Volltext Seite (XML)
Nr. 22/1912 PAPIER-ZEITUNG 813 Die Buchbinderei auf der Ausstellung: „Die Frau in Haus und Beruf“ Von allen Ausstellungen, die der Frauenfrage gewidmet waren, ist obige in Berlin unter dem Protektorat der Kaiserin veranstaltete Ausstellung eine der anregendsten. Sie wurde am 24. Februar eröffnet und wird bis 24. März dauern. In 32 Gruppen zeigt sie, was die Frau in Haus, im Beruf und im öffent lichen Leben bisher geleistet hat. Alles, was die Ausstellung bietet, ist von Frauen erdacht, gefördert und geschaffen worden. Das Plakat der Ausstellung von Frau Schütze-Schur, der Gattin des am 7. März plötzlich verstorbenen, 36 jährigen Dichters und Schriftstellers Ernst Schur, dem wir auch einige treffliche Werke über modernes Kunstgewerbe und eine Menge kritische Aufsätze über Kunst, Kunst- und Buchgewerbe verdanken, ist von packender Wirkung. Das Musik-Orchester wird von einer Dame geleitet, den geschäftsführenden Ausschuß bilden Damen, auch der Katalog der Ausstellung ist von Damen zu sammengestellt; leider etwas unvollkommen; es fehlt ihm die nötige leichte Uebersichtlichkeit, die der Ausstellungsbesucher braucht, falls er eine bestimmte Firma oder einen bestimmten Zweig der Ausstellung finden will. Auch bei manchen Gruppen- Ausstellern fand ich denselben Fehler, die einzelnen Arbeiten verschiedener Damen fand ich so bunt zusammengewürfelt, daß man die Verfertiger der Gegenstände nicht herausfand. Die Ausstellung ist vom Lyceum-Club in Berlin, einer Ver einigung, der die vornehmsten und künstlerisch tätigen Frauen angehören, ins Leben gerufen worden. Die Ausstellung wird sehr stark besucht, täglich sind die Gänge von einer erdrückenden Menschenmenge überfüllt. Ein Mangel der Ausstellung ist, daß ihr eine Gruppe über ■ Heimarbeit fehlt. Weiter ist zu bedauern, daß der Erwerbszweig der Konto ristin und Stenotypistin nur durch eine — Schreibmaschinen firma vertreten ist; dieser Beruf, der in Berlin allein Tausende von Vertretern zählt und über das ganze Reich in allen Groß- und Kleinstädten verbreitet ist, hätte eindringlich vertreten sein müssen. Der Entwicklungsgang, die vielen Erwerbsmög lichkeiten dieses Berufes, was er verlangt und bietet, wie die Leistungen der Frau mit den Fortschritten Hand in Hand gehen und eins das andere fördert, hätte guten Stoff geboten. In der Gruppe ,graphisches Kunstgewerbe’’ findet man Tunkpapiere und einige Einbände verschiedener Art von Klara von Boetticher in Potsdam, ihre Schreibmappen von Bütten papier mit aufgeklebtem Tunkmarmor sind nichts weniger als schön. Frau Lilli Behrens in Neu-Babelsberg bei Potsdam stellte nur einige alte bekannte Pappbände, die bereits vor 6 Jahren in Dresden ausgestellt waren, aus; mir bisher unbekannt war ein Lederband, den ich als geschmacklos bezeichnen muß: ein Ganzlederband in Quartformat in braun Agathleder, auf dessen Vorderdeckel ein Stück blau Kleistermarmor so aufgeklebt ist, daß an drei Seiten ringsherum ein etwa 3 cm breiter Rand, an der vierten Seite dem Rücken zu, ein etwa 8 cm breiter Rand des Leders sichtbar geblieben ist, auf welch letzterem der Titel des Buches in Goldschrift steht. Von einer Künstlerin wie Lilli Behrens, der so viel technische und künstlerische Anregungen auf dem Gebiete der Kleisterpapiere zu verdanken sind, sollte man anderes erwarten. Ganz individuelle prächtige Arbeiten in farbiger Lederplastik und in guter Technik: Buchhüllen, Visites, Schreibblöcke, einige Halbfranz- und Ganzlederbände zeigt Ellen Kolde, Tochter des Professors Kolde-Erlangen, die ihren Wohnsitz jetzt in Leipzig hat. In einem Bibliothekzimmer der Möbelfabrik Heß & Rom stellt die Buchbinderei des Lette-Vereins etwa 20 Ganzlederbände von Werken aus, die von Frauen verfaßt wurden; der beste dieser Einbände ist ein Ecrasdband in violett mit Intarsiaarbeit. Leder schnittarbeiten konventioneller Art nach Entwürfen von Frau Fia Wille stellt Johanna Saenger-Halpert aus Carlshorst aus; darunter befindet sich u. a. eine Folio-Bibel in 2 Bänden, das alte Testament mit einer Mosesfigur, das neue Testament mit Christus, ferner Schreibmappen, Buchhüllen, Rahmen, Blöcke u. dergl. In der Club-Empfangshalle, dem vornehmsten Raume der Ausstellung, stellt Frau Ida Schoeller aus Düren aus ihrer Samm lung wertvoller Bücher eine Anzahl der seltensten Werke aus. Frau Wanda Frischen, ebenfalls eine Sammlerin von Büchern und Bucheinbänden, stellt im gleichen Raume eine kleine Samm lung wertvoller Bücher, teilweise in prächtigen Ganzleder bänden aus; u. a. ein Chaucer’s Canterbury Tales in einem mo dernen Einband