Volltext Seite (XML)
1862 PAPIER-ZEITUNG Nr. 51/1912 nach Kräften zu unterstützen. Wir stellen gern Werbeschreiben zur Verfügung und bitten wieder die Werbearbeit aufzunehmen, welche vor einigen Jahren zu so. schönem Erfolge geführt hat. Herr Oesterreicher hat ein neues Werbeblatt ausgearbeitet, sehr kurz und knapp und genau das enthaltend, was notwendig ist. Wenn die Mitglieder ihren Freunden und Bekannten ein solches Werbeschreiben zusenden unter Beifügung des Jahres berichts und des Werbeblatts, so bin ich sicher, daß dieses der beste Weg ist, neue Mitglieder heranzuziehen. 2. Bericht über die wirtschaftspolitische Lage und die wirt schaftspolitischen Arbeiten des Vereins Geschäftsführer Hager: Die Verabschiedung des alten Reichstages und der Beginn einer neuen Legislaturperiode bilden auch für die Tätigkeit eines wirtschaftlichen Vereins, wie des Papierindustrie-Vereins, einen Einschnitt. Eine ganze Reihe von gesetzgeberischen Arbeiten hat mit dem Auseinandergehen des alten Reichstages ihren Abschluß gefunden und damit auch unsere diesbezügliche Vereinstätigkeit. Neue Aufgaben treten in den Vordergrund, nachdem der neue Reichstag wieder zu sammengetreten ist. Die wichtigen sozialpolitischen Arbeiten haben nicht nur formell sondern auch materiell einen gewissen Abschluß gefunden, nachdem sowohl die letzte Gewerbeordnungs- Novelle und der Entwurf eines Hausarbeitsgesetzes, als vor allem auch die große Reichsversicherungsordnung und schließlich auch noch das Versicherungsgesetz für Angestellte unter Dach und Fach gebracht wurden. Man sollte meinen, daß Deutschland mit diesen Leistungen auf sozialpolitischem Gebiete an die äußersten Grenzen des Erreichbaren gelangt sei, sofern man nicht nur die Interessen der „wirtschaftlich Schwachen”, sondern auch die Interessen des Unternehmertums im Auge behalten will. Es müßte dem Unternehmertum, so sollte man glauben, jetzt einmal eine längere Ruhe- und Schonzeit gewährt werden, um sich auf die vielerlei neuen sozialpolitischen Lasten einzurichten, und es müßte auch gewartet werden, bis das Ausland seine sozial politische Gesetzgebung soweit entwickelt hätte, daß der Ab stand zwischen den sozialpolitischen Lasten in Deutschland und den sozialpolitischen Lasten des Auslandes sich auf ein erträg licheres Maß beschränkt hätte. Daß dieser Abstand mit der Zeit sehr gefährlich geworden ist, wird immer mehr anerkannt. Auch diejenigen Kreise, die der Regierung nahe stehen, bequemen sich manchmal zu diesbezüglichen Zugeständnissen. So ist z. B. im vorigen Jahr in einem Jubiläumsartikel der halbamtlichen „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung” über die staatliche Ar beiterfürsorge unter dem Hinweis auf Veröffentlichungen des Kaiserlichen Statistischen Amtes über die Arbeiterversicherung in Europa ausdrücklich betont worden, 1 „daß alle anderen Staaten weit hinter dem Deutschen Reiche zurückgeblieben sind und daß sie nur langsam nachfolgen”, womit deutlich genug zum Ausdruck gebracht wird, daß die sozialen Lasten der deutschen Industrie bedeutend größer sind als diejenigen der ausländischen Industrie, mit der wir doch auf dem Weltmarkt in Wettbewerb stehen, und es wird weiter zum Ausdruck gebracht, daß der Unterschied zwischen diesen Lasten im In- und Ausland sich nur langsam verringert. Sehr beachtens wert ist auch, was einer unserer tüchtigsten Nationalökonomen unter unseren höheren Beamten, der frühere Regierungsrat im Kaiserlichen Statistischen Amt, Dr. Friedrich Zahn, jetzt Mini sterialrat in München, vor einiger Zeit in den Annalen des Deut schen Reiches über die Möglichkeit der Behauptung unserer Stellung auf dem Weltmarkt veröffentlicht hat. Er sagt in einer Abhandlung über „Deutschlands wirtschaftliche Entwickelung”: „Es steht dahin, ob wir die Konkurrenz auf dem Welt märkte in der bisherigen Weise noch lange mit Erfolg weiter zu führen vermögen, ob dies unsere Erzeugungs bedingungen gestatten angesichts der fortgesetzten Ver schärfungen des Wettbewerbes und der Anstrengungen anderer Länder, angesichts der Veränderungen der wirt schaftlichen und politischen Weltlage, namentlich aber unter Befriedigung der erhöhten sozialpolitischen An sprüche im eigenen Lande." Vergleicht man mit diesen Ausführungen aber die Thron rede, mit der der neue Reichstag eröffnet wurde, so zerrinnt freilich schon wieder die Aussicht, daß das Tempo unserer Sozialpolitik ein langsameres werden könnte. In der Thron rede wurde gesagt, daß derselbe soziale Geist, aus dem die Reichs versicherungsordnung und das Versicherungsgesetz für Privat angestellte hervorgegangen sei, auch fernerhin walten müsse; „denn die Entwicklung steht nicht still." Diese Worte sind nichts mehr und nichts weniger gewesen als eine Verbeugung