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Großenhayner Unterhaltungs- und Jntelltgenz Blatt. U Stück, XXII. Jahrg. Sonnabends, den 1. Marz 1834. V-EW— !M , >,L> Der letzte Liebesdienst. Ein Mort an seine lieben Mitbürger von Hufeland, (das nicht in Berlin allein beherzigt zu werden verdient). Man hort immer nur von der letzten Ehre sprechen, die man den Verstorbenen erweisit. Ich bitte um die Crlaubmß, ein Wort von der letzten Liebe zu sprechen, die wir ihnen zn erweisen schuldig sind. Diese besteht ganz einfach darin: daß wir uns nicht eher von ihnen trennen, als bis wir ganz gewiß von ihrem Tode ub er- z e ng tsind. Ein ganz neuerlich in Paderborn vorge- fallenes Ereigniß muß uns von Neuem darauf auf merksam machen. Hier ist es , wie es uns Herr D; Schmidt daselbst erzählt: «Ein in dem hiesigen Krankenhause verstorbener jünger Mann (Kaspar Kreite aus Verns) konnte erst tzkei Wochen nach dem scheinbaren Hinscheiden beerdigt werden, weil sich nicht früher als gegen den zwanzig sten Tag solche Merkmale einstellten, die man als sichre Todeszeichen zu betrachten pflegt. Die scheinbare Leiche hatte am ersten Tage nach dem letzten Athem- züge plötzlich die Augen aufgeschlagen und einige Mt- nriten einen unregelmäßigen Puls fühlen lassen. Kleine Brandwunden, die als Belebungsversuche beigebracht waren, haben am 2ten, 3ten und 4ten Tage geeitert. Am 5ten Tage hat der Erblaßte die Hmd verdreht, am 6ten und 9ten Tage hat sich ein halbseitiger durch aus nicht riechender Schweiß eingestellt. Nach dem 9ten Tage haben sich in einem großen Umfange des Rü ckens ähnliche Blasen gebildet. Dir Glieder sind' beständig, biegsam ,, die Lippen 18 Tage ryth geblieben. Dit Stirn war 9 Tage in vertikale Falten gelegt, und die ganze Physiognomie in dieser Zeit nichts weniger als leichenhaft. 19 volle Tage hat sich in einem warmen Zimmer weder Leichengeruch, noch eine Spur von Todtenflecken eingestellt, ohne daß ein besonderer Grad von Abmagerung als Erklä rungsgrund dieses negativen AeiHensMochütMn gew^ sen wäre.» Es ist also entschieden , daß ein Mensch in einem völlig todW Zustande dennoch 20 Tage lang noch ein verborgenes Leben (Vitalität) in sich haben , ja vielleicht noch Bewußtseyn behalten , vielleicht noch hören kann, denn der Sinn des Gehörs ist bekanntlich der. letzte- welcher abstirbt. Wir wollen hier nicht ent scheiden, wie selten in solchem Zustande noch einWe- dererwachen'möglich sey, ungeachtet Beispiele von mehr rern Tagen existiren. Aber es ist genug zu wissen, daß in einem solchen Zustande noch ein verborgenes Leben, vielleicht selbst- noch ein dunkles Gefühl , vor handen seyn kann, und daß man bei der bisherigen Einrichtung in einem solchen Zustande begraben wer den kann. — Wer schaudert nicht bei diesem Gedanken? Dieses schrecklichste aller Schicksale zu vermeiden, gE es nur ein Mittel, und zwar ein sehr leichtes und ein faches, nämlich: die Leiche nicht eher zu begraben, als bis man von ihrem Tode gewiß ist. Dazu gibt es, nach nun völlig entschiedener Erfahrung, ZeM anderes Zeichen, als die anfangende Zersetzung des Organismus, das heißt, die anfangende FäulnA Dazu aber gehören nicht, wie man gewöhnlich an- > nimmt, 2 oder 3 Tage, sondern zuweilen, wie wir eben gesehen haben, 8 und mehrere Tage. So lange muß die wahre Liebe den Entschlafenen noch den Auf enthalt bei sich gestatten. Dies läßt sich bei Reichen und Wohlhabenden wohl machen. Aber nun denke man an die Tausende von Armen oder in ihren Woh nungen Beschrankten ; wie können diese so lange mit einer Leiche in einer engen Stube - oder wohl gar — wir haben Beispiele gesehenem einem Bette zusam men leben. Ist es nicht natürlich, daß diese armen Leyte so sehr als möglich eilen, sich des beschwerli chen Gastes zu entledigen ? Dazu bedarf es also eines Aufbewahrungsorts für diesen Zwischenzustand zwischen