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Freiberger Anzeiger > . - ' »nd Tageblatt. ' ? ' -- < ' ' Mf. Atz. Donnerstag den 28. April 1853. --7! ' . ' , - ——-—-S-—-sS-S-S^ Der Canton Tessin. Seit dem Mailänder Aufstandechat Oesterreich strenge Maß regeln gegen den Canton Tessin in Ausführung gebracht: es ist jeder Handelsverkehr zwischen Italien und diesem rauhen Ge birgslande untersagt; es darf trotz der abgeschlossenen Verträge weder Getreide noch Salz nach Tessin von Italien eingebracht werden; cS sind plötzlich alle Tessiner, welche sich in der Lom bardei angesiedelt und die zum Theil seit 20 Jahren hier ihren Erwerb gefunden hatten, birlnen 3 Tagen über die lombardische Grenze zu rauher Winterzeit gebracht worden. Die- Noth in dem Canton Tessin ist durch jene Maßregel in einem hohen Grade gestiegen. - - Wie sieht aber das Land aus, über welches Oesterreich für nöthig gefunden hat, solche Maßregeln zu verhängen? Tessin ist der südlichste Canton d'er Schweiz und der ein zige, welcher jenseits der Alpen liegt. Hohe Gebirge schließen ihn von Piemont fast gänzlich ab; gegen die Lombardei ist da gegen das Land völlig offen. Tessin ist ein Gebirgsland; bloS im Süden verflachen sich die Berge zu Hügeln. Etwa von der Mitte des Eantons bis zur italienischen Grenze ist das Clima milder, der Boden fruchtbarer. Hier wachsen Wein, Kastanien, Mandeln, Citronen und der Maulbeerbaum; hier wird auch viel Seidenbau getrieben. Der nördliche Theil des Landes hat schroffe Gebirge. Tessin ist M armes Gebirgsland und seine Einwoh ner vermögen nicht, sich alle in ihrer Heimath zu ernähren. Zn Ende des Jahres 1852 waren nach amtlicher Zählung 11,924 Tessiner abwesend, davon die Hälfte allein in der Lom bardei und zwar als Maurer, Gypsarbeiter, Steinhauer, Kell ner, Glaser, Hirten und Dienstboten. In manchen armen Ort schaften sind während der Wanderzeit außer den Weibern, Grei sen und Kindern nur noch der Pfarrer und Lehrer der Jugend anwesend. Dagegen hielten sich Ende 1852 etwa 8000 Auslän der im Canton Tessin auf, darunter 5810 Oesterreichcr, die als Schmiede, Schuhmacher, Schneider, Bäcker, Tuch- und Leinwand händler sich nähren. Die Tessiner sind nicht besonders reinlich, sparsam und wirthschaftlich; die Unsauberkeit und die Trägheit des benachbarten Italiens fangen an, sich hier zu zeigen. Nach l der letzten Zählung hat Tessin 107,707 Einwohner, darunter I 650 Pfarrer und Kaplane und 350 Mönche, so daß auf 107 I Einwohner ein Geistlicher kommt. , Im Jahre 1848 hatte sich die tessiner Regierung, durch I die Zeitverhältniffe begünstigt, Mit den geistlichen Angelegenhei- I ten beschäftigt. Die Regierung entzog dem katholischen Clerus, I der außerordentlich gern die Jugend unterrichtet, die Untcrwei- I sung der Jugend. Auch glaubte die Regierung, cs sei hinläng lich, wenn eine geringere Anzahl von Mönchen für die geistliche Wohlfahrt der arbeitenden Tessiner bete und so wurden von den überzähligen Klöstern des Landes 9 ganz aufgehoben. Im vorigen Herbste erfolgte auch die Aufhebung deS Priesterseminars zu Poleggio. In der Nacht vom 19. zum 20. November v. I. wurden 22 Kapüciner - Mönche,' weil sie den Anordnungen der von Gott verordneten Obrigkeit sich widersetzt hattey, aus ihren Klöstern zu Lugano und Mendrisio gebracht und über die öster reichische Grenze gewiesen. Acht dieser Männer waren geborne österreichische Unterthanen und diese riefen den Schutz ihrer Re gierung an. Bald nach dieser Ausweisung gelangte eine öster reichische Note an den Bundesrath, worin man die Wiederauf nahme jener 8 Kapüciner in die Klöster oder lebenslängliche Pension für dieselben verlangte; auch war die Drohung beige? fügt, daß man, falls diesem Begehren nicht entsprochen werden würde, als Repressalie alle Tessiner aus der Lombardei aus- weisen würde. Die Regierung von Tessin erklärte sich nun be reit, die 8 ausgewiesenen Mönche als einfache österreichische Bür ger, aber nicht als Mönche aufzunehmen, versprach auch, ihnen c-ne Pension auf drei Jahre zu zahlen, obgleich dies gegen die tessiner Gesetze war. Hiermit glaubte alle Welt, die Kapu- cinergeschichte sei abgemacht und in Scat gelegt; kein Mensch dachte mehr an den alten Kohl. - Da brach in Mailand im Februar d. I. eine schmachvolle Revolution aus, welche sogar zum abscheulichen Meuchelmorde griff. Offenbar kam die Anregung zu jenen Greuelscenen von den Londoner Flüchtlingen, und man vermuthete in Wien, daß besonders der Canton Tessin, welcher mit der Lombardei grenzt, jenem Aufstande vielfachen Vorschub geleistet habe. Die je suitische Partei des Cantvns mochte auch wohl nicht ermangelt haben, zu Hetzen und Tessin gehörigen OrtS möglichst schwarz anzuschreiben. Die Wiener officielle Zeitung übernahm es, dqS Sündenregister Tessins so aufzustellen, daß dieses Land damit wohlansgerüstet zur Beichte hätte gehen können. An Behaup tungen fehlte cs nicht, wohl aber an Beweisen. Die oberste Bundesbehörde der Schweiz ließ die gegen Tessin erhobenen Anklagen durch einen in jeder Hinsicht ehrenwerthen Mann, durch den Oberst Bourgeois, an Ort und Stell« streng untersuchen und das Ergebniß war: man fand die Be hauptungen der Wiener Presse für völlig grundlos. - ' Plötzlich kam wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel am 16. Februar ein Ausweisungsdecret aus der Lombardei, worin keineswegs den Tessinern eine Betheiligung an dem Mai länder Aufruhr schuld gegeben wird; es wird vielmehr nun dir alte Klostergeschichte wieder vMesucht, um dir Aus-