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Papier-Spinnerei Der Siegeszug der Papiergarne Unter dieser Ueberschrift schreibt die Berliner Webwaren-Zeit- Schrift „Der Konfektionär” in ihrer Nr. 91 vom 12. November 1916 unter anderm: Die fast völlige Unmöglichkeit, die für unsere Textilindustrie notwendigen Rohstoffe Wolle, Baumwolle, Jute und Flachs während des Krieges hereinzubekommen, hat dazu geführt, die Fabrikation von Ersatzstoffen, soweit sie im Inlande möglich ist, bedeutend zu vergrößern und auszudehnen. Derjenige Ersatzstoff, der in der letzten Zeit am meisten in den Vordergrund gerückt ist und sich offen bar auch überall glänzend bewährt, ist das Papiergarn. Schon im Frieden haben verschiedene Firmen die Fabrikation von Papiergarnen und Papiergeweben in großem Umfange betrieben und damit gute Erfolge erzielt, so die Firmen Claviez in Adorf, Ferd. Emil Jagenberg in Düsseldorf und Julius Glätz in Neidenfels in der Rheinpfalz. Früher aber brauchte man aus Papiergarnen hergestellte Artikel nur zu gewissen beschränkten Zwecken, so als Ersatz für Jutewaren (Säcke und dergl.). Im Kriege ist die Verwendungsmöglichkeit der Papiergarne und Papiergewebe ganz außerordentlich gestiegen. Man ist allmählich dazu übergegangen, alle möglichen Waren aus Papiergarnen herzustellen, so Bindfaden, Gardinenkordeln, Decken, Stoffe der verschiedensten Art zu Bekleidungszwecken. Die Fabrikation vervollkommnet sich immer mehr, man sieht bereits aus Papiergarn hergestellte Waren, die der Laie im ersten Augenblick von anderen Webwaren gar nicht zu unterscheiden in der Lage ist. Sehr viel Betriebe, die aus Mangel an Rohstoffen sich nach anderer Beschäftigung umsehen mußten, haben die Herstellung von Papier garnen oder Papiergeweben aufgenommen. In M.-Gladbach fabri zieren jetzt verschiedene große Baumwollspinnereien Papiergarne und erhalten darauf sehr beträchtliche Aufträge. Auch andere Firmen in den verschiedensten Textilorten haben sich jetzt der Fabrikation von Papiergarnen oder Papiergeweben zugewendet. So hat die Fabrik von Riedinger in Augsburg die Herstellung von Papiergarnen und -geweben aufgenommen. Neben den bestehenden Firmen werden zahlreiche neue in der Papiergarnindustrie gegründet. Die Berliner Firma Wilhelm Hartmann & Co., G. m. b. H., die mit der Papier union G. m. b. H., mit der Textilunion G. m. b. H. und Papiersack industrie G. m. b. H. in Berlin in engster Beziehung steht, ist an mehreren dieser Gründungen beteiligt. So sind in Berlin die Ver einigten Textilwerke G. m. b. H. mit einer Million Mark Kapital gegründet worden und in Düsseldorf die Westdeutsche Papierunion G. m. b. H., ebenfalls mit einem Kapital von einer Million Mark. An dieser Gründung ist auch die Papierfabrik Reisholz in Düsseldorf beteiligt. In den letzten Tagen sind ferner folgende Neugründungen inder, Papierindustrie erfolgt: Bayerische Papierspinner G. m. b. H., Erlangen. Am 8. November 1916 ist in Berlin die Bayerische Papierspinner G. m. b. H. mit einem Kapital von 100 000 M. und dem Sitz in Er langen gegründet worden. Zweck der Gesellschaft ist in derHauptsache die Herstellung von Papiergarnen. Zu den Gründern gehören bay erische Spinnereien unter Führung der Baumwollspinnerei Erlangen und die Herren Wilhelm Hartmann und Joseph Blumenstein zu Berlin. Zum Geschäftsführer wurde Herr Direktor Albert Rupp aus Erlangen bestellt. Dem Aufsichtsrat gehören u. a. an: die Herren Dr. Erhard Büttner (Berlin), Geschäftsführer des Kriegsausschusses der Deut schen Baumwollindustrie, Vorsitzender; Bruno Herbst (Berlin), Geschäftsinhaber der Berliner Handels-Gesellschaft, und Joseph Blumenstein (Berlin). Süddeutsche Textilwerke, G. m. b. H. in Mannheiin. Unter dieser’ Firma wurde eine Gesellschaft in das Mannheimer Handelsregister eingetragen, deren Unternehmungsgegenstand ist: Die Herstellung, Anschaffung und der Vertrieb von Textil- und Zellulose-Gespinsten, Geweben, Säcken und sonstigen textilen oder ähnlichen Erzeugnissen. Das Stammkapital beträgt 100 000 M. Geschäftsführer der Gesellschaft ist Direktor Friedrich Ehrhardt in Mannheim, bekanntlich Vorstandsmitglied der Süddeutschen Juteindustrie in Mannheim. Unter der Firma Spinnpapierjabrik am Teufelsstein, Bernsbach b. Lauter i. Erzgebirge wird eine Aktiengesellschaft mit einem Kapital von 500 000 M. errichtet zu dem Zwecke, die in Bernsbach vorhandene Papierfabrik zu erwerben und umgehend in