darauf zu setzen, daß die Heere der Verbündeten den rus sischen Truppen tiefer in das Reich folgen und alsdann eine Niederlage erleiden würden. In den russischen militärischen Kreisen soll die Ansicht vorherrschen, daß Härteres als der Fall Sebastopols Rußland nun nicht mehr treffen könne und das Kriegsglück sich bei weiter« Eindringen der verbündeten Trup pen zu Gunsten der russischen Waffen wenden dürfte. (D. A. Z.) Wien, 20. Sept. Sind die Enthüllungen wahr, welche der Wiener Correspondent des Constitutione! zu Tage gefördert, dann würde der Fall Sebastopols Gelegenheit zur Einigung Oesterreichs mit den Westmächten über die dritte Garantie ge ben, da, wie dort behauptet wird, „diese Frage einzig und allein von dem Kriege in der Krim abhinge". Durch die neuesten Begebenheiten, durch die Schlacht vom 16. August und durch 'die Eroberung Sebastopols ist das Uebergewicht Rußlands im Schwarzen Meere thatsächlich gebrochen, die Flotte, deren Nor malzahl bestimmt werden sollte, ist vernichtet. Es kann dem nach nicht mehr die Rede davon sein, ob diese Zahl nach der österreichischen oder nach der westmächtlichen Ansicht bestimmt werden soll. Soll, wie Oesterreich vorschlug, der Statusquo der Flotte alS Norm gelten, so dürfte Rußland in Zukunft gar keine Flotte im Schwarzen Meer mehr halten, denn es besitzt In diesem Augenblicke keine. Indessen ist es leicht vorauszu- sehen, daß der Czar, wie unglücklich er jetzt auch in der Krim ist, auf solche, seine Souverainetätsrechte beschränkenden Friedens bedingungen nicht eingehen wird. Was wird nun Oesterreich thun? Wird es, den Chancen „des Krieges in der Krim" Rechnung tragend, daS Schwert ergreifen, um Rußland zu zwingen, jene analoge Friedensbedingungen anzunehmen? Dies scheint eine consequente Folge jener Erklärung zu sein. Allein wenn wir die übrigen Forderungen Oesterreichs ins Auge fas sen, daß nämlich die Alliirten 500,000 oder wenigstens 300,000 Mann Hilfstruppen stellen sollen, damit der Krieg in Einem Jahre beendet würde, so scheint eine solche Zeit des Auftretens für Oesterreich noch nicht gekommen zu sein. Denn außer den Streitkräften im Schwarzen Meere und in der Ostsee noch 300,000 Franzosen durch Oesterreich nach Rußland zu senden, dürste eine schwer zu lösende Aufgabe sein. Auch kann Rußland nicht durch Uebermacht mit Einem Schlage bezwungen werden. Das hat man 1812 erfahren. Dieses kolossale Reich kann nur nach und nach und mit Schonung der Streitkräfte unter "Berücksichtigung des Klima besiegt werden. Auch möchten wir wohl wissen, wie es möglich wäre, „trotz der theilweisen Entwaffnung der Oe sterreicher binnen 14 Tagen" den Kriegsplan, welchen diese da mals vorlegten, zu verwirklichen. Die aus Galizien und Sie benbürgen nach Böhmen und Steiermark zurückgezogenen und größtentheils demobilisirten Truppen können in diesem Jahre nicht mehr thätig agirend gegen Rußland auftreten. Dies wäre erst für den Feldzug von 1856 möglich. (D. A. Z.) Paris, 22. Sept. Man versichert uns, daß Pelissier in einer Depesche, die nicht veröffentlicht worden, von der Art und Weise spricht, .wie sich die Russen in ihren neuen Positionen befestigen, und von den Einleitungen, welche er selbst treffe, um sobald als möglich einen entscheidenden Schlag zu führen. Aus gemacht soll es sein, daß der französische Oberfeldherr, wie er sich seiner Zeit anheischig gemacht, Sebastopol zu nehmen, nun-' mehr dem Kaiser das förmliche Versprechen gegeben habe, bin nen einer gewissen Zeit, die wohl kaum über diesen Winter chinausgeht, die Russen aus der Krim zu werfen. Wir glau ben ein besonderes Gewicht auf diesen Umstand legen zu müs sen, weil er ohne Zweifel von großem Einfluß auf alle Frie densunterhandlungen sein und bleiben muß. Auf diese soll sehr eifrig von Petersburg aus hingearbeitet werden. Besonders wünschte man einen Waffenstillstand zu erzielen, und man er zählt sich von einer Unterredung, welche zwischen dem Fürsten Gortschakoff und dem Grafen Buol stattgefunden und in wel cher der russische Botschafter auf die Zweckmäßigkeit eines Waf fenstillstandsabschluffes hingewiesen haben soll, der dem Frieden, dessen Europa so sehr bedürfe, von Nutzen sein würde. „Sie wissen, Fürst", soll der österreichische Minister geantwortet ha ben, „daß man siegreiche Waffen nicht leicht, selbst auf kurze Zeit, aus der Hand legt". Nichtsdestoweniger soll Graf Buol an Hrn. v. Hübner eine Depesche geschickt haben, in welcher dieser beauftragt wird, die Stimmung des Hofs, bei dem er be glaubigt ist, nach dieser Richtung hin zu erforschen; allein der österreichische Botschafter hier soll sich, ohne irgendwie Schritte zu thun, in der Lage geglaubt haben, seiner Regierung aufs 4 Bestimmteste zu erklären, daß sich die Westmächte unter gar kei ner Bedingung auf einen länger» Waffenstillstand einlaffen werden, als hinreiche, die Todten auf den Schlachtfeldern zu begraben. Auch in Berlin soll der Vertreter Rußlands in die sem Sinne gewirkt haben; allein die preußische Regierung soll das Ansinnen aus dem Grunde zurückgewiesen haben, weil diese