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102. Freitag den 4. Mai 1855. Erscheint jeden Wochentag früh 9 Uhr. Preis vierteljährlich 15 Ngr. — Inserate werden an den Wochentagen nur bi« Nachmittags 3 Uhr' für die nachsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennige» berechnet. Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Acr barmheyigt Samariter/) Wenn die Jünger sich entzwei'», Welche Christi Namen tragen, Christi heilig Wort entweih» Durch Gezänk um spitze Fragen; Wenn sic meinen, christlich sei Sich, um Meinungen, zu fluchen Und dabei in Glcißncrei Christcnthum und Tugend suchen: Möge man cs uns verzeih», Wenn, beschämt zwar, wir uns frcun, Von dem Muselmann zu lesen, Der ein bcssrcr Christ gewesen. Neulich im gelobten Lande Zog im heißen Sonnenbrand Nach des Jordans Heilgem Strande Durch der Wüste dürren Sand Unter gleicher Rcisefahne Eine Christencarawane. Mitten unter den Gefährten Ritt ein Graf gar wohl verschn Gegen dieses Wegs Beschwerden; Und ein Greis in bangen Wehn Wankte, fern nicht mehr dem Grabe, Zitternd nach am Wanderstabe. Heißer brennen sich die Strahlen, Markverzehrend Herz und Bein, Mit des Durstes Höllenqualen In die matten Pilger ein; Auf dem Antlitz Fiebcrröthe Ziehn sie düster durch die Oede. Und ein armer Beduine, Von der Nachhut auf der Bahn, Gehl mit kummerschwercr Miene, Flehentlich den Grafen an, l Schüchtern, in verzagten Schritten ! Einen Trunk sich zu erbitten. Aber, barsch zurückgewiesen, ! Kehrt er mit ergebnem Blick !Wund im Herzen, wund an Füßen > Still an seinen Ort zurück, ^OHne zürnend zu vergelten Und den Grafen hart zu schelten. Sich! da sinkt dcr Alte nieder, In der Hitze dumpfem Schmerz Brechen seine morschen Glieder Und Verzweiflung faßt sein Herz: Wimmernd müht er sich, den schlaffen Leichnam wieder aufzuraffcn. Schweigend, ohne anzuhallen, Ziehl die ganze Christcnschaar Theiluahmlos vorbei Lem Alten; Mag dcr Greis im Silbcrhaar In der Wüste traurig enden — Keiner will sich zu ihm wenden! Nur der arme Beduine Kann den Jammer nicht ersehn, Mit des Mitleids sanfter Miene Bleibt gerührt er bei ihm stehn; Keinen Schritt weicht er von dannen Ob er möge sich ermannen. *) Die wahre Begebenheit, mitgetheiit vo« A. Ziegler in Leu Unter haltungen von Gutzkow, trug sich zu auf demselben Wege von Jerusalem nach Jericho, auf den uns die herrliche Erzählung Jesu vom barmherzigen Samariter versetzt. Luc. 10, 30. Und er nimmt ihn in die Arme, Stützt und trägt ihn wechselweis, Kämpfend mit dem eignen Harme Schleppt er den Halbtodten Greis Unter manchem Trostesworte Zn der Christen Lagerortc. Jubelnd wird er hier empfangen; Reich belohnend will der Graf Jetzt zur vollen Börse langen, War das edel nicht und brav? Wohl! doch magdasHerz entscheiden, Wer derChrist war von LenBeiden. Krmaull Jarth. Tagesgeschichte. Wien, 30. April. Gestern und heute erhielt der kais. französische Gesandte Baron v. Bourqueney zahlreiche Besuche vom diplomatischen Corps und dem hohen Adel, deren Zweck Beglückwünschung aus Anlaß des mißlungenen Attentats auf Kaiser Napoleon gewesen. Am 2. Mai wird um 11 Uhr Vor mittags ein feierliches Dankamt für die Lebensrettung des französischen Kaisers in der französischen Kirche (zu St. Anna) abgehalten und nach dessen Beendigung ein De veum gesungen» Paris, 28. April. Ein Correspondent der „Nat. Z." schreibt über das Attentat auf den Kaiser: Nach einer Version ist der Thater ein der Belagerung von Rom entronnener Maz- zinist, Liverank mit Namen, gegen 25 Jahre alt, klein von Statur, mit einem piemontesischen Passe aus London herüber gekommen. Er bewohnte seit einer Woche ein auf dem Bou levard Pigale außerhalb der Stadt gelegenes möblirtes Haus, Hotel de Rome genannt) dessen Eigenthümer, Pförtner u. s. w. sofort vernommen worden find. Liverani wurde bis gestern Abend 10 Uhr vom Polizeipräfecten Pietri, dem Untersuchungs richter re. befragt, weigerte aber hartnäckig jegliche Antwort. — Aus guten Quellen vernimmt man noch folgende Version über den Verlauf des Attentats: Liverani ging dem vorbeirei- tendem Kaiser bis auf circa 4 Schritt entgegen, als hätte er ihm etwas zu überreichen. Dieser beugte sich in der That eia wenig vorwärts, und nun fiel der erste Schuß, den der Mör der mit ausgestrecktem Arme abfeuerte, und rasch darauf auch der zweite, wobei - der Mörder jedoch das Pistol, wie zum fe- stern Zielen, quer über seinen vorgehaltenen linken Arm legte. Es scheint, daß er noch einen dritten Schuß abfeuern wollte, woran ihn jedoch das Herzuspringen verschiedener Personen hinderte. Ein Privatmann, der dem Kaiser gewöhnlich in eini ger Entfernung in offener Kalesche zu folgen Pflegt, seinen.