von Zähnsdorf, ferner Poole, The englisch Par- nassus von 1657, gebunden von der Buchbinderei des Groliers- Club in New York, dann Einbände von Riviere in London und der Guild of Women-Binders (Gesellschaft von Buchbinderinnen), London. In einem Schlafzimmer der Firma A. Wertheim befindet sich ein Photorahmen in Pergament mit Handvergoldung. Frau Else Löwenthal in München, stellt Lederarbeiten, Einbände und Schreibmappen aus; bemerkenswert sind einige Pappbände mit Rieselmarmor. Henny Heinzelmann in Hannover bringt einige Lederschnittarbeiten, einen Handspiegel in gewohnter Technik und eine Damentasche dunkel gefärbt und modelliert zur Ausstellung Das Dürerhaus, Berlin, stellt außer sonstigen Waren für Kunsterziehung und Kunstunterricht von Elisabeth Hunte müller gefertigte geschmackvolle Halbleinen-Mappen aus. Das Pestalozzi-Fröbelhaus in Berlin hat außer den von Zög lingen dieses Instituts gefertigten Papparbeiten noch Buch binder-Handwerkzeug dargebracht; warum, das ist mir rätsel haft geblieben. Die Kinderabteilung der Deutschen Frauenschule Schloß Braunshardt bei Darmstadt hat Mappen und Kleisterpapiere ausgelegt. In den Prospekten dieser Anstalt wird gesagt, daß Handfertigkeiten wie: Zeichnen, Modellieren, Flechten, Weben und Buchbinden in eigener Werkstatt gepflegt werden. In einem besonderen Raume hat die Königin von Rumänien eine große Zahl der von ihr selbst gefertigten Handarbeiten ausgestellt, darunter befindet sich das von ihr auf Pergament geschriebene und illustrierte Gebetbuch, das sie dem König zur Silber-Hochzeit schenkte; ferner ein für ihren Bruder, den Fürsten Wilhelm zu Wied geschriebenes und gemaltes Buch „Ottos Leben” und zehn Pergamentblätter in Folioformat, bemalt und beschrieben von der Königin für ihre Mutter, die Fürstin zu Wied, und bestimmt für ein Andachtsbuch, das durch den Tod der Fürstin unvollendet blieb. Auch von der Kronprinzessin Maria von Rumänien ist ein reich illustriertes und geschriebenes, hochkünstlerisch ausge führtes Pergamentbuch ausgestellt. Von diesen Einzelausstellern wenden wir uns zu der auf der Galerie gelegenen Hauptgruppe: Buchbinderei. Wir finden dort zunächst drei ehemalige Schülerinnen der Hamburger Kunstgewerbeschule: Elisabeth Meyer, Hamburg, C. Grimm, Hamburg, und Lina Halsterbach, Straßburg i. E., welch letztere die technisch besten Arbeiten aufweist, besonders in Handver goldung und Blinddruck; hervorzuheben ist ein Buch in braun Kalbleder mit sehr guter Vergoldung, ein Buch in schwarz Saffian mit ‘weißer Intarsia, ein Einband in lohgar Schafleder und ein Album in Rindleder mit grün patiniertem Lederschnitt. Sehr guten Blinddruck zeigt ein Schweinslederband. Geschmack los erscheint mir ein Pergamentband in Batik-Arbeit. Ver schiedene Einbände in Saffian und Schweinsleder zeigt Elisabeth Meyer; die Handvergoldung ist unsauber und glanzlos. Frl. Grimm - zeigt vorwiegend Ganzlederbände in Schweinsleder und weißem Schafleder, auch hier ist der Gold- und Blinddruck nicht ein wandfrei; die Kleisterpapiere sind garnichts wert, gut ist ein Band in Wildleder mit roter und weißer Intarsia. Die Buchbinderei-Schule des Lette-Vereins in Berlin-Schöne berg, Leiterin: Frl. Buchbindermeister Maria Lühr, hat ziem lich umfangreich ausgestellt. Die Hersteller der Arbeiten zer fallen in drei Gruppen. Erstens: Amateur-Schülerinnen, zweitens Lehrlinge der Schule und drittens die zwei in der Schule an gestellten Gehilfinnen, von denen die eine — ein Mann ist! Die besten Arbeiten, gut und geschmackvoll ausgeführt, sind von der Amateur-Buchbinderin Miss Mary Mac Intyre; diese hat u. a. einen Ganzpergamentband ausgestellt, bei welchem sie das dünne durchscheinende Pergament mit rotem Papier unterlegt hat, was einen guten, eigenen Eindruck macht. Auch die Arbeiten von Frl. Bruntke, Neukölln, sind gut. Von den Lehrlingen, den Fräulein Heinecke und Gülzow, sind einige einfache Ein bände und Mappen vorhanden, die wenigstens guten Geschmack verraten. Auch von Helene Stolzenberg, der rechten Hand des Frl. Lühr, sind einige geschmackvolle Einbände vorhanden. Ilse Schulze, die Tochter unseres Düsseldorfer berühmten Kollegen, die im Lette-Verein als Gehilfin beschäftigt ist, hat technisch die besten Arbeiten geliefert, denen man die gute Technik des Vaters ansieht. Dann liegt ein Buch aus, das tech nisch in jeder Beziehung sämtliche ausgestellten Einbände der Buchbinderinnen-Schule des Lette-Vereins übertrifft, ich frug nach dem Namen der Verfertigerin, man schwieg aber auf meine Fragen, schließlich wurde mir von dritter Seite mitgeteilt, der