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welche durch die Donner der Julirevolution gestört wurden und die wohl nur bis zu einer bequemer« Zeit vertagt worden find. Freilich würde Deutschland selbst, und vor allem Oester reich und Preußen bei solchen Abrundungsplänen ein Wort mitzureden haben. Auf diesen Punkt wünschten wir die Erör terung zu bringen, um uns klar zu werden, welches das wahre Interesse Deutschlands bei der orientalischen Frage sei. Zufolge der letzten diplomatischen Vorgänge haben sich Oe sterreich und Preußen ihre Neutralität in der orientalischen Frage gewahrt. Das ist an und für sich vernünftig, wenn der Neutralität keine zu weite Ausdehnung gegeben wird; denn im letztern Falle würde die Meinung die sein, Oesterreich und Preu ßen wollten Rußland die Eroberung der Türkei gewähren. Man erzählt, der verstorbene Fürst Schwarzenberg habe, als Jemand ihm in einer Unterredung die Besorgniß ausge drückt hatte, daß aus der von Rußland im ungarischen Kriege geleisteten Hilfe eine schwere und gefährliche Last der Dankver- pflichtung erwachsen werde, geantwortet: „Oesterreich wird es verstehen zu rechter Zeit undankbar zu sein". Die orientalische Frage ist eine Gelegenheit, um die Zeitzemäßheit einer poli tischen Undankbarkeit zu bewähren. Für jeden Staat ist die oberste aller Pflichten die Erhal tung seiner Existenz. Diese Pflicht darf etwaigen Rücksichten der Erkenntlichkeit für geleistete Gefälligkeiten Dritter nicht un tergeordnet werden. So wenig ein Familienvater befugt oder verpflichtet ist, aus Dankbarkeit gegen einen Fremden, der ihm einen wichtigen Dienst geleistet hat, die Ehre und Existenz sei nes Hauses preiszugeben, so wenig darf eine weise Regierung derartigen Rücksichten die höchsten Interessen ihres Staates auf opfern. Diese Ueberzeugung scheint sich in Berlin und Wien gel tend zu machen. Auch Preußen hat, wie Niemand verkennen wird, gewisse Verpflichtungen gegen Rußland, wenn sie auch nicht so frischen Datums sind, wie diejenigen Oesterreichs. Die ses sittliche Motiv hat einen ganz unleugbaren Einfluß auf die Politik der beiden deutschen Großmächte ausgeübt. Rußlands Haltung in dem Kriege gegen Napoleon hat einen Eindruck hervorgebracht, welcher noch heute nicht vergessen ist; sein her vorragender Antheil an dem Entscheidungskampfe, welcher mit dem Sturze des französischen Eroberers, mit der Herstellung der legitimen Throne endigte, ist die Grundlage geworden sür die -ominirende Stellung, welche Rußland seitdem im Rathc der europäischen Staaten eingenommen hat. Auf die Gemeinschaft lichkeit jener großen Kriegsuntcrnehmung und des entscheidenden Sieges folgte ganz von selbst ein enges Bündniß im Frieden und die „heilige Allianz" war die unvermeidliche Frucht der Leipziger Schlacht. Aber der Charakter, das Bedürfniß und Ziel der in der heiligen Allianz vereinigten Staaten sind zu verschieden, um eine andre als negative Dauer bewahren zu können. Schon Preußen und Oesterreich sind in gar vielen wichtigen Beziehun gen Gegensätze und jeder dieser Staaten geht seinen besondern Weg. Aber viel tiefgreifender ist der Unterschied zwischen die sen beiden Staaten und Rußland. Alle drei Mächte mögen in vielenDingen, die sie nicht wollen, vollkommen einig sein; sobald über einer dieser Staaten eine Lebensäußerung von sich giebt, welche auS ihrer eigensten Natur hervorgeht, so wird sich auch auM^ußens blicklich bei den