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pulsmh erTatzeb latt Sonnabend, 8. Dezember 1S28 Dresdner Brief Weihnächte« in Sicht Das alte liebe Weihnachtswunder l Jeder Jahr, wenn die Tage kürzer werden, jede» Jahr, wenn der erste Schnee sich auf den Strafren und Dassen sich in schmutziges Grau verwandelt und Mutter Natur ein griestgrämiges Gesicht zieht, wacht die Freude am Weihnachtssest in allen Herzen aus. Und die Dorsreude soll ja stärker jein, al, die Freude selbst, daher kommt es, daß die Advcntstoge, trotz modernen Leugnenwollen aller jener Porste, di« unsre Boreltern so heilig hielten, doq immer wieder und aus alle den Zauber ihres Lichte« ausgiesten. Der erste Adventssonntag I Auch in unserer Stadt hat sein Glanz in vielen Augen gestrahlt. Am Morgen schneite es. Der erste Schnee! Jubel erfaßt die Kinderherzen. Der Schlitten wird schon vorzeitig vom Boden geholt und auf seine Tragfähigkeit hin geprüft. Und dir Kleinsten brtleln: »Mutti, gehen wir heute Schau > senster besehen!* Da ist ein weihnachtlicher Glanz erstanden. Ueberall pran gen Weihnachtsbäumc in den Läden und dem kleinen Volk ist genug der Herrlichkeiten ausgebaut. Da stehen die Buben und Mädel» und rufen entzückt: .Mutti, die Festung möcht ich haben!' »Ach, die schöne Puppe, bekomme ich die?' Und ein kleiner Dreikäsehoch rust gar vor einem Epielwarrnsenster der Wilsdruffer Straße: »Da» Kriege ich alle» ganz allein, nicht wahr?' Ist das Unbescheidenheit? Ich glaube nicht. Es ist nur Ueberschwang der Freude, und der Kleine denkt am Heiligen Abend gewiß nicht mehr an seinen unersüllbaren Wunsch und freut sich über das billige Pferdchen genau so, wie über ein ganzes Schaufenster voll Herrlichkrsten. Die Theater haben schon längst mit ihren Weihnachtsmär chrn begonnen Da steht man immer wieder dieselbe Geschichte in neuer Auswärmung, die Geschichte vom armen Kind, das durch allerlei Fährlichkeitcn, geängstigt durch Teufelsballetts, erfreut durch tanzende Engel, Blumen, sogar Steine, sich bis zum Schluffe durch - arbeite», wo beim Wrihnachtslichterglanz allen Guten ihre Beloh nung wird. Glückliche Kinder, denen dies« Art Theater neu und ersrrulich ist Einer hat zwar einmal gesagt, da» beste Kinderbuch sei da», welches die Erwachsenen lesen, und dasselbe kann man mit Fug und Recht auch von Kinderstücken sagen, aber fragt irgend eine Theaterdirektion danach? Und manches wirkliche gute Kin derstück liegt ungenützt im Kasten. Aber das ist das Schicksal mancher Kunstleistung und damit wollen wir uns ja nicht die Adventrfreude verderben. Unsere schönen Kirchen prangen im Schmuck der Tannen- zweige, der bunten Adoentssterne. Freudestrahlend verkünde» e» die Großen und Kleinen. Und gar mitten in der Stadt, dort am Bismarckdenkmal, steht rin riesiger Christbaum im Schmuck zahl loser Lichter Der Benin für Iugeubhilse hat ihn angezündet. An seinem Fuß erklingen Lieder, Lhorgesänge und Feieransprachen. Ein schöner Brauch, der Herzen und Beutel der Liebe zu der ge- sährdeten Jugend öffnen soll Auch sür di« Krüppelhils« soll geworben werden, sür die armen Kinder, die im Haften und Treiben der Leben» zur Seite gestoßen werden. Ein Knusperhäuschen mitten aus dem Pirnaischen Platz bildet da« Entzücken der Kinder, darin ist auch manches zu erwerben, dessen Erlös den Armen zugute kommen soll. Die Kinder, die an der Hand sorgender Eltern all die» Schöne brtrachten, wissen nicht viel von dem guten Zweck. Ihnen ist nun der Beweis geworden, daß es rin Knusperhäuschen gibt. Ob auch eine Hexe darin wohnt ? Das beschäftigt fie nach- dlücklich, aber die ist ja eigentlich schon seinerzeit vom Hänsel und Gretel gebackeu worden, mithin hat es keine Gefahr mehr. In diesem Smnr hört man die Kleinen reden, während die Größeren mit mitleidigem Lächeln über den guten Glauben ihrer Geschwister zur Tagesordnung