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S«m Jahresschlüsse 1853. DaS Jahr 18S3 ist entschwunden, die Erde hat abermals ihren großen Kreislauf um die Sonne in abgemessener Bahn ^urückgelegt, und nur noch wenige Stunden verschwinden im raschen Fluge — und wir geben dem alten Jahre wie einem treuen Freunde Abschied für immer. Wie manche Freude und wie manches Leid haben wir in diesem Jahre unsrer Pilgrim- schast erfahren! Wie hat uns die erbarmende Gnade unseres Gottes „getragen auf Adlers Flügeln" und »nser Leben mit Segnungen unzähliger Art überhäuft; seine Güte war jeden Morgen über unS neu Und feine Treue war groß. Jedes füh lende Herz wird ausrufen: Herr, was bin ich und mein Haus, daß du unsrer so gedenkst, und dich unsrer so gnädig annimmst! Wir groß ist dein Erbarmen, mit welchem dn unS bei unsrer Unwurdigkeit verschont und behütet! Jedes Christcnherz wird beim Wechsel des Jahres mit gerührtem Danke dem Herrn der Zeit und der Heerschaaren, vor dem tausend Jahre sind, wie der Tag, der gestern vergangen ist, ein freudiges: „Nun danket alle Gott!" anstimmen. Ja, lobe den Herrn meine Seele, und vergiß nicht, waS er dir Gutes gethan hat! Ein so großer Zeitabschnitt, wie ein Jahr in unsrer kur zen Wallfahrt ist, fordert uns dringend auf, Betrachtungen über die Vergangenheit anznstellen. Wenn einer der edelsten und menschenfreundlichsten Kaiser Romo, Titus, und einer der bravsten und weisesten Bürger Amerikas, Franklin, am Schluffe' eines jeden Tags ihre Handlungen überblickten und musterten, um zu sehen, was sie den Tag über Gutes gethan oder unter- lässen und welche Fehler sie begangen hatten, um menschenwür dige, fromme Vorsätze fiir den folgenden Tag zu fassen; — wie viel mehr sollten wir am Ende eines längeren Zeitraums, eines Jahres, stille stehen, unsere Gedanken sammeln, einen Blick auf die Vergangenheit werfen, wie jene großen Männer, um weise Lehren und Entschlüsse für die Zukunft zu gewinnen! Wenn dies jeder für sein Privatleben thun sollte, so geziemt LS auch dem Weisen, einen Blick in die weltgeschichtlichen Vor gänge des entschwundenen Jahres zu werfen und die Zeichen Btt Zeit zu prüfen. Das entflohene Jahr ist für die ärmern Classen ein schwe res gewesen. So üp^ig auch im Juli des letzten Sommers unsre Saaten prangten, so drückten doch schwere Gewittergüsse Und tobende Stürme die schwachen Halme nieder, daß die Korn- ftlder wir ein Dach gewälzt darnieder lagen und die Körner sich nicht vollkommen ausbilden konnten; auch die Kartoffeln, diese nährende Frucht für den Tisch des Armen litt wieder un ter der Einwirkung der leidigen Pflanzenkrankheit und so stieg denn der Preis des Kornes an bis auf 6 Thlr. und nur um die Weihnachtszeit, die diesmal manche Familie in Manzel und Dürftigkeit unter den Schrecknissen des Winters thränenden Auges gefeiert hat, fiel der Preis bis auf nahe 5 Thlr. Möch ten Heuer Alle, welche der Himmel mit Gesundheit und irdischen Gütern gesegnet hat, die Werke ihrer Barmherzigkeit verdoppeln und Thränen der Brüder trocknen, die Hungrigen speisen, die vor Frost Zitternden kleiden. Unter jenen Umständen war es eine wahre Wohlthat des Himmels, daß im vergangenen Jahre die Obstbäume so gesegnet waren, daß ihre herrlichen Vorräthe noch weit in den Winter hineinreichen. Unser Vaterland Sachsen