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Freiberger Anzeiger Tageblatt. Erscheint jeden Wochentag früh 9 Uhr. Preis vierteljährlich 15 Ngr. — Inserate werden an den Wochentagen nur bis Nachmittags 3 Uhr für die nächsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. 17XL SM 1855. Freitag, den 3. August Bilder vom Hunger. Von einem Arzt. H. Die Wunden, welche Lie Hungersnolh dem Unglücklichen, Von Anbeginn mit eisernem Fuße zu Boden getretenen Irland auf's Neue geschlagen hat, werden noch lange nachbluten. In der Parlamentssitzung vom 18. März 1847 gab ein Geistlicher aus Belfast in seiner Rede die Anzahl der bis dahin in Irland vor Hunger gestorbenen Personen, unter Berufung auf einen Polizeibericht, auf 50,000, Lord Bentink aber auf 240,000 und Herr d'Jsraeli noch viel höher an. Herr Latouche aus Dublin behauptete in derselben Parlamentsversammlung, daß fort und fort in Irland, nach einer mäßigen Schätzung, 1,500,000 Men schen am Rande des Abgrunds ständen, in den sie der Hunger tod hinabzustürzen drohe. „ Soll der Noth in unserm unglück lichen Lande abgeholfen werden", sprach Daniel O'Connell (der, am 15. Mai desselben Jahres verschieden, bei diesen Berathun- gen leider zum letzten Male seine Stimme für Irland erhob), „so muß England sich zu einem Darlehn von 40 Millionen Pfund verstehen." Beeilte sich das reiche Schwesterland, der hungernden In sel zu Hülfe zu kommen? Keineswegs. England hat von je her wenig Sympathie für Irland gehegt. „Die Iren sind Freunde in Blut, Sprache und Religion!" sagte Lord Lindhurst im britischen Oberhause, und diese Worte enthalten den Grund satz, nach dem die brinsche Politik von Anbeginn gegen Irland verfuhr. „Geh' nach Connaught oder zur Hölle!" wurde das Losungswort der Engländer, als die Katholiken unter Crom well zu Paaren getrieben wurden, ganz Irland englisirt wer den sollte und die Katholiken als einen sogenannten Gnadenact die Erlaubniß erhielten, sich in die Provinz Connaught zurück zuziehen. „Geh' nach Connaught oder zur Hölle!" ... Auch diesmal dauerte es lange, ehe England sich zur Hülfe entschloß. Das reiche Schwesterland wies die verhungernde Insel auf die Repeal hin und forderte sie auf, für sich selbst'zu sorgen, da sie ja doch von England nichts wissen wollte. Als der Noth ruf in der schauerlichsten Weise stieg, konnten die einflußreich sten englischen Zeitungen behaupten, dies Geschrei sei eine Tak tik, mit Hungergeschichten Geld zu verdienen. Als die Men schen schon zu Hunderten verhungert waren, nannte die „Times" noch die Schwächen des irischen Volkscharakters die Ursache des Elends und sagte wörtlich: „ Die stumpfe Fühllosigkeit der Ir länder, selbst bei den gräßlichsten Scenen, die unmittelbar un ter ihren Augen vorgehen und denen manchmal mit der klein sten Anstrengung abgeholfen werden könnte, ist etwas ganz Beispielloses in der Geschichte civilifirter Nationen. Alles, was man von türkischem oder chinesischem Fanatismus, von Gleich gültigkeit gegen das Leben an den Ufern des Ganges oder der Brutalität seeräuberischer Stämme liest, sinkt auf nichts herab im Vergleich mit der irischen Gefühllosigkeit inmitten der schauer lichsten Auftritte. Leute sterben Hungers mit Geld in ihren Taschen, weil der Victualienhändler ein Paar Meilen weit wohnt und ihnen Niemand eine Mahlzeit holen will; ganze Familien liegen Tage lang unbegraben in volkreicher Nachbar schast, und wenn man sie endlich begräbt, legt man die Särge, wenn anders Särge vorhanden sind, nicht tiefer in die Erde, als man Kartoffeln steckt." Inzwischen wurden doch Volk und Regierung eines Bessern unterrichtet, und man traf nun in freigebigster Weise die ernst- lichsten Maßregeln, der Noth des Nachbarlandes abzuhelfen. Außer beträchtlichen Parlamentsverwilligungen behufs Unter stützung der irischen Armen wurden Subskriptionen eröffnet, Comitis gebildet, auf nützliche Privatarbeiten, Austrocknung von Sümpfen, Urbarmachung' wüsiliegender Ländereien u. s. w. beträchtliche Vorschüsse gemacht. Das Alleß aber reichte nicht aus, dem grenzenlosen Elend zu steuern, und man sah sich ge- nöthigt, eine neue Armenunterstützungsbill einzubringen, wonach den Grundbesitzern auch die Ernährung der außerhalb der Vlr-I menhäuser befindlichen Armen aufcrlegt werden sollte. Gegen diese directe Besteuerung des Grundeigenthums erhoben sich je doch in Masse die irischen Landlords des Parlaments, jene „Absenters", die, Irlands Geld im Auslande verzehrend, die Geißel und der Krebsschaden des armen Landes sind. Im Un terhause stellte Shaw ein Amendement auf Wegfall dieser Clau- sel, unterlag aber mit 36 gegen 242 Stimmen. Um so Hart näckiger war der Widerstand im Oberhause. Hier leitete der Marquis of Lansdowne das Gesetz mit den passenden Worten ein: „Schmerzlich, Mylords, berührt mich der Kontrast zwi schen der fürstlichen Pracht dieses Saales, in welchem ich zu Ihnen spreche, und jenem Abgrunde deS Elends, welches in Betracht zu ziehen unsere Aufgabe und unsere Pflicht ist. Ich wünsche nur, daß sie im Stande seien, von diesen glänzenden Höhen mit klarem und ungeblendetem Auge auf die Noth de^.