Volltext Seite (XML)
— Sonntag, 28. Mai 18SS. — zum Chemnitzer General-Anzeiger Für die Familie. Z»r Snngcr Kouferenz. einzubrechen oder in Das Hüne,»grab. Humoreske nach dem Französischen, von Emil Zimmermann. (Nachdruck verboten.) Die beiden Herren Pierre Bompard und Jaques Duval, die draußen in BatignolleS wohnten, dem Kleinleuteviertel von Paris, saßen schon wieder einmal auf dem Trockenen, obwohl sie sich zu den geriebensten Gaunern der Haupt stadt der Zivilisation zählen durften. Eben saßen sie sich im «Empfangssalon" an einem altmodischen Tische gegenüber, und Pierre wies mit trübseliger Gebärde auf ein Häuschen Kupserstücke, welches von dem letzten Fang allein übrig geblieben war. Seit jener Zeit, als sie einem Provinzler die Taschen geleert hatten, hatte nichts mehr glücken wollen, die Polizei war zu aufmerksam und die schönsten Pläne scheiterten. „Verdammt", sagte Jaques, „wenn das so weiter geht, werden wir noch betteln müssen", und auch Pierre schlug mit der Faust auf den Tisch und kaute mit einem Gesicht, wie ein wüthender Eber, an seinem Zigarrenstummel. „Wir müssen einen Hauptschlag machen, Junge", sagte er endlich, dann verfiel er wieder in längeres Sinnen. Pierre Bompard war die Intelligenz in dem Bunde, von ihm gingen alle Anschläge aus, und er hatte sich nur mit Jaques Duval associirt, weil dieser mit dem Rufe eines über aus geschickten Schlossers, dem keine noch so kunstvoll gearbeitete Sicherung widerstehen konnte, den eines leicht zu leitenden und — den Um ständen angemessen — treuen Mensche» verband. Das Sinnen Pierre BompardS dauerte lange, tdenn es war nicht leicht, in dieser Zeit der wüthcuden Konkurrenz etwas Neues zu finden, da Alles schon abgebraucht war; außer dem wollte er als geriebener Gauner doch nicht mit alten Sachen aufmarschlren, er wollte durch aus originell sein. „Fürchtest Du Dich, bei einem Geistlichen einer Kirche?" fragte er Jaques endlich. Jaques machte ein verdutztes Gesicht. »Ja, das ist doch nicht neu, aber tvenn'S sein muß — — „Du sollst dort auch nicht rauben", beruhigte ihn Pierre, «es ist nur für das Gelingen unseres Werkes nöthig". Damit rückte er näher an seinen Kompagnon heran und setzte Ihm seinen Plan aus einander. — Etwa eine Woche darauf erschien in der «Aurore", einem der gelesenste» Pariser Blätter, ein gut gekleideter Mann mit feinen Manieren, der in einer wichtigen Angelegenheit den Chefredakteur zu sprechen wünschte. Er wurde dem Herrn vorgeführt und erzählte dort Folgende-: „Ich bin der Nöhrenmeister Emile Dubais und bin auf dem Landgute des Vikomte de la Nouö bei Varennes in der Provence mit dem Lege» einer Wasserleitung beschäftigt. Als meine Arbeiter vorgestern an einem Berge gruben, legten sie da eine Höhlung bloß, und ich entdeckte sofort, daß es sich um ein großes Hünengrab handeln müsse, welches augenscheinlich ans vorgeschichtlicher Zeit iammt. Ich bin in der Höhle gewesen, habe verschiedene Urnen ge linden, auch alte Waffen, dann aber habe ich Alles wieder schließen l assen und bin sofort nach Paris gereist, um meine Entdeckung zu praktifiziren., Ich bin kein reicher Mann, ich möchte meine genauen Beobachtungen zunächst also einer großen Zeitung verkaufen. Ich kann Ihnen, Herr Chefredakteur, morgen auch eine photographische Aufnahme bringen, welche ich von dem vorderen Theite der Be- gräbnißstätte genommen habe." Der Chefredakteur sah sich den Mann genauer an. „Sie waren noch bei keinem anderen Blatte?" „Nein. Ich dachte schon zum „Figaro" zu gehen; aber da da» Ihre gerade das Blatt ist, welches ich gern lese " „Schön, sehr schön, Sie werden von uns gut entschädigt werden. Aber ich werde zuvor einen Rechercheur hinschickcn müssen " „Ich habe daran gedacht", sagte der Fremde, „daß Sie nicht jeder Erzählung blindlings vertrauen würden, denn es wird ja zu viel Schwindel getrieben, ich habe deshalb auch ein paar untrügliche Dokumente mitgebracht." Er zog drei Schriftslücke aus der Tasche, eins