Betrieb zu setzen. (Die Angaben über neue Werke haben wir seinerzeit unter Ge schäftsnachrichten gebracht. Schriftleitung.) Torffaser-Kriegsausschuß. Um für die Streckung der Woll- Vorräte auch Torffasern heranziehen zu können, ist ein Torffaser- Kriegsausschuß gegründet worden. Seine Mitglieder werden von der KRA (Kriegsrohstoff-Abtcilung des Kriegsamtes) ernannt. Seine Aufgaben sind Ordnung und Beaufsichtigung der Torffaser-Sammlung, Aufbereitung der Torffasern bis zum Halbfabrikat, Bereitstellung der für die Verwertung erforderlichen Maschinen und Geräte. Papiergarn-Markt. Aus München-Gladbach wird unterm 29. De zember 1916 gemeldet: Die Papiergarn-Spinnereien gehen mit ausver kaufter Erzeugung für drei bis vier Monate in das neue Jahr bei starker Nachfrage für spätere Lieferungen. Wasserdichtmachen von Papiergarngeweben für Sandsackstoffe In unserer Nr. 96 von 1916 auf Seite 1922 hat die Farbenfabrik Leopold Cassella & Co., G. m. b. H. in Frankfurt a. M. verschiedene hierauf bezügliche Verfahren mitgeteilt und bemerkt, daß ein dort angegebenes Verfahren sich als bestes erwiesen hat. Inzwischen weiter vorgenommene Versuche haben ergeben, daß durch nach stehend angegebene Arbeitsweise die Zwischentrocknung fortfallen, also das Verfahren wesentlich vereinfacht werden kann. 1. Passage 50 0 C. Trockenes Gewebe mit 80 g Leim 1 % g Tannin 1 % g Wasserglas 37 0 Be auf den Liter behandeln, nicht trocknen. 2. Passage kalt. Mit, basischer ameisensaurer Tonerde 6° tränken, dann trocknen. Das Verfahren kann mit der gleichen Wirkung beliebig auch in umgekehrter Reihenfolge zur Anwendung kommen, indem die Ware zuerst durch das Tonerdebad und dann durch das Leim-Tannin- Wasserglas-Bad passiert wird; doch halten wir den erstvorgeschlagenen Weg für richtiger. Für die erste Passage wird die Lösung auf folgende Weise bereitet: Zunächst wird der Leim einige Stunden in kaltem Wasser einge weicht und dann aufgekocht. Das Tannin wird in heißem Wasser gelöst und hierauf mit dem Wasserglas versetzt. Alsdann erst wird die 50 0 C. warme Leimlösung mit der Tannin-Wasserglaslösung unter Umrühren vermischt. Die Prüfung der nach obigem Verfabren behandelten Stoffe, die der behördlichen Vorschrift entsprechend mit 30 cm langen und 5 cm breiten Gewebestreifen vorgenommen wurde, ergab folgendes: Nicht behandelter Stoff: Reißfestig- keit in Kilo Trockenes Gewebe Kette 37,1 Schuß 39,4 naß, nach 24 stündigem Einlegen in kalt. Wasser wieder getrocknet 23,7 37,4 26,4 41,2 Reißfestig keit in Kilo Imprägniert nach obigem Verfahren: naß, nach Trockenes 24 stündigem wieder Gewebe Einlegen in getrocknet kalt. Wasser Kette 44,5 30,8 41 1 Schuß 45,7 34,2 Papiergarn für* Handarbeiten Ueber die „Verwendungsmöglichkeit des Papiergarnes 1 liehe Handarbeiten” sprach Direktor Worin von der Höheren schule zu Chemnitz im Verein Chemnitzer Fachlehrerinnen, den Unterricht in weiblichen Handarbeiten stehen Cen Sc sehr wenig oder gar keine Stoffe mehr zur Verfügung, so daß Strick- und Häkelunterricht sehr eingeschränkt oder gar einges.chit werden muß, wenn nicht Ersatzstoffe geschaffen werden. Als solcher komme in erster Linie Papiergarn in Betracht, welches sich, ent sprechend präpariert, auch zum Handstricken, Häkeln, Knüpfen, Flechten u. dgl. eignet. Der Vortragende besprach die Herstellungs arten von Papiergarn und die Eigenschaften der verschiedenen Papiergarne mit Bezugnahme auf deren Verwendungsmöglichkeit. An der Hand einer reichhaltigen Sammlung selbstgefertigter, auf der Strickmaschine hergestellter Gebrauchsgegenstände und auch von Handarbeitslehrerinnen mit der Hand gestrickter, gehäkelter, ge flochtener und geknüpfter Sachen legte er dar, daß sich Strümpfe, Taschen, Beutel, Spitzen, Flecht- und Knüpfarbeiten sowie verschie dene andere, wenn auch anfänglich mit einigen Schwierigkeiten, im Handarbeitungsunterricht herstellen lassen, so daß dieser Unter richt zum Teil fortgeführt werden kann. Die Versuche werden weiter fortgesetzt. Wenn auch nach dem Kriege einzelne Sachen wieder wegfallen, so wird Papiergarn doch für so manche Waren erhalten bleiben. Der Vortragende bemerkte, er habe sich wohl als erster damit beschäftigt, das Papiergarn zum Stricken und zu anderen ähnlichen Arbeiten nutzbar zu machen, und da er sich schon längere Zeit mit diesem Studium befasse, stelle er seine Erfahrungen gern zur Verfügung. Auf diesem Gebiete könne viel Neues geschaffen werden.