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Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Erscheint jeden Wochentag früh 9 Uhr. Preis vierteljährlich 15 Ngr. — Inserate werden an den Wochentagen nur bis Nachmittags 3 Uhr, > für die nächsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. ' . . E «^^168. Sonnabend, den 2L. Juli - 1855. 7 Kriegsbctrachtung. Vergangene» 18. Juili wurde im englischen ^Parlamente der Roebucksche Commissionsbericht verlesen und damit die gänz liche Leichtfertigkeit und Untauglichkeit englischer Regierungs beamten in maßvollen Worten, aber schweren Thatsachen bloß gelegt. Es ist ein bedeutungsvolles Aktenstück, und in den Pro tokollen der Untersuchungscommission mag wohl das endgültige Urtheil über die abgelebte Aristokratie Englands, welche setzt das Ruder in den Händen hat, mit scharfen Beweisen verzeichnet stehen. Wir, die wir doch keine solche Einsicht in die innersten Verhältnisse thun können, wie jener Gerichtshof, vor dem selbst die höchsten Männer des stolzen Englands sich verantworten mußten, wir kommen zu gleichem Resultate, wenn wir einen Blick auf die Ergebnisse werfen, welche die vereinten Anstren gungen der Verbündeten bis Dato erzielt haben. Es find un gefähr neun Monate, daß die Westmächte in der Krim operiren. Was sind die Früchte, welche gezeitigt, waS die Erfolge, welche erzielt worden sind? Wirft man einen Gesammtblick auf den bisherigen Gang der Belagerung von Sebastopol, so stellt sich für die Belagerer das demüthigkdde Resultat heraus, daß fle bis jetzt nur Werke erobert und zum Schweigen gebracht haben, welche erst seit Beginn der Belagerung neu entstanden, be ziehendlich den ursprünglichen Werken v orgelegt worden sind. Die Belagerer sind daher seit neun Monaten in der Hauptsache dem Ziele um keinen Schritt näher gekommen. Wer übrigens mit Aufmerksamkeit diesen Anstrengungen der Verbündeten ge folgt ist, dem wird auch klar sein, wie schnell von einem Plane zum andern übergesprungen worden ist, wie man jetzt über die Tschernaja rücken, dann den Malachoffthurm bestürmen, dann die Feste vollends einzuschließen versuchen, dann wieder eine re gelrechte Belagerung einleiten und innehalten, endlich einen all gemeinen Sturm unternehmen will und jetzt eben wieder an einer neuen Parallele arbeitet. Wie gesagt, dieses Uebcrsprin- gen von einem Plane zum andern, dieser Wechsel der verschie denen Angriffsarten giebt nur zu deutlich Kenntniß von einer gewissen Rathlosigkeit, die jener fürchterlichen Festung gegenüber bisher unter den Anführern der Alliirlen geherrscht haben muß. Diese Experimente, den richtigen Weg zu finden, sind nun lei der mit einer furchtbaren Zahl von Menschenopfern verbunden gewesen, und wie im Allgemeinen dieses Experimentiren selbst ohne ersprießlichen Nutzen, so auch diese Menschenschlächterei ohne Erfolge. Es sind dies Wahrheiten, die auch in Frankreich mehr und mehr Geltung bekommen und welche in dein berühmt gewordenen Buche, das aus hoher Hand niedergeschrieben sein soll, mit beißender Schärfe festgestellt worden sind. ' Die Franzosen jedoch wußten noch am ersten, was eS heißt, in fremdem, fernem Lande einen Krieg zu führen; sie waren zu diesem Zwecke gut gerüstet; nur die Engländer, die sich immer rühmten, keine solchen großen stehenden Heere zu gebrauchen, waren für alle Bewegungen und Unternehmungen der Franzo sen Anfangs ein kaum zu überwindender Hemmschuh. Lord Aberdeen, der englische damalige Premier, der früher im Orient gewesen, hielt diesen Krieg für einen Handstreich, Sebastopol zu nehmen für «ine Kleinigkeit., Ihm war es, abgesehen von dem versprochenen Erfolge für die englische Handelspolitik, recht lieb, daß durch diese Extravaganz die Aufmerksamkeit nach Außen gelenkt und so von den in England selbst sich immer stärker regenden Reform-Bewegungen weggewendet wurde. Die eng lischen Lieutenants mit ihren gekauften OfficierSpatenten hieltm die ganze Sache für eine Promenade, auf einige Wochen be rechnet, und schmeichelten sich, schon zum Winter wieder am Kamine beim Thee den Lady's erzählen zu können, wie sie den „Coloß auf thönernen Füßen" so leicht umgeworfen hätten. Die Engländer haben am Meisten die ganze Unternehmung unterschätzt; sie waren am schlechtesten eingerichtet, wurden am Schlechtesten verpflegt, die traurigsten Zopf- und Rangstreitig keiten herrschten unter ihnen — sie. haben verhältnißmäßig die derbste Lektion erhalten. Jetzt will das vornehme England sich herablassen, deutsche blondhaarige Bummler durch Geld zu kau fen; daneben droht es immer mit Aufständen in Polen, Un garn und Italien; die englische Regierung selbst-steht zudem auf thönernen Füßen. Mit einer Gemeinheit und Bitterkeit, wie selbst deutsche Zeitungen der Sturmperiode nicht thaten, werden einzelne englische Minister angegriffen: ein Mißtrauens votum nach dem andern vor das Parlament gebracht; Lord Palmerston selbst verliert mehr und mehr an Ansehen, und nur seine glänzenden Rednertalente halten ihn noch über den stür mischen Wogen der englischen Parlamentsdebatten. Man merkt durch die Roebuckschen Commissionsberichte, durch die schlechte«. Erfolge der großartigen Schiffsunternehmungen, durch dir drückenden Abgaben, durch die ungeheuren Verluste, daß Viel faul sein müsse im alten England. Einen Krieg „der Cipili» sation gegen die Barbarei" wollte man führen, die edelstek