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APIER-UERARBEITUNG Bu CH GE WERBE si Berliner Typographische Gesellschaft Die Sitzung vom 10. September wurde im großen Saale des Papierhauses abgehalten; sie war von 111 Mitgliedern und 93 Gästen besucht. Unter den letzten waren die Mitglieder der Vereinigung befreundeter Kollegen der graphischen Künste und des Papier- Vereins Berlin zahlreich vertreten. Der Vorsitzende Herr Könitzer begrüßte die Anwesenden und gab folgende Eingänge bekannt: Von den Schroederschen Papier fabriken (Sieler & Vogel) in Gölzern ein Exemplar der Festschrift zum 50 jährigen Bestehen der Fabrik; von der Schriftgießerei Ludwig & Mayer in Frankfurt a. M. Probehefte der neuen Akzidenzschrift „Aristokrat”; von der Schriftgießerei Otto Weisert in Stuttgart Musterhefte der Buch- und Akzidenzschrift Cheltenham, der Ro manisch und der de Vinne-Antiqua, von der Schriftgießerei J. G. Scheiter & Giesecke ein Exemplar des I. Bandes ihrer Hauptprobe; von der Schriftgießerei D. Stempel A.-G. in Frankfurt a. M. Muster hefte der Jaecker-Schrift, -Schmuck und -Ornamente; von der Maschinenfabrik J. Woerner in Wien eine größere Anzahl Kataloge und Preislisten; vom „Guckkasten”-Verlag Heft30 dieser illustrierten Zeitschrift. Als neue Mitglieder wurden bekanntgegeben die Heiren Dr. Pickardt (Buchdruckerei R. Boll), NW 7, Georgenstraße 23 und Richard Ney, S 14, Prinzenstr. 47. • Hierauf erläuterte der Vorsitzende in kurzen Worten die Be deutung der in Dresden abgehaltenen Internationalen Schrift ausstellung, zu deren Leitung der Vortragende des heutigen Abends, Herr Georg Wagner, berufen wurde, der es freundlichst übernommen habe, Bericht darüber zu erstatten. Sodann hielt der letztere den angekündigten Vortrag über: Die erste Sonderausstellung für Schrift auf dem Vierten Inter nationalen Kongreß für Kunstunterricht, Zeichnen und ange wandte Kunst, Dresden 1912 Der Redner wies zuerst auf die Schwierigkeit hin, aus vielen Hunderten guter Arbeiten, die ausgestellt waren, eine geringe Anzahl für die Besprechung und die Reproduktion zu Lichtbildern heraus zusuchen; keineswegs seien die heute im Bilde vorgeführten Arbeiten deshalb als die besten zu bezeichnen; sie seien vielmehr in besonderer Rücksicht auf die Hörer des heutigen Abends ausgewählt worden, die sich aus Fachleuten zusammensetzen, die zu der Schrift in irgend welcher näheren Beziehung stehen. Die Internationale Schrift ausstellung habe den Zweck gehabt, zu zeigen, welche Erfolge die neue Schriftbewegung gezeitigt und was man unter dieser zu ver stehen habe. Es handle sich dabei nicht um unsere gewöhnliche, die sogenannte Verkehrsschrift, sondern um künstlerische, dekorativ wirkende Schrift. Dieser Begriff sei nicht eng zu begrenzen, weil auch die Rund- und Schönschrift darunter verstanden werden könne. Die Verkehrsschrift beherrsche ein jeder, für gewisse Zwecke aber fordere das ästhetische Empfinden eine Schrift, die gleichsam eine festliche Stimmung vermitteln kann. Die Fähigkeit, eine solche deko rativ oder künstlerisch wirkende Schrift herzustellen, sei vielfach vorhanden, bedürfe aber der Ausbildung. Der Redner schilderte dann die Entwicklung der Schriftbewegung seit jener Zeit vor Eck mann und Behrens, wo man zu der Erkenntnis gelangte, daß unsere Schrift auf einem bedauerlichen Tiefstand angekommen sei, und man zurückgriff auf die alten Vorbilder der Schreibkunst, die Guten berg bereits als Vorlagen für seine Schriften zur Verfügung standen. Er kennzeichnete die beiden Richtungen, die bei der Entwickelung neuer Schriftformen zur Geltung kommen; die von dem Engländer Johnston vertretene, die das Historische der Buchstabenformen betont, und die durch v. Larisch gepflegte, die nach neuen Gesetzen fürden Rythmus und Projektion der Schrift sucht, der individuellen Ausdrucksweise ein freieres Spiel läßt und weniger Gewicht auf das Malen vieler Alphabete legt als auf gefällige Buchstabenbilder. Beide bedienen sich der von ihnen wieder eingeführten Schreibgeräte der alten Schreibkünstler und verlangen eine werkzeuggerechte Form der Schriftcharaktere. Die Herstellung solcher, für die ver schiedenen Zwecke geeigneter Schreibgeräte seien später durch die Firmen Heintze & Blanckertz, Brause & Co. u. a. auf Grund sorg fältiger Studien auf dem Gebiete der Schriftentwicklung industriell betrieben worden, so daß heute brauchbare Werkzeuge zum Schrift schreiben überall käuflich zu haben seien. Die Ausstellung habe ge zeigt, daß neben Deutschland und England besonders in Oesterreich und Amerika lebhaftes Interesse für das Schriftschreiben vorhanden sei. Die Ausstellung werde dazu beigetragen haben, die Anteilnahme zu verallgemeinern. Durch 45 vorzügliche Lichtbilder gab der Vor tragende seinen Hörern sodann einen Einblick in die Ausstellung selbst und führte zunächst einige Arbeiten von Edward Johnston, E. H: Harper, Jessie Bayer und Louise Powell als charakteristisch