übergehen, sich aber deswegen ebenso über olle Weihnacht-Herrlichkeiten freuen. Möge doch da» Licht dieser Adventstage in alle Herzen dringen I Möge die Erinnerung an die eigene Jugend di« Hände öffnen, daß all die Liebe, welche diese dunkelsten Tage erwärmt S. Vellage zu Nr. 28« 8«. Jahrgang und erhellt, auch den Armen, Einsamen und Kranken Licht und Freude bringen. Dazu bedarf es ja ost nur wenig. Aber weil Liebe alle diese Tage durchleuchtet, so sei jede Gabe, auch die kleinste, von vieler Liebe durchdrungen, sonst verfehlt sie ihren Zweck I Regina Berthold. Polizeifragen vor -em Landiaq. Im Perlauf der letzten Sitzung des Sächsischen Land tages interpellierte Abg. Roscher (Komm.) wegen der Vorkommnisse bei der Vortragsveranstaltung des Sexual forschers Dr. Magnus Hirschfeld am 2S. November in Dresden durch einen Antrag seiner Partei die Regierung und verlangt, die leitenden Polizeibeamten, die an jenem Abend in der Versammlung Dienst taten, zur Rechenschaft zu ziehen. Abg. Dobbert (Soz.) begründet hierauf eine Anfrage wegen der Entfernung ein schwarz-rot-goldenen Fahne während des Heimatfestes in Siebenlehn. — Mini sterialrat Rauschenbach erklärt, der Einstellung des Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft Frei berg könne nicht entgegengetreten werden, weil den Be schuldigten unter den obwaltenden Umständen das Be wußtsein der Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens nicht nachzuweisen sei. In der Aussprache über sämtliche Punkte tritt Abg. Dr. Gelfert (D. Vp.) den Vorwürfen des Abg. Lieb mann gegen die Polizeioffiziere entgegen. Die beider» vorliegenden Anträge gehen schließlich an den Haushalts ausschuß Weiter liegt ein vom Abgeordneten Neu begründeter sozialdemokratischer Antrag vor, die Regierung zu er suchen, eine Verordnung des Inhaltes zu erlassen, daß der Inhalt der Polizeiakten, der sich auf getilgte Strafvermerke bezieht, zu vernichten sei. Der Antrag wird ohne Aussprache an den Rechtsausschutz verwiesen. Den letzten Punkt der Tagesordnung bildet eine An frage des nationalsozialistischen Abgeordneten Helbig über die angeblich unvorschriftsmätzige Besetzung der Großen Strafkammer beim Landgericht Freiberg. Ein Vertreter des Justizministeriums gibt hierzu eine Er klärung ab: Das Justizministerium hält die alsbaldige Wiederbesetzung der in Frage kommenden Stelle für un erläßlich. Damit schließt die Beratung abends 9 Uhr. Nächste Sitzung: Dienstag, den 11. Dezember, nachmittags 1 Uhr. Gegen die Wanderlager. Die Fraktion der Deutschen Volkspartei hat im Land tag folgende kurze Anfrage eingebracht. „Das Vorkom men von Wanderlagern in Sachsen ist im steten Zunehmen. Die Folge davon ist eine wirtschaftliche Schädigung des steuerlich schwer belasteten seßhaften Gewerbes. Vorwie gend kommen außersächsische Unternehmer in Frage. An nehmbar werden dieselben angezogen von den niedrigen sächsischen Wanderlagersteuersätzen, die trotz des Landtags beschlusses vom 29. Juni 1927 noch nicht zeitgemäß abge ändert wurden. Wir fragen die Regierung: Hat sie von der Überhandnahme der Wanderlager Kenntnis? Was hat sie getan und was gedenkt sie weiter zu tun, um dieser Entwicklung zu steuern? Wann gedenkt sie, den Landtags beschluß vom 29. Juni 1927 durchzuführen und welches sind die Gründe dafür, daß dies bislang noch nicht ge schehen ist?" Raubvogelschuh. Der Landesverein Sächsischer HeimaHchutz hat in diesem Jahre wieder einer Reihe von Jägern, Förstern, Landwirten und Gärtnern für die Schonung von Naub- vogelbruten und ornithologischen Naturdenkmälern Prä mien im Gesamtbeträge von 32S Mark ausgezahlt nnd Bücher mit Widmungen und Anerkennungsworten ver liehen. Auch im nächsten Jahre wird der Landesverein Sächsischer Heimatschutz wieder Geld und Buchprämien sür diesen Zweck zur Verfügung stellen. Anträge in dieser Hinsicht sind an den Landesverein