mit dem Siegel des Grafen de la Nouö, das zweite mit den» der Mairie und das letzte mit dem Siegel der Kirche von Varennes. Alle drei Schrift stücke bezeugten übereinstimmend, daß der Nöhrenmeister Emile Dnbois aus Maleshcrbes, gegenwärtig beschäftigt ans den Gütern des Grafen de la Nouö, ein Hünengrab entdeckt habe. An der Echtheit der Dokumente war nicht zu zweifeln, also ließ sich der Chefredakteur der «Aurore" bereit finden, eine Notiz über den Gräberfund in sei» Blatt aufjniwhnien. „Entschuldigen Sie, Herr", sagte nun der Fremde, «ich glaube, daß ich Ihnen auch den Rechercheur für einen großen Artikel und dessen Reisekosten sparen könnte, ich werde Ihnen eine ganz genaue Beschreibung des von mir Entdeckten liefern." Er schilderte dann die Einrichtung des Grabes und Alles, was es umschloß, so lebhaft, daß der Chefredakteur ganz entzückt war. Er überlegte einen Augenblick. Dann rief er einen seiner Redakteure: „Grautier", sagte er, „arbeiten Sie aus den Mittheil ungen dieses Herrn einen Scnsalionsartikel über einen Gräberfund bei Varennes, etwa 250—300 Zeilen Länge; und Sie, mein Herr", wandte er sich an den Röhrenmeister. «Sie werde ich angemessen entschädigen." Er setzte sich hin, eine Anweisung auf die Kasse zu schreiben. »Sind Ihnen dreihundert Franks recht?" „O gewiß, gewiß, wenn auch nicht viel dabei für mich herans- lommen mag. Die Reise erstens . . . dann zwei Tage verloren . . . außerdem feiern wahrend meiner Abwesenheit meine Arbeiter und ich muß sie entschädigen . . . aber wie Sie denken." nächsten Morgen ei» «Aurore" brachte eins Die gegenwärtig im Haag tagende Friedenskonferenz, welche von fast allen zivilisirten Staaten beschickt worden ist, wird eine längere Zeit zur Erledigung ihres reichhaltigen Berathungspensums gebrauchen. Das Haus, in welchem dieselbe tagt, ist bekanntlich das Schloß «Hui» ten Bosch", das «Haus im Busch" genannt. Wir bringen unseren Lesern beistehend eine Ansicht des Gebäudes, welches durch die gegenwärtige Friedens konferenz eine dauernde historische Bedeutung erhalten wird. Das Gebäude wurde im Jahre 1647 von der Wittwe des Prinzen von Oranien, die es erbauen ließ, der Erinnerung an ihren Gatten geweiht, den, sie auch in der Nähe ein Monument gesetzt hat, welches die In schrift trägt: „Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden!" Das Gebäude liegt, wie seine Bezeichnung auch sagt, in unmittelbarer Nähe eines herrlichen Waldes, welcher sich meilenweit in da» Land er streckt und zu den schönsten Zierden der Residenz Haag gehört. Auf der gegenwärtigen Friedenskonferenz ist Deutschland bekanntlich durch den Grafe» Münster, Botschafter in Paris, als Bevollmächtigten vertreten. Fachdelegirte find ferner der Professor I)r. Freiherr v. Stengel in München, der Professor vr. Zorn in Königsberg. Stengel ist ein Bayer und auch vr. Zorn ist in Bayern geboren, hat aber fast seine gesammtr Lehrthätigkeit in Königsberg zugebracht. Als technische Beiräthe stehen dem Grafen Münster der Oberst v. Grv und der Marineattachs bei der deutschen Botschaft in Paris, Kapitän zur See Siegel zur Seite. „Schön, schön", sagte der Chefeedakteur, „ich werde fünfhundert Franks schreibe», und wenn Sie morgen die versprochene photo graphische Aufnahme bringen, sollen Sie noch hundert Franks er halten." Damit ging er, eine Anweisung über fünfhundert Franks in den Händen des Röhrenmeisters zurücklaffeiid, und Redakteur Grautier setzte sich hin und schrieb nach den Angaben des Fremden einen Sensationsartikel. Paris erlebte am seltsames Schauspiel. Ansicht von dem aufgefundrnen Hiiuengrabe und einen zweiten große» Artikel; «Vie fra»?aise" stellte die ganze Entdeckung als Schwindel hin und berief sich zum Beweise dafür auf behördliche Dokumente. In der „Aurore" war man außer sich, da Dubais in dem Hotel nicht gefunden werden konnte, in welchem er angegeben hatte, zu logiren; noch größer aber wurde die Bestürzung, als auf telegraphische Anfrage