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Nr. 60/1912 PAPIER-ZEITUNG Studienreise nach Frankreich des Vereins der Zellstoff- und Papier-Chemiker Fortsetzung zu Nr. 59 S. 2127 4. Von Besancon nach Grenoble Nach Besichtigung der Fabrik führten uns unsere freund lichen Gastgeber in Automobilen durch die Stadt Besanon, die von einer auf gewaltigen Felsenbergen errichteten, noch von General Vauban unter Ludwig XIV. erbauten Festung beherrscht wird. Die vielen Kasernen und Exerzierplätze zeigen, daß Frank reich dieser Festung bedeutenden Wert beilegt. Die Stadt hat zum Teil altertümlichen Charakter, weist aber große Garten anlagen und einige bemerkenswerte öffentliche Bauten, nament lich die Präfektur und die Militär-Kommandantur, auf. Im Garten des Kasinos, wo eine Damenkapelle spielte, bewirteten uns die Herren von der Firma Übel & Cie. mit einem schmack haften Imbiß, und in mehreren Trinksprüchen wurde von uns ihre Gastfreundschaft und das liebenswürdige Entgegenkommen, mit der sie uns alle Einzelheiten ihrer schönen Fabrikanlagen gezeigt hatten, gepriesen. Da unser Zug nach Lyon bald abfahren sollte, besorgten die Herren der Firma inzwischen die Fahrkarten für uns und gaben unser Gepäck auf, damit wir länger im Kasino verweilen konnten. Sie fuhren uns auch zur Bahn und trieben die Gastfreundschaft so weit, daß sie den für uns ausgelegten Betrag der Fahrkarten, gegen 270 Franken, um keinen Preis wiedernehmen wollten. Wir sandten dann aus Grenoble den Betrag für Wohlfahrtszwecke der Arbeiter ein. Während die Fahrt von Beifort bis Besan- on im romantischen Doubs-Tal sehr ab wechslungsreiche Bil der geboten hatte, ge staltete sich die Reise von Besancon nach Lyon recht eintönig, weil die Eisenbahn hier über eine ziemlich ebene Hochfläche geht, die meist mit Wiesen bestanden ist. In einer Zwischenstation war eine halbe Stunde Aufenthalt, die Ge legenheit bot sich zu stärken und Karten Wasserfall oberhalb Sassenage bei Grenoble grüße nach der Hei mat zu senden. Nach 9 Uhr kamen wir in Lyon an und fuhren nach dem Hotel du Globe, ■wo wir schon vorher Zimmer und Abendessen bestellt hatten. Ein Beisammensein in einem der großen Cafes am Hauptplatz beschloß den an Eindrücken reichen Tag. Am Sonnabend, 15. Juni, fuhren wir nach dem Frühstück «eine Stunde in der Stadt Lyon herum, die am Zusammenfluß •der Saone und der Rhone liegt. Die Rhone ist hier ein rasch dahinfließender Bergstrom, und auf ihren beiden Ufern wurde längs der Kai-Mauern eben großer Obst- und Blumenmarkt ab gehalten. Die lebhafte und von großem*Wohlstand zeugende Stadt besitzt hervorragende Baudenkmäler, besonders die halb romanische, halb gotische Kirche Johannis des Täufers, die noch aus dem 11. Jahrhundert stammt, und das Gerichtsgebäude. Während die Stadt sich in der Ebene ausbreitet, befinden sich auf dem gegenüberliegenden steilen Ufer der Rhone die Villen der reichen Bürger und auch eine hochgelegene Kirche mit wunder voller Aussicht, zu welcher eine Drahtseilbahn hinaufführt. ■Gerne hätten wir in der schönen Stadt noch länger geweilt, aber »der Reiseplan mußte genau eingehalten werden, und so fuhren wir um 111 Uhr mit dem Schnellzug nach Grenoble. Bei .Voiron erreicht die Bahn das Gebirge und fährt durch ■das Tal der Isere an zahlreichen Papierfabriken vorbei. Bei Rives suchten wir vom Zuge aus vergeblich die berühmte Fein papierfabrik von Blanchet frres et Kleber zu sehen. Bald er schienen westlich die schneebedeckten Häupter der Hochalpen, welche Grenoble umgeben, und um 1 Uhr mittags kamen wir in diesem unserm Reiseziel an und fuhren nach dem musterhaft eingerichteten und geleiteten Grand Hotel Moderne, wo wir Quartier belegt hatten. Hier erwartete uns Herr Barbillion, der Leiter der Papiermacherschule, und stellte uns Herrn Marcel Reymond vor, den Vorsitzenden des Vereins für die Unterstützung ausländischer Studenten. Herr Reymond hatte von unserer Studienreise erfahren und stellte sich uns als Ortskundiger zur Verfügung. Mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit blieb er während unseres Aufenthalts in Grenoble und Umgebung unser Begleiter und trug sehr viel dazu bei, unseren Aufenthalt 7 lehr reich und angenehm zu gestalten. Herr Revmond bemüht]sich Grenoble sehr um das Wohlergehen der deutschen Studenten in Grenoble, und dies wurde dadurch anerkannt,, daß ihm der Kaiser vor zwei Jahren den Roten Adler-Orden 3. Klasse verlieh. An unserm Mittagessen im Hotel nahm auch ein deutscher Student teil, der sich uns als Vorsitzender des dortigen Vereins deutscher Studenten vorstellte und uns begrüßte. Es studieren jährlich 500 junge Deutsche in Grenoble, darunter 150 Stu dentinnen. Sie sind teils ordentliche Hörer der Universität oder machen Ferienkurse durch, die jährlich im Sommer stattfinden, und in denen hervorragende Kräfte französischer Universitäten über französische Sprache und Literatur vortragen. Unter den deutschen Universitätshörern befinden sich jedoch nicht nur angehende Lehrer der französischen Sprache, sondern auch junge Juristen, denn ein Semester des Studiums in Grenoble wird den Juristen deutscher Universitäten auf ihr Studium angerechnet. Ehemaliges Schloß von Casimir Frier in Vizilles Daß Grenoble auf ausländische Studenten so große Anziehungs kraft ausübt, liegt an den besonderen Vorzügen des Ortes. Das Leben ist dort für Studenten billig, die Bevölkerung ist auf die Vermietung billiger Wohnungen mit oder ohne Pension einge richtet, und man spricht sehr schönes Französisch, aber die Hauptanziehungskraft ist die Schöne Gegend. Die gewerbereiche Stadt mit ungefähr 80 000 Einwohnern liegt am Zusammen fluß der Isere und des Drac, welche die Abflüsse der gewaltigen Gletscher der umgebenden Hochgebirgskette der Rhone zu führen. Auf der einen Seite liegen die hohen Kalkfelsen des Gebirgszuges der Chartreuse, und auf der andern Seite erhebt sich