vor dem neuen Reichstag, in dem sowohl die radikalen wie die gemäßigten Sozialpolitiker noch zahlreicher vertreten sind als im alten Reichs tag. Man kann die Zusammensetzung des jetzigen Reichstages vom Standpunkt - unserer zollpolitischen Interessen vielleicht für ein Glück halten; in bezug auf die Sozialpolitik hat das deutsche Unternehmertum aber vom Reichstag kaum besonders Erfreu liches zu erhoffen. Die Erwartung, daß der Hansa-Bund eine bessere Vertretung von Handel und Industrie im Reichstage zustandebringen werde, hat sich leider nur zu einem geringen Teil erfüllt. Es ist dem Hansa-Bund freilich gelungen, 90 Kan didaten durchzubringen, von denen 56 Mitglieder des Hansa- Bundes sind, während 34 sich auf die Einhaltung des wirtschafts politischen Programms des Hansa-Bundes verpflichtet haben. Vergleicht man aber den alten Reichstag mit dem neuen, so findet man, daß der frühere Reichstag 46 Mitglieder zählte, die man als Vertreter von Handel und Industrie ansehen konnte, während der neue Reichstag nur 35 Angehörige dieser Berufs zweige aufweist, wobei auch noch zu berücksichtigen ist, daß ein Teil dieser 35 Abgeordneten dem Kleinhandel und Klein gewerbe angehört. Von einer besseren Vertretung von Handel und Industrie kann also bedauerlicherweise kaum die Rede sein, obgleich man anerkennen muß, daß ohne das Eingreifen des Hansa-Bundes die Zusammensetzung vielleicht noch ungün stiger geworden wäre. Daß der neue Reichstag das besondere Bedürfnis haben wird, sich sozialpolitisch zu betätigen, steht außer Zweifel. Schon heute ist eine ganze Reihe von sozial politischen Fragen bekannt, die früher oder später sich zu sozial politischen Gesetzesvorlagen verdichten werden. Obenan steht natürlich der weitere Ausbau der großen Versicherungsgesetze. Das Angestelltenversicherungsgesetz war eben unter Dach und Fach, als schon der sogenannte Hauptausschuß für staatliche Pensionsversicherung, der etwa 50 Angestelltenverbände um faßt, den Beschluß faßte, die seitherige gemeinsame Arbeit fort zuführen und am weiteren Ausbau des Gesetzes und seiner inneren Organisation mitzuwirken. Dieser Ausschuß hat auch sogleich einen Unterausschuß eingesetzt, der sich mit der Prüfung der Frage der Vereinheitlichung des Privatbeamtenrechts befassen soll. Es ist anzunehmen, daß die Regierung diesen Bestre bungen nicht unfreundlich gegenübersteht; denn schon bei der Erörterung der Frage, ob die Versicherung der Privatange stellten durch eine Sonder-Einrichtung oder durch Ausbau der Invalidenversicherung vorzunehmen sei, hat sich die Regierung auf die Seite des Hauptausschusses gestellt, weil sie ein eigenes Interesse daran hatte, einen Abstand zwischen den Privat beamten und jenen versicherten Schichten zu schaffen bzw. zu wahren, die zurzeit ausschließlich unter dem Einfluß der Sozial demokratie stehen. Unter den sonstigen sozialpolitischen Neu erungen wird vor allem die öffentlich-rechtliche Versicherung gegen Arbeitslosigkeit. eine Rolle spielen. Dann soll das Woh nungswesen geregelt werden. Es soll die Altersgrenze der In validenversicherung von 70 auf 65 Jahre herabgesetzt werden usw. Andererseits wird aber auch die Frage des Schutzes der Arbeits willigen im Reichstag vermutlich über kurz oder lang zu beson deren Auseinandersetzungen unter den Parteien führen. Neuer dings hat auch der Hansa-Bund in dieser Angelegenheit das Wort ergriffen; doch ist noch nicht ersichtlich, inwieweit das industrielle Unternehmertum den Standpunkt des Hansa- Bundes teilt. Außerordentlich wichtige Arbeiten werden dem Reichstag und den wirtschaftlichen Interessenvertretungen auf dem Gebiete der Zollpolitik erwachsen. Mit diesen Fragen haben wir uns indes ausschließlich in der Zollvereinigung zu beschäftigen. Sodann harrt eine ganze Reihe von Aufgaben ihrer Erle digung auf dem Gebiete des Verkehrswesens, namentlich soweit die Reichspostverwaltung in Betracht kommt. Hierüber wird heute noch ein besonderes Referat über postalische Wünsche und Beschwerden von Herrn Bergmann erstattet werden. Unter den sonstigen gesetzgeberischen Arbeiten der nächsten Zeit ist besonders die Revision der Gesetze über den gewerb lichen Rechtsschutz (Patent-, Muster- und Zeichenwesen) zu erwähnen. Es wird voraussichtlich schon in der nächsten Zeit ein Gesetzentwurf zur Abänderung des Patentgesetzes und ein Gesetzentwurf zur Abänderung des Warenbezeichnungsgesetzes veröffentlicht werden. In der Novelle zum Patentgesetz soll vor allem auch das Erfinderrecht der Privatangestellten zweck entsprechend geregelt werden. In der Novelle zum Warenbezeich nungsgesetz sollen insbesondere neu geordnet werden das An meldungsverfahren, das Aufgebotsverfahren, der Schutz der Kollektivmarken u. a. An diesen Fragen hat die Papierver-