nach Varennes von der Mairie dort die telegraphische Antwort einlicf: „Ein Dubais hier gänzlich unbekannt: ein Gräberfund nicht gemeldet." Der Vikomte de la Nouö, an welchem man sich darauf wandte, telegraphirte ähnlich: „Ein Röhrenmeister nicht in meinen Diensten; ich beschäftige jetzt überhaupt kein« Röhrenleger. Ein Gräberfund mir nicht gemeldet." Nun begab sich der Chefredakteur der Aurore" zu seinem Kollegen von der „Vie ran^aise". Letzterer machte ein mitleidsvolle- Gesicht. Thut mir aufrichtig leid, Herr Kollege", sagte „aber schauen Sie, ich habe untrügliche Dokumente." Damit hielt er Jenem die von einem Dubais erhaltenen Papiere hin. „Ich habe von meinem Dubais auch un trügliche Papiere", entgegnete nun der Chef redakteur, „hier, sehen Sie her." Der Direktor warf einen Blick hinein, ver glich sie mit den seinen, und darauf sahen die Herren einander verdutzt an. »Verdammt", sagte der Direktor, »ich glaube, wir sind Beide betrogen. Wie sah Ihr Dnbois aus?" Der Chefredakteur der »Aurore" beschrieb seinen Mann. „Justament so wie meiner", sagte der Direktor, dann ging man gemeinschaftlich zur Zolizei. Schon nach einigen Stunden hatte man heraus, daß beide Herren betrogen waren, di« „Aurore" natürlich noch blamirt dazu, nur wußte man noch nicht, wie der Schwindel be werkstelligt worden war. er, «Vermuthlich sind die verschiedenen Siegel gestohlen worden", sagte einer der Polizisten. Später stellte sich heran», daß der Mann Recht gehabt Hattetz und auch die photographische Aufnahme des „Hünengrabes" war gestohlen worden aus dem Museum für Völkerkunde zu Paris. Während sich so die Herren von der „Aurore" und der „Bie franxaise" sowie d e von der Polizei aufregten, saßen Pierre Boniparb unb Jaques Dubo/S bei einem gute» Souper vergnügt in ihre» Der Artikel erschien am nächsten Morgen in der „Aurore" und/Zimmer in BatignolleS. machte ungeheueres Aufsehen in Paris; bie Akademie trat sofort zu-/ „Das war «in Fangt" sagte Pierre, „steveuhi,udert und fünfzig sammen, schickte eine Abordnung zur „Aurore", deren Chefredakteur/Franks aus der „Aurore", zweihundertfüuszig aus der „Bie frauxaise" darüber höchst geschmeichelt war und die Herren feierlichst empfing,/und dreihundert von dre Akademie macht dreizehnhundert Frauksl und es wurde verabredet, daß am zweitnächsten Tage unter Führung Wir haben auf ein Vierteljahr zu leben t" des Röhrenmeisters eine Kommission nach dem Fundort abgehen „Wie Du das aber sein ei'ugefädelt hast/" meinte Jaques sollte, bestehend aus drei Herren der Akademie» und zwei Redakteuren bewundernd. „Ja, man muß stildireu", entgegnele Pierre", „auch das Studium der „Aurore". Damit der Nöhrenmeister Dubois noch in Paris blieb, setzte ihm die Akademie noch dreihundert Franks aus, welche von Dubois natürlich sofort abgehoben wurden, und fünfhundert sollte er snoch bekommen, nachdem die Reise der UntcrsuchungS- kommission beendet war. I» der „Aurore" war ein großer Tag; alle Redakteure be glückwünschten einander, und als Emile Dubois mit der photo graphischen Ausnahme kam, wurde er wie ein sieggekrönter Eroberer empfangen. Statt der versprochenen einhundert Franks aber erhielt «r zwcihundertundfünfzig. — Eine halbe Stunde später, nachdem Emile Dubois die Redaktion der „Aurore" verlassen hatte, erschien in der „Vie fraiitzaise", einem Kvnkurrenzblatte der „Aurore", ein Herr, der in dringender Ange legenheit den Direktor zu sprechen wünschte. Er käme des in der «Aurore" gemeldete» Gräberfundes wegen, ließ er ansagen. Sofort wurde er vorgelasse». „Herr Direktor", sagte der Fremde, „Sie wissen, um was cs sich handelt?" „Ja, und was haben Sie zu der Geschichte zu sagen?" „Es ist Alles Schwindel." „Schwindel?" „Ja, Schwindel." Der Direktor sah den Fremden an, als glaubte er, einen Ver rückten vor sich zu habe», dieser aber fnhr fort, ganz unbekümmert r»n Jenes erstaunte Miene: Was wollen Sie sich die Aufdeckung deS Schwindels kosten lasse»?" „Hundert Franks." „Sagen