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che» ReichthumS zu schm. Die Wittwe hatte er kein Hehl, woher ihr dieser Segen komme, und erweckte dadurch in ihrer Nachbarin eine lebhafte Re ne über ihr schnödes Betragen gegen hen vermeinten Bettler. » Ach! — rief sie — hätte ich doch das vorher gewußt, wie würde ich ihn ausgenommen haben! Die besten Lecker bissen hätte ich ihm vorgesetzt, und er würde gegen mich dann gewiß noch viel freigebiger gewesen seyn, als gegen die arme Trude. Käme er doch nur noch einmal wieder, ich wollte Mich klüger gegen ihn benehmen!« Ihr Wunsch ging bald in Erfüllung , der alte Bettler ließ sich wieder im Dorfe sehen, und Frau Ilse hatte nichts Angelegentlicheres zu thun, als ihn zu sich einzuladen und ihm das Beste vorzusetzen, was Küche und Keller vermochten; auch begegnete sie ihm mit den freundlichsten Worten, rühmte ihm ihr mitlei diges Herz und suchte sich auf alle Art bei ihm in Gunst zu setzen. Der Bettler schien ihren Worten vollen Glauben beizumesscn, ließ sich alles, was sie ihm vorfetzte , sehr wohl schme cken, und als er Abschied nahm, wünschte er auch ihr, daß sie durch die Arbeit, die sie am Nächsten Morgen zuerst vornehmen würde, den ganzen Tag beschäftiget werden möchte. Frau Ilse war außer sich vor Freuden, sie glaubte sich schon im Besitze des größten Glückes, und «ar nur verlegen, wie sie es am besten nutzen sollte. Geld zählen war wohl gut; aber sie hatte zur Zeit nur kleine Münze im Haufe, und hätte doch so gern mehr gevvrtheilt, als ihre Nachbarin. Nun fiel es ihr ein, feine Leinwand zu zählen , denn sie konnte ja bemahe eben fo geschwind ein zusammengebundenes Schock Lein wand hinwerssen , als einen Groschen aus der Hand fallen lassen, und auf diese Weise war ihr Gewinn doch bei weitem größer. Je länger sie über diesen Einfall nachdachte, je zweck- mäßiger schien er ihr, und sie legte noch vor dem Schlafengehen mehrere Schocke der feinsten schlesischen Leinwand zur Hand, um ja keine Minute des andern TageS zu versäumen. Sie konnte vor Freude über das nahe Glück nicht schlafen ; erst gegen Morgen fielen ihr die Augen zu. Eben beleuchtete der erste Strahl der Sonne die Erde, als sie erwachte und ein Klopfen an ihre Hausthüre hörte. Sie ging unbekleidet wie sie war, um zu sehen, wer da sey, und gerieth in keinen geringen Aerger, als sie ein altes Dettelweib fand, die sie um eine Gabe ansprach. Unmuthig, sich in ihrem Vorhaben aufgehalten zu sehen , begrüßte sie die Bittende mit einem Schwall von derben Schimpfwörtern; aber die Bettlerin verwandelte sich plötzlich in eine rie senmäßige Ohreule, die sich auf einen nahen Baum fetzte und ihr höhnisch in's Gesicht sah. Frau Ilse war nun wohl überzeugt, daß sie es mit keiner natürlichen Bettlerin zu thun gehabt habe, und wollte fort zum Leinwand» zählen eilen; aber, o Jammer! sie kann nicht von der Stelle, und wider ihren Willen ent strömen ihrem Munde eine Fluth von Schimpf wörtern, so garstig, wie man sie noch niemals von ihr gehört hatte, wiewohl sie in dieser unfeinen Kunst längst schon für eine Meisterin galt. Allmählig lief über ihrem Belfern das ganze Dorf zusammen: man machte ihr Vor stellungen wegen des eben so unanständigen als zwecklosen Tobens, ihre Hausgenosftn wollten sie zurück in's Zimmer führen; allein sie wich und wankte nicht, und hörte nicht auf zu schmähen , bis der letzte Sonnenstrahl hinter dem Riesengebirge verklommen war. Da erst schloß sich ihr Mund, und sie wankte halb ohnmächtig nach ihrer Kammer, uni die Lein wand wieder beiseits zu legen, die zu vertau sendfachen sie vergebens gehofft hatte. Sie merkte nun wohl, daß Rübezahl es gewesen sey, der sie ihrer bösen Zunge wegen gestraft, und vor allen Nachbarn beschämt habe, und