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Sonnabend, den 3. Februar 1855 In einem ähnlichen Falle würde die ältere Finanzkunst Ich am allermeisten gescheut haben von dem hergebrachten Wege bzuweichen und anstatt einer vorsichtigen Verhandlung mit den großen Bankhäusern über den Preis der zu borgenden Geld- »ittel oder anstatt einer Aufforderung zur Einreichung versie gelter Anerbietungen das Geschäft an die große Glocke zu hän gen, selbst den Preis zu bestimmen und nun Jedermann aus >em Volke zur Betheiligung einzuladen. Die ältere Finanz- unst hielt die Vermittelung der Banquiers für unentbehrlich, veil sie von der Voraussetzung ausging, daß in ihnen und in Sen durch sie vertretenen großen Kapitalisten sich der bei weitem größere Theil der Geldkraft eoncentrire. Wenn nicht von ihnen, so war, wie man von vorn herein annahm, das benölhigte Geld Erschein!'jeden Wochentag früh 9 Uhr. Preis vierteljährlich 15 Ngr. — Znserate werden an den Wochentagen nur bi« Nachmittag« Z Uhr für die nächsterscheinende Nummer angenommen und die gespaltene Zeile mit 5 Pfennigen berechnet. überhaupt gar nicht zu beschaffen. Wo es galt Hunderte von Millionen flüssig zu machen, da mußten, meinte man, noth wendig die Millionäre in Bewegung gesetzt werden. Und die Millionäre ihrerseits theilten diese Ansicht von ihrer Unentbehr lichkeit vollständig. Sie betrachteten Staatsanleihen als eia ihnen zur ersten Ausbeutung ausschließlich angewiesenes Feld. Sie fühlten sich ganz sicher in ihrem Monopol und zwangen die Regierung zur Annahme derjenigen Bedingungen und For men, welche ihnen die angenehmsten waren. Sträubte der Finanzminister sich, machte er Miene andere Quellen sich zu eröffnen, sich von der Routine ein wenig zu emancipiren, so drohte die Eoalition der Börsenbarone mit ihrer Ungnade, mit gänzlicher Fernhaltung von der Anleihe, und der erschreckt« Vertreter des Staats wagte selten es zu einem ernsthaften Bruche kommen zu lassen. Die Erfolge, welche die großen Geldmänner über Geldknappe Regierungen errungen haben, lassen A nW' blos durch die gewährten hohen Zinsen, und die medrigen Course, sondern auch aus andern erlangten Bortheilen erkenn««^ der Staat, als Inhaber werthv oller Concessionsbefugniffe, hatte andere Mittel, um die ihm geleisteten Dienste zu bezahlen. Eine Hand wäscht die andere, und so sehen wir seit den Tagen Wil helms des Dritten von England, des Erfinders der modernen Staatsschulden, meistentheiks, daß die Gläubiger der Regierun gen in den Besitz gewinnbringender Gesellschastsrechte und Pri vilegien gelangen, die zum Theil noch heutzutage auf Koste« des Gesammtwohls bestehen. Fast alle heutigen Staats- und Nationalbanken sind Früchte solcher gegenseitiger Gefälligkeit. Das Privilegium der Bank von England z. B. ist durch eine Summe von 10 Millionen Pfund, — nach heutigen Begriffen eine wahre Kleinigkeit, — welche die Bank einmal dem Staate vorgeschoffen hat, erkauft worden. Das alte System beruhte auf einer irrigen Auffassung von Art und Wesen des Volksreichthums. Es ist daher zuerst durch die Fortschritte der Wissenschaft langsam aber gründlich unter graben worden. Die Erfahrung mußte dabei der Theorie zur Bundesgenoffin dienen. Daß die ungeheuren, durch die ver schiedenen Staatsschulden repräsentirten Summen nicht in de« Händen der ersten Darleiher bleiben, daß sie vielmehr von diese», bei der ersten Aussicht auf Gewinn, an andere kleinere Kapita listen vertheilt wurden und daß die Schuldscheine nach kurzem Verlaufe sich in zahllosen kleinen Partien tm-Besitze von Hun* derttausenden, kleinen Rentnern, Kaufleuten, Handwerkern, mil- Die neue Anleihe in Frankreich. Der Erfolg der neuen französischen Anleihe ist ein über- Mschend glänzender gewesen; die Zeichnungen haben den von Mr Regierung auf fünfhundert Millionen festgestellten Bedarf Dm mehr denn das Vierfache überschritten. Das Experiment Mr Subscriptions-Anleihen im größesten Maßstabe ist somit Nährend der kurzen Regierungszeit des Kaisers Napoleons des »ritten jetzt bereits zweimal vollständig gelungen, und nachdem In gleicher, ja noch großartigerer Versuch im österreichischen Mtaate ein nicht minder glückliches Resultat gehabt hat, kann Man diese neue Form der Geldaufnahme als recipirt in der Modernen Finanzpraxis betrachten. I Im Principe ist die Sache allerdings älter. In verschie denen Ländern haben hin und wieder die Regierungen ihren Augenblicklichen Geldverlegenheiten abgeholfen, indem sie Ren- Inverschreibungen zu einem von ihnen festgestellten Preise dem Publikum feil boten. So ist es noch vor wenigen Jahren in Preußen geschehen, wo unter dem Namen „freiwillige Anleihe" mehrere Millionen vom Staate durch eine solche Procedur auf- tenommen wurden. In zwei Punkten dagegen unterscheidet Ich die neue französisch-österreichische Methode wesentlich von ffen bezeichneten Fällen. Zuerst durch die Größe der Summen üm welche es sich handelt, und zweitens durch die Kühnheit, mit welcher man sich an den guten Willen der Nation gerade In einem Augenblicke wendet, welcher Angesichts einer drohenden legenwärtigen und einer völlig unübersehbaren zukünftigen Rriegsverwickelung für umfangreichere Geldgeschäfte nichts we niger als günstig erscheint. Freiberger Anzeiger und Tageblatt.