für die englische Auffassung vor, bei denen die vorzügliche Beherr schung des Handwerklichen in mehreren Arbeitsgängen bei einer Arbeit auffalle. Die weiteren Bilder zeigten Arbeiten von Prof. Ehmcke, L. Sütterlin, Prof. Czeschka, Dr. Rud. Junk, Jacoby Boy, Heinz Keune, Carl Schnebel, Heinrich Wieynk, Heinrich Laudahn und vielen anderen. Die von dem Vortragenden selbst hergestellten Etiketten für Stahlfederschachteln und besonders ein Etikett für Streichholzschachteln von Heinz Keune ließen erkennen, wie mit den einfachsten Mitteln ein gefälliges, das künstlerisch empfindende Auge befriedigendes Bild auch zum dekorativen Schmuck der Ge brauchsgegenstände des täglichen Lebens geschaffen werden kann. Das Ergebnis der ersten internationalen Schriftausstellung faßte der Vortragende schließlich dahin zusammen, daß die Schrift frage, glänzend vertreten durch die Schriftausstellung, im Mittel punkt des Interesses gestanden und außerordentlich anregend ge wirkt habe auf die Vertreter der Unterrichtsbehörden aller Nationen, auf die Vertreter der Fachpresse, sowie auf die anwesenden Ge werbeschulmänner, Zeichenlehrer und ganz besonders auf die Künstler. In Zukunft werde die Schriftfrage in der internationalen Presse Erörterung finden, es steht zu erwarten, daß die Unter richtsverwaltungen Schriftkurse einrichten werden und der Schrift im allgemeinen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werde. Auch-die Künstler würden durch die Ausstellung angeregt werden, sich noch mehr als bisher der Schrift zuzuwenden. Der lebhafte Beifall, der dem Vortragenden am Schluß seiner Ausführungen gezollt wurde, zeugte von dem regen Interesse der Hörer an dem behandelten Thema. Der Vorsitzende sprach Herm Wagner den Dank der Gesellschaft aus. Er wies darauf hin, daß man früher die Schriften konstruiert habe, die neue Bewegung aber auf die dekorative Wirkung der Schrift gerichtet sei; man dürfe erwarten, daß das Verständnis für die Schönheit der Schrift auch in weiteren Kreisen geweckt und gepflegt und daß das Schreiben nicht rein mechanisch, sondern mit Bewußtsein geübt werde. Im Anschluß hieran behandelte Herr Heinrich Wieynk die bisherigen Ergebnisse des Unterrichts im Schriftschreiben, die er als befriedigend bezeichnete. Beim Unterricht müßten vor allem die Kenntnis und die Anwendungsmöglichkeiten des Werkzeugs und die Pflege der persönlichen Ausdrucksmittel Beachtung finden. Die Arbeit zerfalle in zwei große Gruppen, solche mit dem Quell stift und mit der Breitfeder. Wenn auch der persönliche Einfluß des Lehrers nicht entbehrt werden könne, so müsse doch der Lehrer bei einer größeren Schülerzahl ein Hilfsmittel zur Hand haben. Diesem Zwecke diene neben den bereits bekannten Vorlagewerken von Johnston und v. Larisch das von ihm in 3 Heften heraus gegebene und von Ferd. Asheim in Berlin verlegte Werkchen „Elementar-Unterricht in Schrift”. Der Inhalt des ersten Heftes, das den Uebungen mit dem Quellstift dient, war im Versammlungs raum ausgestellt. Die ferneren zwei Hefte behandeln die Arbeiten mit der Breitfeder. Als dritter und letzter Redner wies Herr C. Kulbe auf den hohen Wert des Schriftschreibens für die Geschmacksbildung im allgemeinen -hin. Er bezeichnete es in diesem Sinne zwar als nicht notwendig, daß jeder eine besondere Fertigkeit im Kunstschriftschreiben besitzen müsse, aber für die Entwicklung des ästhetischen Gefühls sollte jeder Akzidenzsetzer sich mit Breitfeder, Quellstift usw. üben. Für die meisten komme es darauf an, daß sie gleichmäßige Zeilenbilder zu schreiben ver mögen, innerhalb deren die einzelnen Buchstaben durchaus nicht alle formvollendet zu sein brauchten. Nach dieser Richtung hin hob der Redner die guten Erfolge des Gehilfenunterrichts an der hiesigen I. Handwerkerschule hervor; er legte einige Entwürfe von Akzidenzsetzern vor, die viele Beachtung fanden und wies ferner darauf hin, daß sich aus der Technik der auf das Schrift schreiben hin aufgebauten Entwürfe — die nicht immer nur Kunst schriften zu enthalten brauchten — auch leicht neue Geschmacks richtungen für die Typographie entwickeln dürften. Von der Ein führung des Kunstschriftschreibens in den Volks- und höheren Schulen verspricht er sich ebenfalls manche Klärung unter dem Publikum zugunsten des Verständnisses dafür, was eine gute Druck sache sei. Auch die Ausführungen der beiden letzten Redner fanden den]Beifall der Versammlung. In einem Schlußwort wies Herr Könitzer auf die ver schiedenen Unterrichtsanstalten hin, an denen in Berlin und den Nachbarstädten das Schreiben von Kunstschrift gepflegt werde und empfahl deren fleißige Benutzung. Nachdem er die Anwesenden noch zum Besuch des Buchgewerbesaales angeregt hatte, schloß er die Versammlung um 11 % Uhr und geleitete eine größere Anzahl der Besucher nach dem Buchgewerbesaal zur Be sichtigung der dort ausgestellten Diplome aus den Sammlungen des Deutschen Buchgewerbe-Vereins in Leipzig.