Sächsischer Heimatschutz, zu Händen des Herrn Professor Dr. Köpert, DreSd A., Schießgasse 24, zu richten. Tagungen in Sachsen Parteitag der Bolksrechtspartei. Die Volksrcchtspartei hält am S. und 9. Dezember d. I. ihren zweiten sächsischen Parteitag in Leipzig ab. Eine große öffentliche Kundgebung findet am Sonntag, den S. Dezember, vormittags 11 Uhr, im Großen Festsaal des „Sanssouci", Elsterstraße, statt. Senatspräsident am Reichsgericht a. D. Dr. Lobe, M. d. R., wird sprechen über „Reichstagsarbeit", Landtaasabgeordneter Härtel über „Fragen auS dem Säch sischen Landtag". U. a. wird noch Seiffert-Berlin über „Die Volksrechtspartei treibt gesunde Mittelstandspolitik" sprechen. Oer Arbeiismarkt in Gachsen. Die rückläufige Bewegung schreitet fort, ohne dem Arbeitsmarkt einen krisenhaften Charakter zu verleihen. Noch ist die Metallindustrie von fühlbaren Wirkungen des ArbeilS- kampses im Westen verschont geblieben und Entlassungen als unmittelbare Folge haben nicht stattgefunden. Größere Auf tragserteilungen haben sogar tu einigen Betriebszweigen zu Neueinstellungen und zur Einrichtung von Doppelschichteu ge führt. In der Textilindustrie konnte sich trotz den noch nicht in allen Teilen deS Landes abgeschlossenen Lohnverhand lungen eine weitere Belebung durchsetzen, die sich in erhöhten Anforderungen von Facharbeiterinnen und jugendlichen Arbeitskräften äußert. Die Saisonbelebung de» Vervielfälti- gungsgewerbeL hat nachgelassen und auch im Beklei dungsgewerbe ist nur die Wäscheindustrte im allgemeinen noch voll beschäftigt. Dagegen verzeichnet die Papier industrie unter dem Einfluß deS Weihnachtsgeschäftes stellenweise eine bemerkenswerte Zunahme der ArbeitSmöglich- keiten. Auf dem ArbettSmarkt der kaufmännischen Angestellten ist die sonst um diese Zeit beobachtete Belebung bisher noch nicht eingetreten. >. Von Ende Oktober bis Ende November zeigt die Zahl der unterstützten Kurzarbeiter eine Steigerung von 214S auf 2336, also um S Prozent, die Anzahl der ausgefallenen Arbeitstage eine Steigerung von SSS8 auf WM, als» um 6P Prozent. Wentt auch in der Metallindustrie eine gewiffe Ausdehnung der Kurzarbeit erfolgt ist, f» kann doch nicht dielgesamte Steige rung der Kurzarbeit auf eine Verschlechterung de Wirtschafts lage zurückgeführt werden, vielmehr dürfte die Neuregelung der Kurzarbeitsruuterstützuug durch die Verordnung v.. m 30. Oktober 1928 in erster Linie zu einuc Zunahme dar mUerjtiitzlen Kurzarbeiter beigetragen haben. Baß- 4. Fortsetzung. „Für wen ist das Schicksal?" fragte eine tiese Der Konsul au Umschweife wenig gewöhnt, sah ihr ernst in die Augen und sagte dann kurz: Nein, aber weiß Gott, ihm teure besser, wenn er verunglückt wäre, ehe er ' at Eisler nach Graz transportiert . Er hat in der Nacht, ehe er hier her kam, seine Gönnerin, die alte Rabl, erschlagen." Fran Brankow stieß einen gellenden Schrei aus und streckte abwehrend die Hände von sich. Melitta blieb ganz ruhig. , stimme hinter ihr. Melitta fuhr herum und begegnete dem funkelnden Blick ihres Vaters, der eben auf die Veranda heraustrat. „Für Felix und mich!" antwortete sie unverzüglich kampfbereit. Aber der Konsul war ausnahmsweise nicht aufgelegt, den Fehdehandschuh zu era'-nen. Etwas schweigsamer als sonst — vielleicht auch etwas weniger bei Appetit — aß er ganz ruhig und sprach von harmlosen Dingen. Erst als Melitta ihm den schwarzen Kaffee eingegofsen und die lange türkische Pfeife hingelegt hatte, griff er plötzlich nach ihrer Hand und zog sie neben sich auf das Rohrsofa nieder. ! „So, Mädel, nun will ich dir mal erzählen, warum ich so spät zu Tisch kam. Aber, laß den Kops nicht hängen, zeig, daß du ein tapferes Kind bist — der Kerl wäre es ja auch bei Gott nicht wert, wenn du. . ." „Felix! Zs betrifft Felix!" unterbrach ihn Melitta, die leichenblaß geworden war, angstvoll. ^,Es