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Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Erscheint jeden Wochentag früh 9 Uhr. Preis vierteljährlich 15 Ngr.«— Inserate werden an den Wochentagen nur bis Nachmittags Z Uhrj - für die nächsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. 210. Sonnabend, den 8. September 1855. Die Getreidepreisfrage. Die in letzter Zeit bedeutend und schnell gestiegenen Getrei depreise haben die so oft besprochene und erörterte Frage: Ob eine solche Steigerung künstlich hervorgerufen oder natürlich sei? auf's Neue in den banzerfüllten Gemüthern angeregt. Man hätte erwarten können, daß diese Frage als beseitigt angesehen weihen dürfte, namentlich, wenn man berücksichtigt, wie zur Aufklärung derselben die sachkundigsten Männer im Lande durch Wort und Schrift wirkten; aber wenn sie dennoch wieder auf taucht, so dürfen wir uns darüber nicht wundern. Wie tief schneidet gerade die Preissteigerung der Körnerfrüchte in jede Haushaltung ein, wie macht sich dieselbe in geometrischer Pro gression fühlbarer, je kleiner das Haushaltbudget ist, wie ent täusch! fühlen sich endlich die durch das Frühjahr mit frischen Hoffnungen angeschwelllen Herzen, wenn die Zeit der Garben anstatt der erwarteten billigeren theurere Preise bringt. Der denkende, aber nicht mit dem Handel vertraute Mann blickt in solchen Augenblicken auf die segensreiche Ernte seiner nächsten Umgebung, vergleicht damit die steigenden Preise auf dem Wo chenmarkt seines Wohnorts und hält dann mißtrauisch für künst liches Machwerk der Menschen, was Gottes Werk ist! Wie oft ist es der Welt gesagt worden, daß seit Einrichtung erleichterter und verwohlfeilter Transportmittel örtliche Theuerungen eines Artikels auf längere Zeit eine Unmöglichkeit geworden sind; wie oft ist es ausgesprochen worden, daß der Handel nichts ist, als der gewinnsuchende Ausgleich des Bedürfnisses, und wie oft ist nachgewiesen worden, daß Getreide der Artikel sei, welcher durch seine Massen sowohl, als durch seine breite Vertheilung in viele Hände gerade diejenige Waare sei, welche der großen ^erforderlichen Fonds, wie der verschiedenen Interessen und An- tfichten der Inhaber wegen die größten Hindernisse einer künst lichen Preissteigerung in sich enthalte. Dies ist aber Alles ^umsonst, die öffentliche Meinung ist nicht vollständig genug ^bekämpft, sie taucht als Opposition theils öffentlich, theils im ^Privatleben auf, und verurtheilt bald die Getreidemakler, bald kdie Regierungen, letztere wegen nicht vollständiger freier Ge- ? treideeinfuhr oder nicht verbotener Getreideausfuhr, als die Ur heber hoher Getreidepreise/ Was die Regierungen anlangt, so skann es nur rühmend anerkannt werden, daß von sämmtlichen z Zollvereinsstaaten sofort dtt^zollfreie Einfuhr von allen Sorten z Hülsenfrüchten angeordnet wurde, sowie der Scheffel Roggen (Dresdner Maß) auf 5 Thlr. stieg, und Laß selbst ausländische Nahrungsstoffe, wie Reis, eine längere zollfreie Einfuhr genos sen. Erst in neuerer Zeit ist die zollfreie Einfuhr von Getreide auf einen weitern Termin hinauszuschieben beabsichtigt worden. Was die Ausfuhr des Getreides anlangt, so haben sich gegen ein Verbot derselben alle Nationalöconomen mit Recht erklärt. Auch der Laie vom Handel ist darüber einig, daß Deutschland sein Getreide nicht, ohne einen Gegenwerth zu empfangen, an andere Nationen abgiebt, sei es an baarem Gelde oder an Pro dukten, deren es bedarf, und daß damit, da Getreide ein Bo denerzeugniß ist, ein großer Gewinn für das abgebende Land verbunden. Je größer die Abfuhr von Deutschland in diese« Artikel wäre, desto kleiner würden die Borräthe in diesem Lande und sich bei dadurch erfolgtem schwachen Angebot und starkem Begehr die Preise ansehnlich steigern. Steigert sich nun in diesem Augenblick nicht auch gleichzeitig der Preis der Hülsen früchte in jenem Lande, wohin zeither die Ausfuhr erfolgte, so giebt das deutsche Getreide jenem Lande keine Rechnung mehr und die Ausfuhr hört ohne alles Verbot auf. Der Gewinn, welcher durch solche Operation unmittelbar dem deutschen Land- wirth zufließt, kommt durch die steigende Consumtion desselben unbedingt den Gewerbtreibenden theilweise wieder zu Gute und wird die inzwischen etwas höher bezahlten Brotpreise ganz ge wiß wieder ersetzen. Wir wollen uns nur ganz einfach an die Lage, häusliche Einrichtung und Dürftigkeit des Landwirths vor 40 — 50 Jahren erinnern und diesem gegenüber die heutige Masse unserer gewerbtreibenden Bevölkerung in der Stadt, wie auf dem Lande stellen; es möchte übel aussehen, trotz der bil ligsten Brotpreise, wenn der Landwirth noch wie damals con- sumirte! Wie aber, wenn Deutschland schlechte Ernten macht, sonach der Zufuhr bedarf und andere mit reichen Ernten ge segnete Länder uns engherzig ihren Ueberfluß verschlössen? Oder wäre es nicht Thatsache, daß uns der Handel sofort Ge treide zuführt, wenn es Orte auf dem Erdenrund giebt, deren Getreidepreise mit Zuschlag der Transportkosten noch einen mä ßigen Gewinn auf unsern Märkten) iin Aussicht stellens Es kommen alle Nationalöconomen und alle Regierungsmänner der großen Wahrheit immer näher: daß nichts das Wohlsein der Völker mehr begünstigt, Äs ein Handel mit möglichst we nig Hindernissen. Mit ihrem Ausfuhrverbot von Eisen schienen die Herren Engländer kürzlich aus ihrer Freihandelsrolle ge- fallen zu sein, ihr eigenes Interesse mag sie aber schnell aus