wir dreihundert." „Also zweihundert?" «Abgemacht, zweihundertsünfzig." „Gut, zweihunderlfüiifzig." „So, »nn hören Sie. Ich bin Emile Dubois, bin thatscichlich bei dem Grafen de la Nouö angcstellt, in Maleshcrbes geboren; von einem Gräberfunde weiß ich aber nicht das Mindeste. Der Artikel in der „Aurore" von heute früh sagte mir das Erste davon, und daraufhin bin ich sofort nach Paris gereist,"in» den Schwindel aufzudecken, welcher mit meinem Namen getrieben wird. Hier ist mein Geburisattest, hier sind Atteste vom Grafen de la Nouö und der Mairie von Varennes, daß Alles in der „Aurore" Mitgetheilte unwahr ist." Der Direktor der „Vie fran?aise" war außer sich. „Das ist ja eine Bombensache" rief er ein über das andere Mal, „ist ja groß artig ... He, Latour, Plesster, Grandpierre, kommt einmal her; die „Aurore" werden wir vernichten, wir schlagen sic tvdtl Der Artikel gegen die „Aurore" wurde geschrieben, Emile Dubois, der wahre Dubois ivar in der „Vie franqaise" der Held des Tages, und erst spät am Abend zog er mit 250 Franks i» der Tasche ab, nachdem er dem Direktor seine Doknincnte überlassen hatte. — der Völkerkunde ist zuweilen von Nutzen." Arbeit und Erholung. Ein Beitrag zur Hygiene der Arbeit von vr. Curt Rudolf Krensner. (Nachdruck verboten ) Von einem jungen kräftigen Lazzaroni, der in feine bunte« Lnmpen gehüllt mich eines Tages auf der Riviera dl Chiaja in Neapel um eine Gabe ansprach und den ich, meine Bölse ziehend, srug, warum er sich nicht nach einer Arbeit umsehe, erhielt ich die schlagfertige und wahrhaft verblüffende Antwort im Tone der tiefsten Entrüstung: „non scmo <M xsr 8traxs.rrg.r6 wo; sono yui xsr vivere" — „ich bin doch nicht da, um mich abzurackern; ich bin da, »m mein Leben zu genießen." Diese Lebensanschanung des fröh lichen, sorgenlosen Nichtsthims und Genusses entspricht dem natürlichen menschlichen Empfinden, welches von der Dressur der Erziehung und den bitteren Erfahrungen des Lebens noch unberührt ist; denn so viel man auch von der veredelnden Wirkung der Arbeit rede» mag und so sehr sie dem Kulturmenschen zum Bedürfniß wird, ohne welches in seinem Dasein eine unanSfiillbare Lücke der gähnende» Langenweile klafft, so sicher ist es doch andererseits, daß es zunächst nur die grausame Nothiveudigkeit war, welche den Naturmenschen zu einer geregelten Thätigkcit trieb, um sein Leben in dieser schlechtesten aller Welten fortzufristen »nd zweifelsohne sehnen sich Millionen im Stillen nach jenem paradiesische» Urzustände zurück, da der Mensch mühelos von den Früchten im Garten „Eden" pflückte. Auch die modernen Religionen könnnc» sich von diesen Vorstellungen nicht freimachen. In ihrem Paradies oder Himmel, welchen sie dem Gläubigen nach einem mühevollen Leben verheißen, ist von Arbeit und Anstrengung nicht die Siede und auch die Sozialdemokratie, so trotzig sie immerhin mit der starken Hand des „Ritters der Arbeit" droht, bringt den Mann mit schwieligen Fäusten im blauen Werk« stattshemd als bedauernswerthen Lohnsklaven in einen bewußten Gegensatz zu den angeblich mühelos Genießenden der oberen Zehn tausend. Es mag Geschmacksache sein nnd es soll darüm auch nicht darüber gestritten werden, ob das Leben eines sonst gesunde» In dustriearbeiters, dem es nicht au Beschäftigung fehlt, nicht ungleich mehr Freuden und Reize bietet als dasjenige eines Kongonegers, der über die Befriedigung der nothwendigste» Wünsche Und Bedürfnisse nicht hinaus denkt; gewiß abf- liegt in den eben angeführten An schauungen ein goldnes Korn fer Wahrheit, daß nämlich die Arbeit zum Fluch nnd Unsegen wird, sowie sie das Maß der Leistungsfähig keit des Individuums auf die Dauer übersteigt. Denn ebenso wie ein über das Zulässige belasteter eiserner Träger sich durchriegt »nd unbrauchbar wird, wie eine über Gebühr in Anspruch genomu eu« Maschine vorzeitig ruinirt wird, ebenso gewiß nimmt auch der mcnsch- liehe Organismus einen nicht wieder gut zu machenden Schade^