gab bei der im Juni erfolgten erfreulichen Vermählung des Kronprinzen Albert mit der Prinzessin Karoline von Wasa unserm angestammten Für stenhause die unzweideutigsten Beweise der Anhänglichkeit, Liebe und Verehrung, welche unser allverehrter König durch einen öf fentlichen Dank anerkannte. Mehrere Maigravirte vom Mili- tärstande erhielten Befreiung aus dem Zuchthause oder Ver kürzung ihrer Strafzeit. Für die innere Entwickelung des staat lichen Lebens wurden mehrere umfassende Gesetze von den Zwi- schendeputationcn vorbereitet z. B. ein Gesetz über Beschädigung der Eisenbahnen und Telegraphen, ein Strafgesetz über Garten- und Feld-Diebstähle, ein Civil- und Strafgesetz vorbereitet. — Eben so sprach sich die Liebe zu unserm Fürsten durch die Sä- cularfeier des Todes unsres Helden, des Kurfürsten Moritz auS, des Retters der evangelischen Freiheit. Am 22. Juli feierte unser Freiberg unter der regsten Thcilnabmc aller Classen der Bevölkerung und in Anwesenheit zahlreicher Gäste von Nah und Fern den Begräbnißtag des theuern Todtcn, der in unsrer Mitte nach kurzer aber bewegter und thatenreicher Laufbahn seine Ruhestätte gefunden hat. Blicken wir von unserm engen Vatcrlandc auf ganz Eu ropa, so war das entschwundene Jahr eine Zeit der Spannung, und des Temporifirens, in der keine der großen Weltfragcn ge löst wurde. Alles ist hier noch unfertig und alle großen Fra gen werden dem kommenden Jahre noch ungelöst als ein schlim mes Erbe übergeben. Beim Beginn des Jahres 1853 beschäftigte die europäischen Cabinette die Anerkennungsfrage des neu cnstandcncn franzö sischen Kaiserthums. Man sah diesmal ab von dem göttlichen Rechte der Legitimität und sprach die Anerkennung nach Eng lands Vorgänge rasch aus. Nur der Selbstherrscher aller Reu ßen konnte sich nicht entschließen, Napoleon HI.f„inou krere" anzureden. Die Anerkennungsfrage ist fast die einzige, welche gelöst worden ist. Napoleon war aber auch bedacht,, sich nun ebenbürtig zu vermählen; da aber keine Prinzessin ans einer Regentenfamilie ihm die Hand reichen wollte, so^war er müde, „zu betteln" wie es frühere französische Prinzen in ähnlicher Lage gethan haben sollten. Im Besitz einer schönen und lie benswürdigen Fürstin aus Spanien hielt er vor dem Senat eine Verlobungsrrde, worin er sich ziemlich herausfordernd aus sprach und sogar „das erlauchte österreichische Kaiserhaus" mußte sich eine Erwähnung gefallen lassen, die wenig verbindlich war. Diese Rede machte unter den Diplomaten ungeheures Aufsehen; aber da man der Freundschaft des neuen Kaisers bedurfte, so mußte man zu dem ärgerlichen Spiel gute Mene machen. Die Kronen sür das Kaiserpaar wurden gefertigt, aber der heilige Vater war durchaus nicht zu bewegen, die Krönung in Paris in Person zu vollziehen. Im Februar wurde in Mailand ein eben so unsittlicher als alberner Aufstandsversuch gemacht und ein verrückter Mensch macht am 19. Fcbr. sogar ei« Mordattentat auf das Leben des Kaisers Franz Joseph. Die nächste Folge von beiden war, Laß über Oberitalien der schärfste Grad des Belagerungszustan des ausgesprochen wurde, wodurch in jenem hartzeprüften Lande für Tausende, welche sich nicht an jenem unsinnigen Unternehmen betheiligt hatten, große Leiden und Drangjale ergingen. Das schlimmste Loos traf den Canto« Tessin deshalb, weil er fünf