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Freiberger Anzeiger und Tageblatt. Erscheint jeden Wochentag früh S Uhr. Preis vierteljährlich IS Rgr. — Inserate werden an den Wochentagen nur bi« Nachmittag« 3 Uhr' für Lie vachsterschetnende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. 94. Mittwoch, den 28. April 1855. - Die Coca. Es ist eine beachtenswerthe Erscheinung, daß fast jede Nation, so versteckt sie auch wohne, irgend ein Mittel sich zu bereiten weiß, durch welches sie sich zu betäuben, die Schmerzen zu stillen und die Sorgen zu verscheuchen sucht. Sibirien hat seinen Giftschwamm, die alte wie die neue Welt ihren Tabak, die Türkei, Indien und China haben ihr Opium, anderwärts bedient man sich der Betelnuß und des Detelpfeffers, des Stech apfels, des Hirsen, der Deutsche und der Engländer nehmen zu diesem Zwecke den Hopfen re. Weniger bekannt und doch so interessant ist in dieser Hinsicht die Coca, der man in Peru und Bolivia als Narcoticum huldigt. Coca heißt so viel als Pflanze. Es gedeiht nämlich in Südamerika und zwar namentlich in den warmen Thälern der Anden, ein Gewächs, das 6—8 Fuß hoch wird und diesen Namen führt. Es gleicht mit seinen kleinen weißen Blüthen und hellgrünen Blättern unserm Schwarzdorn. Man zieht es in Saamenbeeten und versetzt es alsdann in regelmäßig ange legte Pflanzungen, die an steilen Bergabhängen, oft 8000 Fuß über der Meeresfläche, ähnlich unsern Weinbergen voll Ueppig- keit prangen. Die Provinz Uongas im östlichen Bolivia ist der hauptsächlichste Sitz solcher Pflanzungen. Nachdem der junge Schößling circa 3 Jahre lang sorglich gepflegt wor den ist, wird er erst so recht nutzbar und man kommt jährlich 3 bis 4 Mal, um seine Blätter abzustreifen. Dieselben ähneln den Blättern des Kirschbaumes in Rücksicht auf Gestalt und Größe, und werden von den Weibern und Kindern eingesammelt. Daß die Zeit des Einerntens derselben eingetreten sei, erkennt man daran, daß sie beim Biegen zerbrechen. Nach dem Sammeln breitet man sie aus, um sie an der Sonne zu trocknen. Ein Morgen Land giebt durchschnittlich ungefähr 800 Pfd. solcher, getrockneter Blätter. Wenn sie fast trocken sind, so verbreiten sie einen Geruch gleich dem des frischen Heues, der dem, der desselben nicht gewöhnt ist, Kopfschmerzen bereiten kann. Diese getrockneten Blätter, die jetzt blaßgelb aussehen, schmecken nicht gerade unangenehm, sind aber schwach bitter und dem Geschmack des grünen Thees geringerer Sorte vergleichbar. Die Einge- i bornen jener Gegenden nehmen dieselben und kauen sie. Um ! sich diesen Genuß zu erhöhen, wird ein wenig ungelöschter Kalk ! ihnen beigemischt. !. Als die Spanier Peru sich unterwarfen, fanden sie Pflan zungen dieses Krautes in Menge vor und bemerkten zu ihrer nicht geringen Verwunderung, daß die Indianer gierig darnach griffen, um sie zu kauen, ja daß sie dieser Blätter sich sogar als eines Tauschmittels, anstatt der Münze, bedienten. Hat Letzteres nun auch aufgehört, seitdem ebenfalls Gold- und Silbermünzsn im Gebrauche sind, so kann man sich doch noch jeden Tag überzeugen, daß der Indianer nie ausgeht, ohne seinen Beutel voll Cocablätter und eine Kürbisflasche mit un gelöschtem Kalke bei sich zu führen. Will er sich einem Lieb- lingsgenusse hingeben, so setzt er sich nieder und macht sichS möglichst bequem. Nur bei möglichster Ruhe soll das Wohl behagen daran vollständig sein. Giebt der Blätterpfropf keinen Saft mehr ab, so wird er durch einen neuen ersetzt. Man schickt sich 3 bis 4 Mal des Tages zu solchem Thun an und verbraucht 2 bis 3 Loth Cocablätter binnen 24 Stunden. Jeder Bergwerks- und Plantagenbesitzer bewilligt seinem Arbei ter Muse zu diesem Geschäft. Während solchen Genusses ist der Indianer wie abgestorben für die Außenwelt. Und wenn ein Gewittersturm des Wassers die Menge herabschüttete, wilde Thiere brüllend sich näherten, oder ein Grasbrand rauchend herandränge — er rührt sich nicht! sobald sonst nur irgend eine Musestunde sich findet, so läßt man sich nieder und kaut Coca. So lange dieser Genuß andauert, zeigt der Indianer sich sicht lich vergnügt und aufgeheitert, während er außerdem schweigend seinen Gedanken nachzuhängen pflegt. Selbst viele Europäer, die sich in jenen Landstrichen an siedelten, haben sich dem Kaum der Cocablätter hingegeben und es soll nach und nach das Verlangen darnach zu solcher Stärke sich steigern, daß es fast unwiderstehlich sei. So lange der Genießende das Maaß nicht überschreitet, so ist das Hin geben an diese Gewohnheit ganz unbedenklich. DaSUebermaaß jedoch bringt nicht nur den Lippen, dem Zahnfleische und den Zähnen Nachtheil, sondern erzeugt auch einen übelriechende» Athem und ziehet unvermeidlich einen frühen Tod nach sich und das ganze Aeußere kennzeichnet einen solchen Sklaven seiner Gelüste. Wird aber das rechte Maaß gehalten, so sind zwei segensvolle Wirkungen der Coca unbestreitbar: 1) das Kauen dieser Blätter vermindert das Verlangen, ja das Bedürfniß nach gewöhnlicher Nahrung, 2) nachdem sie gekaut wordm find, fühlt der Körper eine größere Energie, und wenn sie mit ein wenig Speise genossen werden, so wird der Mensch vermögend anstrengendere Arbeiten zu übernehmen. Die Indianer z. B.