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Freiberger Anzeiger und Tageblatt. -X - Erscheint jeden Wochentag früh 9 Uhr. Preis vierteljährlich 15 Rgr. — Inserate werden an den Wochentage« nur b!S Nachmittag» 3 Uhr' für die nachsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennige« berechnet. 106. Mittwoch, den 8. Mai 1855. Ideen zur Erziehung des weiblichen Geschlechts für seine Bestimmung im gebildeten bürgerlichen Leben. Wenn es eine unleugbare, von der Erfahrung vielseitig bestätigte Thatsache ist, daß des Menschen moralischer Werth, seine reelle Geltung im Leben, sein wahres Glück und Seelen heil der Hauptsache nach abhängen von der Art und Weise, dem Grade.seiner Erziehung, von den Grundlinien, welche, in frühester Jugend in sein weiches, empfängliches Herz gezogen, maßgebend wurden für spätere Entwickelung seiner von Gott ihm gegebenen Seelenkräfte; wenn darum der Edle und Gute im beglückenden Gefühle errungener Vervollkommnung gerühr ten Herzens ein dankbares Andenken seinen Erziehern und Bild nern bewahrt und ihren Staub im Grabe noch segnet, während er schonend und mitleidsvoll auf so manche Verirrungen vieler seiner Mitmenschen hinblickt, welche, sich selbst überlassen und frühzeitig hinaus gestoßen ins wirre Leben, ohne eine sorgsam pflegende, regelnde und schirmende Hand mit allem Unkraut aufwuchsen, traurige Opfer listiger Anschläge und heimtückischer Verführung der Welt; wenn selbst des Verbrechers größere oder geringere Schuld auf der Wage weiser Gerechtigkeit nach den Verhältnissen und dem Maßstabe seiner Erziehung gewogen und abgeurtheilt wird: so kann es wohl nicht anders kommen, als daß, gleichwie eine gute Regierung die zweckmäßige Er ziehung der Bürger im Staate und für denselben zur Haupt aufgabe sich stellen wird, so besonders in den Augen aller ver nünftigen und gutgesinnten Eltern dass Erziehungswerk an ih ren Kindern als die erste unerläßlichste Pflicht erscheinen und darum ihr heilig ernstes Streben darauf gerichtet sein muß, sich eben so einfache und naturgemäße, als sichre und zweck mäßige Erziehungsgrundsätze als bleibende Richtschnur zu bil den. So ernst und redlich nun aber gewiß der Mehrzahl von Vätern und Müttern obiges Streben am Herzen liegen mag, so dürften wir Loch nicht verhehlen, wie selbiges hie und da nur entweder die einseitige Abrichtung für weltliche, gesellschaft liche Verhältnisse zum Zielpunkte findet, oder sich zuweilen selbst affectirt, an den wahren praktischen Momenten vorkeistreifend, in allzuweite theoretische Buchstabenweisheit verliert, ein Miß griff, der, ohne irgend verletzen zu wollen, auch von manchen Gouvernanten gemacht wird, welche aus abgelernten pädagogi schen Formeln Ihren Zöglingen ohne Unterschied des Geschlechts, wie der angeborenen Naturrichtung eine naturwidrige Zwangs jacke zuschneiden, in welcher den leider zu spät enttäuschten Ael» tern an Geist und Leib nur schiefe Gestalten heranwachsen. Pädagogik, oder Erziehungslehre, läßt sich nicht so, wie andere Wissenschaften aus Büchern erlernen, sondern das will aus den Ergebnissen der Erfahrung gewonnen sein, und wird immer im häuslichen Kreise am besten gehandhabt von der Hand einer, durch solide Bildung über Weltsinn und Modesucht er habenen, frommen Mutter, wie ja überhaupt Gott zur Prie sterin im Tempel der Erziehung seines Menschengeschlechts die Mutter verordnet hat. Wenn schon hierdurch die Erziehung des weiblichen Ge schlechts in ihrer höheren Bedeutung sichtbar hervortritt und darum auch eine höhere Würdigung beansprucht, als ihr meist zu Theil geworden ist, so muß der in vielen Kreisen immer noch festgewurzelte Jrrthum, zu Gunsten des hoffnungsvollen Knaben das Mädchen der Oberflächlichkeit leichthin überlassen zu dürfen, jedem vorurtheilsfreien Beobachter und gewissenhaf ten Sachkenner eine Mahnung werden, ohne Rückhalt seine gewonnenen Ansichten auszusprechen und, ohne maßgebend wer den zu wollen, mehr als Anregung nur zu weiterem Bedenken wohlgemeint an das mütterliche Herz besonders zu legen. In dieser Fassung erlauben wir uns, auf Grundlage eines vor Jahren gehaltenen mündlichen Vortrags, überarbeitet und er weitert einige Ideen zur Erziehung des weiblichen Geschlechts in diesem Localblatte, so weit es sein Raum gestattet, folgen zu lassen und zwar in fünf Abschnitten: 1) Bestimmung des weib lichen Geschlechts, 2) Erziehung desselben im Hause vor der Schulzeit, 3) Erziehung in der Schule, 4) nothwendige Har monie des Hauses mit der Schule und 5) fortgestellte Erziehung nach Entlassung aus derselben. I. Bestimmung de; weiblichen Geschlecht;. ,.Kraft erwart' ich vom Mann, Le» Gesetzes Wtzrde behaupt'er; Aber durch Anmuth allein herrschet und herrsche das Weib.'" SchMer. Dem Menschen, ohne Unterschied des Geschlechts, sei er Mann oder Weib, ist vorgestellt eine doppelte Berufung, eine irdische und eine himmlische. Nach der himmlischen geht das Weib mit dem Manne in gleicher Kraft, auf gleicher Straße, ost. dem Manne voran durch Religiosität und Tugend,, durch Verähnlichung mit Gott zur seligen Verklärung; nach der irdischen trennt es sich von ihm, wie in der äußeren Erschein