beiden andern Bundesgenossen eine OppofiM„xunft. dagegen zeigen. Wir wollen dies durch ein Beispiel belM Es i Als Preußen zu einem parlamentarischen Staatsleben gleiche ging, als es vollends gar mit der Tendenz hervortrat, die Mrage Hal streuten Kräfte der deutschen Nation unter einem Symbol Men Mach sammen zu fassen, so zeigte sich auf der Stelle der innere ZMürkei an spalt dieser „heiligen Verbindung". Als Oesterreich den B» Die I destag wieder Herstellen wollte, so wäre beinahe ein Krieg jM,xg nicht, schen beiden Staaten ausgebrochen. Mine strat Die Erobernngsgedanken Rußlands entspringen ohne FnMantinopel aus geschichtlichen Vorbedingungen; aber sie haben mit derMlicderten ligen Allianz nicht das mindeste zu schaffen. Solche EroMgeise vers ungslust ist dem Bonapartismus viel näher verwandt, alsM Dazu hohenzollern'schen und habsburgischen Politik. Jemehr RiMürkei au lands Eroberungsgedanken in den Vordergrund treten, dMsten An; lockrer wird die heilige Allianz. Musland < Rußland betrachtet die europäischen Vorgänge nur M,hr einer Mittel zu seinem Zweck. Nicht aus Abneigung gegen die Mnds Se volution, die Napoleon I. gehoben hatte, sondern weil Bei icht direc Parte Rußlands Macht und Einfluß gefährlich wurde, M n Grenz er von Kaiser Alexander gestürzt. Rußland hat nicht etwa« :»ht. Ai Nächstenliebe gegen die Ungarn marschiren lassen, sondern- hina Interesse, weil eine demokratische Republik an den Grenzens Hern wü lens ihm gefährlich dünkte. Das vermindert sehr die Dank icepter ki keit, die nie so weit gehen darf, daß man Rußland gestatt e Gestadi die Ruhe des Welttheils zu erschüttern. aus Man könnte uns einhalten, Rußlands Freundschaft mi Das ten Preußen und Oesterreich unbedingt festhalten, und sie dÜ! ^stimmen ten den Eroberungsgedanken Rußlands nicht in den Weg ti rechter ten; denn wenn irgend einmal Frankreich einen Angriff« Gründe z Belgien oder Italien machen sollte, so sei Rußland ein dm ^r Har aus unentbehrlicher Bundesgenosse der deutschen Mächte. , Dieser Einwand hat auf den ersten Blick manches m wenn er aber alles Ernstes aufrecht erhalten werden könnte, wäre das ein schlimmes Zeichen. Denn was bedeutet er anderM als daß Deutschland nur zwischen zwei Dingen die Wahl Großr nämlich zwischen der Aufopferung seiner Sicherheit im Osten cM^ren kl Westen. Mnd Preu So schlimm steht cs aber, Gott sei Dank, nicht mit Friede So lange die deutschen Mächte in Eintracht zusammM Monate stehen, sind sie nicht abhängig von dem guten Willen dD Czaaren; sie sind im Stande, Deutschlands Grenzen mit eiW ner Macht zu schützen und nur dann droht ihnen Gefahr, w«M einmal der Osten und Westen gleichzeitig angreifend austuM.. tcn sollte. So lange eine derartige Allianz zwischen Rußl-«!W^^ und Frankreich nicht zu Stande kommt, so lange liegt kiiiD Ein 5 Grund vor sür unsere nationale Unabhängigkeit. Niemand MAelchem < wird so kindlich sein, zu glauben, Rußland werde sich jem«Wnd thäti durch gemüthliche Dankbarkeit abhalten lassen, dem PariMe Bedür Hofe die Hand zu reichen, falls es dabei seinen VortheiljMnd durch finden hoffte; eben so wenig wird man dem Petersburger kMem Gut binet zutrauen, es werde so rachsüchtig sein, gegen sein JnteriWierzu nö seinen Groll an Oesterreich und Preußen deswegen auszulasstEnterhalw weil sie einer Erschütterung des europäischen Gleichgewichts fW-s dafür mit Loyalität und Festigkeit widersetzt hätten. Rußland bedaWige Theil