ist ihm ein Unglück geschehen — o Papa — so rede doch!" das — aber wozu dich zappeln lassen? Man hat Eisler vor einer Stunde verhaftet und als gemeinen Verbrecher Sein wahrer Name. Roman von Erich Ebenstein. Copyright by Greiner L Comp Berlin W 30. Nachdruck verboten. „Welch eine unsinnige Beschuldigung!" sagte sie dann mit verätlichcm Zucken der Lippen. Der Kon'Ul stand ärgerlich auf. Er war weicher als sonst heimgekehrt — bereit zu trösten — und merkte nun enttäuscht, daß Melitta keines Trostes bedurfte. „Du glaubst es wohl nicht?" fragte er gereizt. „Nicht eine Silbe! Natürlich nicht!" „Aber wenn ich dir schon jage: Man hat ihn abge führt wie einen gemeinen Verbrecher! Das tut man doch nicht ohne Grund. Es sind in der Tat sehr gewichtige Gründe." / „Scheingründe, Papa, verlaß dich darauf." „Na höre, Mädel, du bist von einer Hartnäckigkeit —" „Gar nicht, ich weiß nur ganz bestimmt, daß Felix solch eine Tat nicht begangen haben kann!" „Und er hat sie begangen! Ich sprach ja selbst mit dem Beamten, der seine Verhaftung leitete: Alles, jeder kleinste Umstand deutet ganz allein auf ihn hin. Jemand anders kommt gar nicht in Betracht." „Erzähle, bitte, alles was du weißt, Papa, aber hübsch der Reihe nach, ja?" Ter Vater tat ihr den Willen. Melitta unterbrach ihn keilt einziges Mal. Sie war blaß geworden und ver sank dann in nachdenkliches Schweigen. „Na also, — letzt glaubst du es wohl auch?" schloß der Vater befriedigt. „Und nun schlag dir den elenden Kerl so schnell wie möglich aus dem Kopf. Ich sagte ja immer —" Melitta schnellte plötzlich empor. „Nein, jetzt erst recht werde ich zu ihm halten! Ich das glauben? Niemals! Niemals, sage ich dir, Papa!" „Du bist wohl toll?" „Nicht im mindesten. Ich liebe ihn nur. Das heißt: Ich weiß, daß er mich nie nötiger braucht als jetzt. Mich und meine Liebe. Der Arme! Wenn Mutter Rabl tot ist, so hat er ja niemand mehr auf Erden, niemand, der ihn liebt und zu ihm steht — aber er soll wissen, daß ich zu ihm stehe unter allen Umständen — selbst wenn sie ihn verurteilen würden!" „Melitta! Ich verbiete dir —" Sie achtete gar nicht auf die Worte. Nachdenklich in die Ferne starrend, sprach sie weiter: „Oh^ ich werde schon Mittel und Wege finden, um ihn dies wissen zu lassen. Ich werde auch gar kein Geheimnis mehr machen aus un serer Liebe. Das sähe ja aus, als schämte ich mich seiner, während ich doch jetzt —" Sie wandte sich zur Tür, um zu gehen. „Halt!" schrie der Konsul, zornrot im Gesicht, ,chw willst du denn hin?"' „In mein Zimmer. Ich möchte allein sein, Papa. Ich muß nachdenken —" Und ehe man sie zuräckhatten konnte, «ar sie ver schwunden. 4. Kapitel. Felix Eisler staub zum ersten Mal« vor dem Unter suchungsrichter. Äußer ihm und Wasmut waren auch Silas Hempel und der Protokollführer anwesend. Eisler war »roch wie betäubt und unfähig, einen klaren Gedanke: zu fassen. Die Schmach seiner Verhaftung tn dem Ort, den er voll froher Zukunftöhvssnungen betreten hatte! Die ein stündige Eisenbahnsahrt in Begleitung der Landjäger und eines Detektivs der Stcherheitsabteilnngl DaS Peinliche der EinliefeimngSprozedur und dann — — — Lchauer liefen jedeSmal über seinen Rücken, wenn er cm diesen furchtbarsten Augenblick seines Lebens dachte. Man hatte ihn an Mutter Rabls Leiche geführt! Dort war er zusammengebrochen. Und von da an war er wie betäubt, antwortete r^in mechanisch aus die an ihn ge stellten Fragen. Silas Hempel, der sich im Hintergründe des Zimmers aufhielt und anscheinend mit einer Zeitung beschäftigt war, beobachtete ihn unausgesetzt. War er schuldig? Anfangs, als Hempel zuerst tn dieses vornehm ge schnittene Gesicht, aus dem zwei nußbraune Augen offen und ehrlich in die Welt sahen, blickte, hatte er lächelnd ge dacht: „Ich wußte «s ja! Er ist unschuldig!" Und er hatte den hübschen, jungen Mrnschen wohlge fällig betrachtet.